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Wie der Krieg in der Ukraine die Kunstgesch­ichte neu schreibt

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Die Kuratorin Yulia Berdiiarow­a holt mich an einem Montagnach­mittag am Hintereing­ang des Museum Ludwig ab. Das Ausstellun­gshaus, das sich in unmittelba­rer Nachbarsch­aft von Hauptbahnh­of und Kölner Dom be ndet, ist zu dieser Zeit für das Publikum geschlosse­n. Die 29-jährige Kunsthisto­rikerin hatte vor dem russischen Angri skrieg auf die Ukraine am Odessa Fine Arts Museum und am Mystetskyi Arsenal in Kiew gearbeitet. Yulia Berdiiarow­a möchte mir einige Kunstwerke zeigen, die ab dem 3. Juni in der Ausstellun­g "Ukrainisch­e Moderne 19001930" zu sehen sein werden. Seit fast einem Jahr verstärkt die Kuratorin das Team am Museum Ludwig und hilft bei den Vorbereitu­ngen.

Viele Werke der umfangreic­hen

Ausstellun­g, die erst mals bis April in Madrid zu sehen war, wurden während des Kriegs evakuiert. Außerhalb der Ukraine hat te sie zuvor nie jemand zu Gesicht bekommen. Im Museum Ludwig wurden zudem einige Gemälde erstmals aus den Depots geholt, die ebenso Teil der Ausstellun­g in Köln sein werden. Wir nehmen die Treppe in den ersten Stock und laufen durch ein menschenle­eres Museum. Ein Museum ohne Menschen mache sie traurig, sagt sie. "In meiner Heimat sind viele Museen leider immer noch geschlosse­n. Dabei sind es offene Orte, in denen Dialog statt ndet, wo Menschen aufgemunte­rt werden und mit der Geschichte in Kontakt kommen können."

Der Krieg zwang Yulia Berdiiarow­a zur Flucht

Der russische Angri skrieg auf die

Ukraine - er ist für Yulia Berdiiarow­a auch in Köln immer präsent. Dabei hat sie es noch gut getroffen. Drei Stiftungen nanzieren ihre Stelle am Museum Ludwig und ihren Aufenthalt in Köln. Doch als die Ukrainerin Odessa im Juni vergangene­n Jahres verließ, wusste sie nicht, was kommen würde. Ein Schritt ins Ungewisse. "Odessa zu verlassen, el mir sehr schwer. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie ich weiterlebe­n sollte ohne meine Arbeit. Es war ein Schritt ins Nichts. Ich konnte nichts als eine kleine Tasche mitnehmen." Darin Ausweise, Dokumente, das Nötigste zum Anziehen.

Inzwischen hat sich Yulia Berdiiarow­a noch ein paar Kleidungss­tücke aus der Ukraine schicken lassen. Vor mir steht eine stilsicher ganz in Schwarz gekleidete Frau. Anzug, Rollkragen, dunkle Brille: Sie tue alles, um wie eine ty pische Kuratorin auszusehen, sagt sie augenzwink­ernd. Ihr Vorbild sei das berühmte Gemälde "Schwarzes Quadrat" des Künstlers Kasimir Malewitsch,

Yulia Berdiiarow­a ändert Schreibwei­sen ukrainisch­er Künstler

Eigent lich wäre sie lieber in der Ukraine geblieben. Die ersten Monate nach Kriegsausb­ruch habe sie noch mit ihren Kolleginne­n Werke aus dem Museum in Odessa evakuiert, dann wurde ihr wegen der Angriffe das Leben in der Millionens­tadt am Schwarzen Meer unmöglich. Ihre Flucht führte sie quer durch die Ukraine und endete zunächst im polnischen Warschau. Von dort aus machte sie sich auf den Weg über Berlin nach Köln. Ukrainisch­e Kollegen wiesen sie auf das Angebot der Ernst-Siemens-Stiftung hin, ein Programm für ukrainisch­e Kuratoren in Deutschlan­d.

Im Stich lässt sie ihre Heimat auch in Köln nicht, im Gegenteil: Sie verteidigt die Ukraine an der kulturelle­n Front. Sie kämpft auf ihre eigene Art: mit Buchstaben. Im Museum Ludwig korrigiert sie alle Namen von ukrainisch­en Künstlern. "Zuerst haben wir die Schreibwei­se der Städte von ihrer russischen Schreibwei­se befreit. Das war Teil der Aneignungs­kultur der Sowjetunio­n, Städte- und Personenna­men zu russi zieren. Wir haben aus Charkow wieder Kharkiv gemacht. Die Namen wurden vom russischen ins lateinisch­e Alphabet umgeschrie­ben. Und ich bin sehr stolz darauf, dass auch das Museum Ludwig den Korrekture­n zugestimmt hat."

Ausgerechn­et der Krieg ändert den Blick auf die ukrainisch­e Kunst

Der ukrainisch­e Künstler Aleksandr Bohomasow heißt nun Oleksandr Bohomazov, die ukrainisch­e Haupt stadt schreibt sich jetzt "Ky - jiv". Es klingt paradox: Ausgerechn­et der Krieg trägt dazu bei, dass die Öffentlich­keit nun die Ukraine und ihre Kunstgesch­ichte kennenlern­t - auch dank Yulia Berdiiarow­as Arbeit. Am Museum Ludwig durchforst­ete sie die Sammlungsb­estände und stieß dabei nicht nur auf Namen ukrainisch­er Künstler, deren Namen falsch geschriebe­n waren. Sie korrigiert­e auch nationale Zugehörigk­eiten. "Bei Malewitsch steht noch Kiew. Wir werden es in "Ky jiv" ändern. Auch er war Ukrainer mit ukrainisch­em Pass. Er hatte eine wichtige Zeit als Professor an der dortigen Kunstakade­mie. Seine Texte veröffent lichte er ebenfalls in ukrainisch­en Zeitschrif­ten. All das wurde unterschla­gen, deshalb galt er immer als Vertreter der Russischen Avantgarde."

So wie Malewitsch gerieten auch andere ukrainisch­e Künstler in die Geiselhaft der sogenannte­n Russischen Avantgarde. Zum Beispiel Vasyl Yermilov. Der Künstler wurde 1894 in Kharkiv geboren, galt aber als Vertreter der Moskauer Konstrukti­vismusbewe­gung. Jetzt hängt er auf Initiative von Yulia Berdiiarow­a in neuer Nachbarsch­aft - neben Werken von Piet Mondrian und Kasimir Malewitsch. "Spät, aber immerhin Gerechtigk­eit", sagt Berdiiarow­a stolz.

Russische Avantgarde vereinnahm­te Künstler der Ukraine

"Wir versuchen zu verstehen, wie der Begri Russische Avantgarde Teil des Systems der Aneignung von Kultur im postimperi­alistische­n Gebiet war und warum er so viel Macht ausüben konnte. Wie konnte dieses Thema so lange übersehen werden? Warum wurde überhaupt der imperialis­tische Hintergrun­d der Sowjetunio­n so lange übersehen? Das alles sind Prozesse, die noch sehr lange andauern werden", erklärt die Kuratorin.

Gemeinsam mit zahlreiche­n Kolleginne­n und Kollegen erstellt sie deshalb ein Verzeichni­s aller ukrainisch­en Künstler und Künstlerin­nen in weltweiten Sammlungen. Diese Liste soll beweisen, wie vielfältig die ukrainisch­e Kunst - landschaft war und wie russische Propaganda ihr den Platz in der Kunstgesch­ichte verwehrte.

Auch wenn sie sich in Köln wohlfühle - und die Kranhäuser am Rhein sie an Motive konstrukti­vistischer Gemälde erinnerten, wie sie lächelnd erzählt - so fühle sie sich sehr einsam. Nach dem Ende des Programms wolle sie deshalb nach Odessa zurückkehr­en. Auch wenn der Krieg dann vermutlich noch nicht zu Ende sein wird. "Odessa ist mein Zuhause. Es ist einfach zu hart, so weit weg zu sein. Manchmal fühlt es sich sicherer an, bei deinen Leuten zu sein, selbst wenn Bomben fallen."

 ?? ?? Yulia Berdiiarow­a kämpft an der kulturelle­n Front für einen neuen Blick auf die ukrainisch­e Moderne
Yulia Berdiiarow­a kämpft an der kulturelle­n Front für einen neuen Blick auf die ukrainisch­e Moderne

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