Deutsche Welle (German edition)

Ukrainisch­er Präsident Selenskyj besucht Deutschlan­d

-

Das Verhältnis zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und Bundeskanz­ler Olaf Scholz ist kein einfaches. Erst zwei Mal seit Kriegsbegi­nn sind sich beide persönlich begegnet, das erste Mal imqJuni 2022qin Kiew - lange nachdem andere Spitzenpol­itiker dort waren.

Vorausgega­ngen war ein heftiger Streit zwischen Berlin und dem damaligen ukrainisch­en Botschafte­r Andrij Melnyk. Der besonders undiplomat­ische Diplomat hatte Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier zu große Nähe zu Moskau und Bundeskanz­ler Scholz zu langes Zögern bei Waffenlief­erungen an die Ukraine vorgeworfe­n. Steinmeier wollte Kiew besuchen, wurde aber wieder ausgeladen. Als daraufhin Scholz eine Kiew-Reise absagte, nannte Melnyk den Kanzler eine "beleidigte Leberwurst". Es

dauerte mehrere Wochen, bis die Wogen wieder geglättet wurden.

"Das Verhältnis hat sich stark gebessert", analy siert Henning Ho von der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik. Der

Wechsel von Melnyk zu dem "viel ruhigeren, ausgeglich­eneren" Oleksii Makeiev im Herbst habe dabei eine Rolle gespielt, sagt Ho der DW. Aber auch der Führungswe­chsel im deutschen Verteidigu­ngsministe­rium von Christine Lambrecht zu Boris Pistorius habe geholfen. "Mit Pistorius ist da jetzt ein Minister am Werk, der sehr klar sagt, sein Ziel sei ein Sieg der Ukraine." Er habe auch für eine "reibungslo­se und pünktliche" Lieferung der Leopard-2-Kampfpanze­r an die Ukraine gesorgt. "Da ist ein ganz anderer Ton, ein ganz anderer Zug drin."

Schlüsselt­hemen für Selenskyj: Wa en, Panzer und Munition

Die Forderung nach mehr und effektiver­en Waffen aus Deutschlan­d dürfte auch von Selenskyj wieder

kommen - neben der nach mehr Munition, für Selenskyj inzwischen ein "Schlüsselt­hema".

Deutschlan­d war zögerliche­r als andere Länder mit der Militärhil­fe. Scholz wartete monatelang, bevor er die Lieferung von schweren Waffen wie Panzern und Artillerie genehmigte. Dann dauerte es weitere lange Monate, bis er auch Kampfpanze­r auf die Liste setzte - und das erst, als die USA ebenfalls Kampfpanze­r schicken wollten.

Die Lieferung von Kampf ugzeugen kam für Olaf Scholz aber bisher nicht infrage. Es war "nicht besonders ratsam", sagt Henning Ho , bestimmte Waffensyst­eme wie Kampf ugzeuge auszuschli­eßen, "weil man nicht wissen kann, wie sich der Kriegsverl­auf weiterentw­ickelt". Er rechne aber im Moment nicht damit, dass Scholz Flugzeuge anbieten wird.

Andere sind weiter. Die Niederland­e beraten zur Zeit mit Dänemark und Großbritan­nien über die Lieferung von F-16-Maschinen. Das sei "kein Tabu", sagte Ministerpr­äsident Mark Rutte beim Besuch

Selensky js vergangene Woche in Den Haag. Eine Einigung sei noch nicht erzielt worden, doch das sei eine Frage der Zeit.

Zuvor war Selenskyj in Finnland gewesen. Bei einer Pressekonf­erenz mit dem nnischen Präsidente­n Sauli Niinistö gab sich der ukrainisch­e Präsident überzeugt: "Bald werden wir in die Offensive gehen, und danach wird man uns Flugzeuge geben."

Zweifel am Erfolg der ukrainisch­en Gegeno ensive

Selenskyj weiß, dass die Unterstütz­ung aus dem Westen nicht unbegrenzt ist. Die lange Pause seit den erfolgreic­hen ukrainisch­en Militärope­rationen im Herbst und die den westlichen Bündnispar­tnern mühsam abgerungen­en Panzerlief­erungen haben großen Druck aufgebaut. "Wir brauchen einen Erfolg", gestand der Präsident kürzlich ein. Doch wurden im Westen nach dem Durchsicke­rn von Erkenntnis­sen des US-Geheimdien­stes immer lautere Zweifel an einem Erfolg der bevorstehe­nden Offensive geäußert.

Auch in Deutschlan­d. Wolfgang Ischinger, früherer Chef der Münchener Sicherheit­skonferenz, sagte vor einigen Tagen in der ARDSendung "Anne Will": "Es ist eine falsche Vorstellun­g, dass es plötzlich einen Durchmarsc­h der Ukraine gibt." Es gehe nicht um Tage, sondern um einen langfristi­gen Prozess. Ischinger sieht hier "Gift für die langfristi­ge Unterstüt - zung". Denn: "In Russland wird man davon ausgehen, dass man das aushalten kann. Das ist noch lange nicht vorbei."

Keine konkreten Zusagen für EU- und NATO-Mitgliedsc­haft in Richtung Kiew

Was sich Selenskyj ebenfalls von der Bundesregi­erung erho t, ist mehr Unterstütz­ung für einen Beitritt seines Landes zur NATO und zur EU.

Im Juni 2022 wurde seinem Land of ziell der Kandidaten­status zum EU-Beitritt zugesproch­en. EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Ley en hat bei ihrem bereits fünften Besuch in Kiew am "Europatag", dem 9. Mai, gesagt: "Die Ukraine gehört zu unserer europäisch­en Familie." Schöne Worte, von denen sich Selenskyj aber nichts kaufen kann. Ein Problem sind ukrainisch­e Getreideex­porte.

Bauern in östlichen EU-Staaten wie Polen oder Bulgarien sehen ukrainisch­e Agrarprodu­kte wegen niedriger Preise als wirt schaft liche Bedrohung und haben sie untersagt, was Selenskyj im Beisein von der Ley ens als "grausam" bezeichnet hat .

"Es wird nicht so schnell gehen, wie man sich das in Kiew wünscht", sagt Henning Ho über die EUBeitritt­saussichte­n, "aber wir können es uns nicht leisten, dass es ein Jahrzehnt dauert. Es ist kein leichter Weg."

"Noch komplizier­ter ist der NATO-Beitritt", sagt er. Im September 2022 reichte die Ukraine einen Antrag zur beschleuni­gten Mitgliedsc­haft ein. Noch während des Krieges werde es nicht soweit sein, sagte Selenskyj vor wenigen Tagen in Den Haag. "Aber während des Krieges wollen wir eine sehr klare Botschaft, dass wir nach dem Krieg in der Nato sein werden."

Auf eine solche klare Botschaft wartet er bisher vergeblich. Es gibt ermutigend­e Worte einzelner NATO-Länder und von Generalsek­retär Jens Stoltenber­g von der Art "Die Tür bleibt offen". Konkret wird es aber nicht, vor allem werden keine möglichen Termine genannt. Die Berliner Regierung halte eine NATO-Mitgliedsc­haft generell für keine gute Idee, glaubt Henning Ho . "Die Idee ist eher, dafür zu sorgen, dass ukrainisch­e Sicherheit garantiert wird durch die Abgabe von Sicherheit­sgarantien. Wie die aber aussehen sollen, ist unklar."

Karlspreis für das ukrainisch­e Volk

In Deutschlan­d soll Selenskyj stellvertr­etend für das gesamte ukrainisch­e Volk den renommiert­en Karlspreis der Stadt Aachen bekommen. Er wird seit 1950 an Persönlich­keiten verliehen, die sich um die Einheit Europas verdient gemacht haben.

In der Ukraine wurde der Europatag am 9. Mai in diesem Jahr auf Initiative Selensky js of ziell begangen, während in Moskau Präsident Wladimir Putin am Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschlan­d Russland als Opfer eines Krieges

 ?? ?? Andrij Melnyk gab bei seiner Abberufung eine Erklärung heraus: "Viele emotionale Aussagen bedauere ich im Nachhinein"
Andrij Melnyk gab bei seiner Abberufung eine Erklärung heraus: "Viele emotionale Aussagen bedauere ich im Nachhinein"

Newspapers in German

Newspapers from Germany