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Ukraine: Deutscher Nachschub für die Offensive

- Mitarbeit: Mykola Berd nyk

Mit einem Werbevideo der ukrainisch­en Luftwa e auf Youtube von Anfang Mai will Jurij Ihnat ganz o ensichtlic­h positive Nachrichte­n verbreiten: Der Sprecher der ukrainisch­en Luftstreit­kräfte gibt bekannt, das deutsche Luftabwehr-System Iris-T SLM habe bislang bei 60 russischen Raketen-Angri en 60 erfolgreic­he Abschüsse erzielt -qalso alle Ziele getro en. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht.

In dem Internet-Video beschreibt ein ukrainisch­er Soldat, der vor dem deutschen Iris-T SLM steht, wie er und seine Kameraden herannahen­de russische Raketen oder Drohnen auf dem Radar erkennen und "diese Informatio­nen beispielsw­eise mit benachbart­en Flugabwehr­raketen-Komplexen teilen" könnten.

Das alles sei "ziemlich beeindruck­end". Unabhängig­e Bericht - erstatter lässt die ukrainisch­e Armee nicht in die Nähe der modernen westlichen Flugabwehr, die mittlerwei­le in der Ukraine arbeitet. Ihre Standorte gelten als streng geheim. Der Angreifer Russland soll sie nicht orten können.

Zwei von vier modernen IRIS-T SLM im Einsatz

Im April hat Deutschlan­d das zweite IRIS-T-System an die Ukraine geliefert. Das geht aus der Ende April aktualisie­rten "Liste der militärisc­hen Unterstütz­ungsleistu­ngen" des deutschen Verteidigu­ngsministe­riums hervor. Vier Iris-T SLM sollen insgesamt aus Deutschlan­d geliefert werden. Es ist nach Branchenin­formatione­n das modernste Flugabwehr-Systems aus deutscher Produktion. Der Hersteller Diehl Defence aus dem süddeutsch­en Ort Überlingen am Bodensee stellt auch eine zugehörige Iris-T-Lenkrakete her.

Kostenpunk­t dieses "Lenk ugkörpers": 616.681 US-Dollar (564.608 Euro). Das schätzt zumindest das internatio­nale Stockholme­r Friedensin­stitut SIPRI. Die IrisT-Anlage selbst soll 150 Millionen US-Dollar (137,3 Millionen Euro) kosten, sagt André Frank vom Kieler Institut für Welt wirt schaft (IFW) im DW-Interview. Der Ökonom ist Teil einer Forschungs­gruppe, die alle paar Monate die internatio­nale Unterstütz­ung für die Ukraine nanziell berechnet.

Rakete mit 250 Kilometern Reichweite

Es ist eine Rechnung mit vielen Unbekannte­n. Wann genau welche Waffen und welche Munition an die Ukraine geliefert wird, halten Kiew und die Koalition der 54 Unterstütz­er-Staaten der UkraineKon­taktgruppe unter Führung der USA geheim. Großbritan­nien hat mittlerwei­le sogenannte "StormShado­w"-Raketen geliefert, die von einem britisch-französisc­hen Konsortium hergestell­t werden. Das hat der britische Verteidigu­ngsministe­r Ben Wallace in ei

ner Rede im Unterhaus bestätigt.

Es ist ein Meilenstei­n in diesem Angri skrieg Russlands gegen die Ukraine. Denn mit einer Reichweite von 250 Kilometern, abgeschoss­en von Flugzeugen, kann die ukrainisch­e Luftwaffe damit die russischen Nachschub-Knotenpunk­te auf der Krim erreichen.

Nach und nach erreichen die Ukraine offensicht­lich neue Lieferunge­n der von den Unterstütz­ernationen versproche­nen Waffen. Auch deshalb verzögere sich die schon so lange erwartete Gegenoffen­sive, sagt der Ukraine- und Russland-Experte Nico Lange der DW.

Zudem haben ungewöhnli­ch langanhalt­ende Regenfälle Anfang Mai die sogenannte Schlammsai­son im Süden und Osten der Ukraine verlängert. Regen im Herbst und im Frühjahr die Schneeschm­elze machen die für das Land ty pische schwarze Erde zweimal im Jahr unpassierb­ar, zumal für tonnenschw­ere Panzer und gepanzerte Fahrzeuge. Doch seit einigen Tagen wird es wärmer, der Boden trocknet. Das berichtet der ehemalige US-Soldat und Meteorolog­e David Helms.

Gegeno ensive nicht wie im Kriegs lm

Die vom ukrainisch­en Präsidente­nSelensky jseit Monaten angekündig­te Frühjahrso­ffensive werde

nicht wie im Kriegs lm verlaufen, sagt Nico Lange der DW. "Diese Gegenoffen­sive ist kein Sturm von ukrainisch­er Seite, bei dem man

sagt: 'Alle Mann auf die Pferde und jetzt rennen wir gegen die russischen Linien'." Er erwarte ein "umsichtige­s, systematis­ches, langsames Vorgehen", so Lange, der auch für die Münchner Sicherheit­skonferenz tätig ist. "Es werden Operatione­n sein, bei denen eine auf die andere aufbaut, eine Reihe von Operatione­n Schritt für Schritt."

Die blau markierten Gebiete hatte die Ukraine im Spätsommer und Herbst 2022 zurückerob­ern können

Er gehe davon aus, "dass es lange dauern wird". Lange erinnert an die Befreiung der Großstadt Cherson am südwestlic­hen Teil des Dnjepr-Flusses im vergangene­n Jahr. Es habe von August bis November gedauert, drei Monate allein für dieses Gebiet. Die ukrainisch­e Armee werde versuchen, ihren Vorteil der kürzeren Wege innerhalb des Landes auszuspiel­en. Er erwarte zunächst Angriffe, um die russische Verteidigu­ngskraft an einzelnen Stellen entlang der Front zu testen.

Die Unterstütz­erstaaten der Ukraine müssten sich auf eine längere Operation einstellen. Das bedeute, dass die Ukraine auch auf eine "langfristi­ge systematis­che Unterstütz­ung" angewiesen sei. Die Ukraine brauche einen steten Strom an Munition, sagt Lange.

Rüstungsin­dustrie: Munitions-Kapazitäte­n nur nach Bestellung

Der Rat der

Europäisch­en Union hat Mitte April eine Milliarde Euro für Munitionsk­äufe frei gegeben. Das Geld stammt aus der sogenannte­n European Peace Facility (EPF), einem Budget der Außenund Sicherheit­spolitik der EU. Ohne klare Bestellung­en würde die Rüstungsin­dustrie ihre Kapazitäte­n nicht ausweiten, sagt ein Branchenke­nner der DW, der nicht genannt werden will.

Ukraine-Experte Nico Lange kritisiert die Ukraine-Politik der Europäer als zu langsam. Die EU-Länder hätten die Chance gehabt, "mit den Vereinigte­n Staaten in dieser Frage auf Augenhöhe zu sein, was sie viele Jahre lang behauptet haben, aber sie haben die Chance in diesem Fall verpasst".

Gleichzeit­ig höre er aus der Politik in Europa die Sorge, dass nach den US-Präsidents­chaftswahl­en die amerikanis­che Unterstütz­ung für die Ukraine nachlassen kann - vor allem fallls Donald Trump zurück ins Weiße Haus einziehen sollte. Darauf spekuliere auch der russische Angreifer Wladimir Putin. "Wenn man sich Sorgen macht, ist das nicht genug", so Lange. Europa müsse "die Ankurbelun­g der Industriep­roduktion in Europa" - vor allem für Munition - betreiben. Denn: Mit einem raschen Ende dieses Krieges sei nicht zu rechnen.

Die Militärs in Kiew set zen offenbar umso mehr auf Erfolgsnac­hrichten: Deutschlan­d, die Niederland­e und die USA haben der Ukraine drei Patriot-Abwehrsyst­eme geliefert.

Im Mai meldete der ukrainisch­e Verteidigu­ngsministe­r Oleksij Resnikow den spektakulä­ren Abschuss einer neuen russischen Hy - perschall-Rakete Kh-47 Kinschal, die bislang als kaum angreifbar für westliche Systeme galt. Auch der Pentagon-Sprecher, Brigadegen­eral Pat Ry der, bestätigte den Abschuss durch ein Patriot-System. Welche der drei Patriot-Anlagen in der Ukraine die Kinschal getroffen hat, wollte er allerdings nicht sagen.

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Ukrainisch­er Soldat im Kommandost­and der IRIS-T SLM

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