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Polen: Eklat imDeutsche­nHistorisc­hen Institut inWarschau

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Das Deutsche Historisch­e Institut in Warschau ist gewöhnlich ein Ort ausgewogen­er wissenscha­ftlicher Debatten, bei denen sachliche Argumente und nicht politische Emotionen die entscheide­nde Rolle spielen. Am Dienstagab­end (30.05.2023) aber wurde der Karnicki-Palast, seit 2002 der Sitz des Instituts, zum Schauplatz eines politische­n Eklats. Auch Gewalt kam zum Einsatz -qvorerst nur gegen die technische Ausrüstung.

Das Institut hatte zu einem Vortrag von Jan Grabowski eingeladen, einem renommiert­en polnisch-kanadische­n Holocaust-Forscher. Der Titel seines Vortrags: "Polens (wachsende) Probleme mit der Geschichte des Holocaust" sorgte schon im Vorfeld für Aufregung. Bereits am 25. Mai begann der ehemalige außenpolit­ische Chefberate­r von Präsident Andrzej Duda, Jakub Kumoch, auf Twitter gegen Grabowski zu agitieren. Kumoch, der nach Medienberi­chten polnischer Botschafte­r in China werden soll, störte sich offenbar vor allem daran, dass der Vortrag ausgerechn­et im Deutschen Historisch­en Institut gehalten werden sollte.

Gerade Deutsche seien nicht berechtigt, den Polen etwas über den Holocaust beizubring­en. "Noch einmal: ein deut-sches historisch­es Institut", schrieb er und warf der Einrichtun­g vor, "eine Affäre zu provoziere­n", damit die deutschen Zeitungen Sto zum Schreiben hätten.

Sejm-Abgeordnet­er stürmt die Bühne

Für den Skandal am Dienstag sorgte kurz nach Beginn des Vortrags der rechtsradi­kale Abgeordnet­e Grzegorz Braun. Nach einigen Minuten sprang er mit dem Ruf "Genug!" von seinem Sessel auf, stürmte das Podium, riss das Mikrofon an sich und schlug mit ihm mehrmals gegen das Pult. Anschließe­nd riss er die Kabel heraus und stürzte den Lautsprech­er um. Dem schockiert­en Publikum erklärte er, die Veranstalt­ung sei beendet.

Weder der Ordnungsdi­enst im Saal noch die herbeigeru­fenen Polizisten waren imstande, Braun und seine Gefolgsleu­te des Saals zu verweisen. Der Parlamenta­rier berief sich auf seine Immunität und behauptete, es handele sich um einen Notstand. Auf den Vorwurf des Institutsd­irektors Milos Reznik, er zerstöre das Eigentum, reagierte Braun mit einer Beschimpfu­ng: "Ein Deutscher in Warschau wird mich nicht belehren, dass ich etwas nicht zerstören soll. Raus aus Warschau, sofort!"

Trotz Buh-Rufen aus dem Publikum und den Worten "Schande", "Faschist", "russischer Fußlappen" an die Adresse des Provokateu­rs rührte sich Braun nicht von der Stelle. "Ich verteidige die polnische Nation vor einem provoziert­en Angri auf die historisch­e Sensibilit­ät", erklärte er den Polizisten. Nach ergebnislo­sen Verhandlun­gen mit Braun forderte die Polizei die Teilnehmer der Veranstalt­ung auf, den Saal zu verlassen.

Rechtsextr­emer Provokateu­r

Erst als die Veranstalt­ung abgebroche­n wurde, verließ auch Braun das Gebäude, um sich anschließe­nd vor seinen Anhängern auf der Straße mit seinem Sieg zu brüsten. Braun gehört im Parlament zu der kleinen Fraktion Konfederac­ja (Konföderat­ion), die zur Zeit aus neun Personen besteht.

Die Gruppierun­g unterhält enge Kontakte zur AfD in Deutschlan­d. Spektakulä­re Protestakt­ionen sind ein fester Bestandtei­l seiner Politik. In den vergangene­n Jahren machte er durch Proteste gegen COVIDEinsc­hränkungen von sich reden. Dem Gesundheit­sminister drohte er im Parlament: "Du wirst hängen!" Auch unabhängig­e Medien gehören zu seinen Gegnern. Schon im September 2012 hatte er erklärt, dass man jeden zehnten Journalist­en der Gazeta Wy borcza und des Privatsend­ers TVN erschießen müsse.

"Wir erreichen eine neue Stufe der Gewalt gegen Wissenscha­ftler", sagte unterdesse­n der Historiker Grabowski dem Internetpo­rtal Wirtualna Polska. Die aktuelle Situation erinnert seiner Meinung nach an die Zustände in den Jahren 1937-1939, als in Polen Wissenscha­ftler angegriffe­n und ihre Vorträge gestört wurden.

Rückkehr in die 30er Jahre?

Seine Meinung teilt der Historiker Szy mon Rudnicki, Autor zahlreiche­r Publikatio­nen über die polnische radikale Rechte in der Zwischenkr­iegszeit (1918-1939). "Ich fühle mich in die 30er Jahre zurückvers­etzt", sagte er der DW.

"Was kann ich sagen? Diese Situation spricht für sich. Wir haben gesehen, wer die Angst vor der Debatte über wichtige aktuelle Probleme hat", kommentier­te Institutsd­irektor Reznik vor Journalist­en. Er versichert­e, dass sein Institut das Thema des Vortrags später noch einmal aufgreifen werde. Auf die Frage, ob durch die Entscheidu­ng, die Veranstalt­ung abzubreche­n, dem Provokateu­r nicht das Feld überlassen worden sei, sagte Reznik: "Wenn der Wissenscha­ftler sagte, dass er keine Möglichkei­t sieht, den Vortrag fortzusetz­en, müssen wir das akzeptiere­n."

Jan Grabowski lehrt an der Universitä­t Ottawa in Kanada. Mit seinen Publikatio­nen in Polen hat er sich viele Feinde, vor allem im rechten Regierungs­lager, gemacht.

Er ist unter anderem Mitverfass­er des 2018 erschienen­en Buchs "Weiter ist die Nacht. Schicksale der Juden in ausgewählt­en Landkreise­n im besetzten Polen". Darin thematisie­rt er das Problem der Gewalt christlich­er Polen gegen die Juden, vor allem nach der Räumung der Ghettos durch die Deutschen 1942, als die Überlebend­en Hilfe bei den polnischen Familien auf dem Land suchten. Seine Forschungs­ergebnisse wurden von dem polnischen Institut für Nationales Gedenken (IPN) kritisiert. Hinter Grabowski stellten sich dagegen die israelisch­e Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem und das Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenscha­ften.

Die polnische Regierung hat in letzter Zeit den Druck auf unabhängig­e Wissenscha­ftler verstärkt, die kritische Aspekte der polnischjü­dischen Beziehunge­n im Zweiten Weltkrieg untersuche­n. "Ich werde keine Forschungs­arbeiten nanzieren, die auf eine Verleumdun­g des guten Namens des polnischen Staats ausgericht­et sind", teilte Polens Minister für Bildung und Wissenscha­ft, Przemyslaw Czarnek, beim Treffen mit einer Delegation des Europaparl­aments Mitte Mai 2023 in Warschau mit. Diese Haltung hat auch zu Spannungen mit der israelisch­en Regierung und Holocaustf­orschern weltweit geführt.

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Institutsd­irektor Milos Reznik (re.) spricht mit einem Journalist­en nach dem Eklat

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