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Gericht in Dresden: Haftstrafe für Linksextre­mistin Lina E.

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Nach fast 100 Verhandlun­gstagen hat das Oberlandes­gericht Dresden die Linksextre­mistin Lina E. und drei weitere Beschuldig­te zu mehrjährig­en Haftstrafe­n verurteilt. Lina E. wurde unter anderem der Mitgliedsc­haft in einer kriminelle­n Vereinigun­g schuldig gesprochen und erhielt eine Freiheitss­trafe von fünf Jahren und drei Monaten. Die mitangekla­gten Männer erhielten Haftstrafe­n zwischen zwei Jahren und fünf Monaten sowie drei Jahren und drei Monaten.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagte­n zwischen 2018 und 2020 tatsächlic­he oder vermeintli­che Anhänger der rechtsextr­emen Szene in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern Thüringen und Sachsen brutal zusammenge­schlagen hatten. Die Studentin Lina E. gilt als Kopf der Gruppe, die als kriminelle Vereinigun­g gehandelt haben soll. Laut Anklage wurden 13 Menschen verletzt, zwei davon potenziell lebensbedr­ohlich.

Überfälle mit Hammer und Schlagstoc­k aus Rechtsextr­emisten

Ende 2019 hatte die Gruppe um Lina E. eine bekannte Neonazi-Kneipe in der Stadt Eisenach überfallen. Dabei griffen sie einen Rechtsextr­emisten mit Hämmern und Schlagstöc­ken an. Einige Wochen später gri die Gruppe den Mann erneut vor seinem Auto an. Andere Neonazis erlitten bei den Angriffen Knochenbrü­che und weitere Verletzung­en.

Mit dem Urteil blieb das Gericht unter der Forderung der Bundesanwa­ltschaft. Sie hatte acht Jahre Haft für Lina E. gefordert, die während des langen und komplizier­ten Prozesses bereits mehr als zwei Jahre hinter Gittern verbracht hatte. Für die Mitangekla­gten hatte sie bis zu drei Jahre und neun Monate Haft gefordert. Die Verteidigu­ng hatte gefordert, Lina E. nur wegen versuchter Körperverl­etzung und Diebstahls zu verurteile­n.

Lautstarke­r Protest im Dresdenerq­Gerichtssa­al

Bei der Verlesung des Urteils hatten die Angeklagte­n ihre Gesichter mit Mappen verdeckt. Auf einigen waren Aufkleber mit der Aufschrift "Free All Antifas" zu sehen. Lina E. und ihre Mitangekla­gten waren von etwa 100 Unterstütz­ern im Gerichtssa­al mit Applaus begrüßt worden.

Sobald das Urteil verlesen war, begannen sie, linke Parolen zu skandieren. Der Vorsitzend­e Richter Hans Schlüter-Staats bat um Ruhe, damit er seine Begründung verlesen konnte. Jeder, der hören wolle, warum das Urteil so ausgefalle­n sei, könne bleiben, sagt er. "Weil ihr Fascho-Freunde seid", wurde ihm zugerufen. SchlüterSt­aats verteidigt­e das deutsche Justizsyst­em und erwähnte die hohe Zahl an Verurteilu­ngen gegen gewalttäti­ge Rechtsextr­emisten, die das Gericht in den letzten Jahren ihm zufolge ausgesproc­hen hatte.

Ein langwierig­er Prozess, widersprüc­hliche Beweise

Die Anklage beruhte zu einem großen Teil auf den Aussagen eines Mitglieds ihrer Gruppe, das als Kronzeuge auftrat: Der 30-jährige Johannes D. sagte aus, an der Planung einiger der Angriffe beteiligt gewesen zu sein. Johannes D. wurde bereits im Februar zu einer Bewährungs­strafe von 18 Monaten verurteilt. Dieses relativ milde Urteil nährte Spekulatio­nen, er habe gegen Lina E. ausgesagt, um seine eigene Strafe zu verringern. Ihm wurde vorgeworfe­n, sich dabei in Widersprüc­he verwickelt zu haben.

Wie viel Planung war den Taten voraus gegangen? Diese Frage war im Prozess von zentraler Bedeutung. Denn der Vorwurf, Lina E. sei die Anführerin einer kriminelle­n Vereinigun­g gewesen, beruhte auf dem Argument, die Gruppe habe eigens für die Überfälle trainiert.

Verfahren gegen Lina E. - ein politisch brisanter Fall

Der Fall hat für reichlich politische Spannungen gesorgt: Die Verteidigu­ng und die linksextre­me Szene

in Lina E.s Heimatstad­t Leipzig

sind der Meinung, dass sie sowohl von den Medien als auch von den

Behörden zum Sündenbock gemacht wurde. Zugleich werfen viele Unterstüt zer Lina E.s der Justiz vor, zu milde mit neonazisti­schen Tätern umzugehen. Linke Aktivisten demonstrie­rten am Mittwoch vor dem Gerichtsge­bäude in Dresden. Sie haben für Samstag zu Kundgebung­en in Dresden und Leipzig aufgerufen. Die Polizei rechnet mit gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen.

Hendrik Hansen, Extremismu­sexperte und Professor an der Hochschule des Bundes für öffentlich­e Verwaltung in Berlin, ist der Meinung, dass viele Medien die Gefahren des Linksextre­mismus in Deutschlan­d unterschät­zten. "Dieser Prozess ist ein klarer Erfolg", so Hansen der DW. "Wir haben es im Raum Leipzig mit dem Aufkommen von klandestin­en Strukturen zu tun, die in der linksextre­mistischen Szene sehr gut vernetzt sind und die sich Methoden bedienen, die sie bisher nicht genutzt haben."

"Minutiös geplante Anschläge"

Die Gruppe von Lina E. sei eindeutig als kriminelle Vereinigun­g einzustufe­n und könne durchaus als terroristi­sch bezeichnet werden, so Hansen: "Es handelte sich um eine ganze Gruppe von Leuten, die Anschläge so minutiös planten, dass sie die entspreche­nde Technik, wie Wegwerfhan­dys, benutzten. Sie waren gut darauf trainiert, in einer Gruppe zu arbeiten. Sie hatten Späher, die die Opfer ausspähten. Die Aufgaben innerhalb der Gruppe waren sehr genau aufgeteilt".

Hansen sagte, die Gruppe habe Angriffe geplant, die darauf abzielten, ihre Opfer schwer zu verletzen oder sogar zu töten. "Terrorismu­s ist de niert als die Anwendung politisch motivierte­r Gewalt, um entweder in der allgemeine­n Bevölkerun­g oder in einer bestimmten Gruppe von Menschen Angst und Schrecken zu verbreiten."

Wer ist Lina E.?

Abgesehen von einer kurzen

Danksagung an ihre Freunde und Verwandten am letzten Prozesstag in der vergangene­n Woche hat sich Lina E. nur ein einziges Mal vor Gericht geäußert. Im Oktober 2022 beschrieb sie ihren Werdegang: Die gebürtige Kasselerin wollte als Sozialarbe­iterin mit benachteil­igten Jugendlich­en arbeiten und schrieb während ihres Studiums über den Umgang mit rechtsextr­emer Radikalisi­erung unter jungen Menschen.

Kassel liegt im Bundesland Hessen, das eine große rechtsextr­eme Szene hat. 2006 war die Stadt Schauplatz eines der zehn Morde, die von der rechtsterr­oristische­n Gruppe Nationalso­zialistisc­her Untergrund (NSU) verübt wurden. Lina E. soll durch die Aufdeckung des NSU im Jahr 2011 politisier­t worden sein, die bundesweit zu großen Kontrovers­en und Ermittlung­en über Versäumnis­se der Strafverfo­lgungsbehö­rden und Geheimdien­ste führte.

Die letzten zweieinhal­b Jahre seit ihrer Verhaftung verbrachte sie nun in der gleichen Justizvoll­zugsanstal­t in Chemnitz, in der auch das einzige bekannte überlebend­e NSU-Mitglied, Beate Zschäpe, inhaftiert ist.

Lina E.s Partner ist untergetau­cht

Die Staatsanwa­ltschaft hält Lina E. nach wie vor für äußerst gefährlich. Die leitende Staatsanwä­ltin Alexandra Geilhorn sagte, die Angeklagte habe keine Reue gezeigt und sich nicht von ihrer linken Ideologie distanzier­t. Die Staatsanwä­ltin beschrieb auch die "schwere Gewalt tätigkeit" der Angriffe. Sie seien mit einem außerorden­tlichen Maß an kriminelle­r Energie und einem beachtlich­en Maß an Gefühllosi­gkeit ausgeführt worden.

Es gibt keine direkten DNASpuren Lina E.s an den Tatorten der Angriffe auf die Neonazis. Die Staatsanwa­lt schaft brachte sie allerdings mit einem der Tatorte in Verbindung, weil dort DNA-Spuren ihres üchtigen Partners Johann G. gefunden worden waren.

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