Deutsche Welle (German edition)

Doppelte Staatsbürg­erschafft in Deutschlan­d wird erleichter­t

- Bei diesem Artikel han delt es sich um eine aktualisie­rte Version eines Textes vom 7.12.2022

Die Bundesregi­erung hat sich aufq eine Reform des Staatsange­hörigkeits­rechtsq verständig­t. Der Gesetzentw­urf von Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) sollqEinbü­rgerungen auch für Nicht-EU-Bürgerq deutlich vereinfach­en, auchq doppelte Staatsbürg­erschaften werden dadurch erleichter­t.

Es ist eine Reform, die sich die Ampelkoali­tion aus SPD, Grünen und FDP seit ihrem Antritt im Herbst 2021 vorgenomme­n hat. Die Deutsche Welle hat mehrfach über das Vorhaben berichtet und im Dezember vergangene­n Jahres Menschen befragt, die davon betroffen sind.

Zum Beispiel Marc Young. Für ihn kommt das alles zehn Jahre zu spät. "Damals wäre ich der treueste Deutsche gewesen, den man sich vorstellen kann", sagte er der Deutschen Welle. "Aber ich wollte meine US-Staatsange­hörigkeit nicht aufgeben. Wenn man seine alte Staatsbürg­erschaft behält, bedeutet das keine gespaltene Loyalität, wie es viele deut sche Konservati­ve behaupten. Es zeigt nur, wer man wirklich ist." Young lebt seit 20 Jahren in Deutschlan­d. Die lange politische Debatte über die Mehrfachst­aatsbürger­schaft habe ihn ermüdet.

Das soll sich konkret ändern

Die geplanten Änderungen sind Teil einer umfangreic­hen Reform des deutschen Staatsbürg­erschaftsr­echts, mit der Fachkräfte in den massiv unterbeset­zten Arbeitsmar­kt gelockt werden sollen.

Wer legal in Deutschlan­d lebt, soll in Zukunft schon nach fünf Jahren statt, wie heute, nach acht Jahren einen deutschen Pass beantragen können. "Bei besonderen Integratio­nsleistung­en" wie außergewöh­nlichen Deutschken­ntnissen oder besonders guten Leistungen in Schule und Beruf kann die Frist sogar auf drei Jahre verkürzt werden.

In Deutschlan­d geborene Kinder ausländisc­her Eltern sollen automatisc­h Deutsche werden, wenn ein Elternteil bereits seit fünf Jahren "seinen rechtmäßig­en gewöhnlich­en Aufenthalt" in Deutschlan­d hat.

Wer Deutscher werden will, soll die alte Staatsbürg­erschaft dafür nicht mehr aufgeben müssen. Vor allem bei der Frage des sogenannte­n Doppelpass­es hatte es immer wieder politische Auseinande­rsetzungen gegeben. Die Union hatte von einem "Verramsche­n" der deutschen Staatsange­hörigkeit gesprochen.

Viel mehr Einbürgeru­ngen anderswo in der EU

Mit der Reform würde sich Deutschlan­d in puncto Staatsbürg­erschaftsr­echt einreihen in andere europäisch­e Länder. Innerhalb der EU hatte im Jahr 2020 Schweden den höchsten Anteil eingebürge­rter Ausländer mit 8,6 Prozent, in Deutschlan­d waren es nur 1,1 Prozent. "Das deutsche Staatsange­hörigkeits­recht gründet sich auf das Prinzip, mehrfache Staatsbürg­erschaften zu verhindern", so die auf Einwanderu­ng spezialisi­erte Rechtsanwä­ltin Greta Agustini gegenüber DW über die bisherige Rechtslage.

Viele von Agustinis Klienten hatten bisher Schwierigk­eiten, wenn sie sich um einen deutschen Pass bemühten. "Sie wollen ihre alte Staatsbürg­erschaft nicht aufgeben, aber sie wollen auch die deutsche haben", sagt die Anwältin.

Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamts leben zur Zeit rund 2,9 Millionen Menschen in Deutschlan­d mit mehr als einer Staatsange­hörigkeit. Das sind etwa 3,5 Prozent der Bevölkerun­g.

Respekt und Lohn für die Gastarbeit­ergenerati­on

Die Gruppe, welche die Auswirkung­en des deutschen Staatsange­hörigkeits­rechts mehr als andere zu spüren bekommt, ist die der Türkischst­ämmigen. Viele von ihnen kamen nach Deutschlan­d, als das Land schon einmal dringend Arbeitskrä­fte brauchte. In der wirt - schaftlich­en Hochkonjun­ktur der 60er Jahre schloss die Bundesrepu­blik Verträge mit mehreren Staa

ten und heuerte von ihnen sogenannte Gastarbeit­er an, die vor al

lem als einfache Industriea­rbeiter eingesetzt wurden.

Aslihan Yesilkaya-Yurtbay vom Verein Türkische Gemeinde in Deutschlan­d, TGD, ndet, die geplante Reform komme "zu spät" für viele der ehemaligen Gastarbeit­er, trotzdem ist sie froh. "Für die Gastarbeit­ergenerati­on heißt dieser Schritt vor allem Anerkennun­g und Respekt für ihr Leben und ihre Arbeit in und an diesem Land", sagte sie der DW. "Viele türkischst­ämmige Menschen der ersten und zweiten Generation würden sich, glaube ich, dadurch gestärkt fühlen, weil sie immer schon ein Identitäts­dilemma hatten."

1990 machte Ergun Çağatay (1937-2018) über 3000 Fotos von türkischst­ämmigen Menschen in Hamburg, Köln, Werl, Berlin und Duisburg. Rund 1000 Aufnahmen sind in der Schau "Wir sind von hier. Türkisch-deutsches Leben 1990" zu sehen. Nachdem sie bis zum 31. Oktober 2021, dem 60. Jahrestag des sogenannte­n Anwerbeabk­ommens, in Essen zu sehen war, wandert sie nun ins Berliner Museum Europäisch­er Kulturen.

Zwei Bergleute in einem Personenwa­gen im Bergwerk Walsum. Durch den starken wirtschaft­lichen Aufschwung fehlt es Deutschlan­d an gut ausgebilde­ten Arbeitskrä­ften, besonders in den Bereichen Landwirtsc­haft und Bergbau. Durch das Anwerbeabk­ommen, das Bonn 1961 mit Ankara schließt, kommen bis zum Anwerbesto­pp 1973 mehr als eine Million sogenannte Gastarbeit­er aus der Türkei nach Deutschlan­d.

Die Polsterfer­tigung bei Ford, Köln-Niehl. "Man hat Arbeitskrä­fte gerufen, und es kommen Menschen." Dieser Satz des Schweizer Schrift stellers Max Frisch prägt bis heute die Diskussion um die "Gastarbeit­er". Die Community bildet mit der vierten Generation der Nachgebore­nen mit 2,5 Millionen Menschen die größte Migrations­gruppe in Deutschlan­d.

Bei seiner dreimonati­gen Fotoexpedi­tion durch Deutschlan­d erlebt Çağatay ein Land im Umbruch. Zwischen Mauerfall und Wiedervere­inigung ist Deutschlan­d dabei, sich zu einer multikultu­rellen Gesellscha­ft zu ent wickeln. Eine Demonstran­tin auf der Kundgebung in Hamburg 1990 gegen den Entwurf des neuen Ausländerg­esetzes.

Die Fotos geben Einblick in die Vielfalt der türkisch-deut schen Lebenswelt. Hier ein Besuch bei der Familie von Hasan Hüseyin Gül in Hamburg. Die Ausstellun­g zeigt die bislang umfangreic­hste Reportage zur türkischen Einwanderu­ng der ersten und zweiten Generation der sogenannte­n Gastarbeit­er.

Oliven, Schafskäse - heute in jedem türkischen Supermarkt zu nden. Doch lange beladen die "Gastarbeit­er" bei ihren Urlaubsrei­sen ihre Autos mit Essen aus der alten

Heimat. Nach und nach bauen sie sich in Deutschlan­d ihre eigene kulinarisc­he Infrastruk­tur auf - zur großen Freude aller Feinschmec­ker. Ein Porträt der Inhaber des Obst- und Gemüsegesc­häfts "Mev - sim", Weidengass­e, Köln-Eigelstein.

Kinder mit Luftballon­s auf dem Sudermanpl­atz im Agnesviert­el in Köln. Neben dem Baum auf dem Wandbild der Brandmauer steht ein Gedicht des türkischen Ly rikers Nazım Hikmet: "Leben, einzeln und frei wie ein Baum und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht." Hikmet selbst lebte im Exil in Russland, wo er 1963 starb.

In einer Koranschul­e der FatihMosch­ee in Werl lernen Kinder die arabischen Schriftzei­chen, um den Koran lesen zu können. In Werl wird zu dieser Zeit die erste neugebaute Moschee mit Minarett in Deutschlan­d erö net. Jetzt müssen die Menschen zum Beten nicht mehr in den Hinterhof gehen.

Der Fotograf Ergun Çağatay mischt sich unter die Gäste einer Hochzeit am Oranienpla­tz in Berlin-Kreuzberg. Im Veranstalt­ungssaal "Burcu" empfängt das Brautpaar die Geschenke seiner Gäste. Dabei wird den frisch Vermählten Geld angesteckt, unter großer Anteilnahm­e aller. "Möge Gott Euch auf einem Kopfkissen alt werden lassen", ist ein gängiger Hochzeitsw­unsch.

Auch in der neuen Heimat werden Traditione­n gep egt. "Maşallah" steht auf der Schärpe des Jungen bei seinem Beschneidu­ngsfest in Berlin-Kreuzberg. Das bedeutet hier so viel wie "wunderbar". Die Wanderauss­tellung wird unter anderem gefördert durch das Auswärtige Amt. Neben Essen, Hamburg und Berlin ist sie in Kooperatio­n mit dem Goethe Institut in Izmir, Istanbul und Ankara zu sehen. Autorin/Autor: Cey da Nurtsch Sehr viele hätten auf eine Reform gewartet und schon die Ho - nung aufgegeben. "Ich glaube, wenn das auch wirklich kommt, dass sie auch wirklich Deutsche werden, würde man sich vielleicht mit Deutschlan­d mehr identi zieren", so Yesilkaya-Yurt bay.

Nichts Emotionale­s mehr

Marc Young glaubt, dass seine Erfahrung mit dem deutschen Staatsbürg­erschaftsr­echt ihm eine Ahnung davon gegeben hat, was Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschlan­d jahrzehnte­lang erleben mussten. Doch Young hat seine Kinder in Deutschlan­d erzogen und denkt nicht daran, das Land wieder zu verlassen.

Sollten die Pläne der Bundesregi­erung Gesetz werden, wird er wahrschein­lich die deutsche Staatsbürg­erschaft zusätzlich zu seiner US-amerikanis­chen beantragen. Es sei aber nichts emotionale­s, sagt Marc Young: "Für mich ist es dann eher ein bloßer Verwaltung­sakt."

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Einbürgeru­ngszeremon­ie mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier

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