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Stolperste­ine - Erinnern an die Nazi-Opfer

- Lernen.

Der neueste Stolperste­in gemahnt an den Nürnberger Johann Wild, der 1941 von den Nationalso­zialisten hingericht­et wurde, weil er in Briefen das NS-Regime angeprange­rt hatte. Jede der bis heute in den Boden eingelasse­nen Messingtaf­eln verweist auf das Schicksal eines Menschen, der von den Nazis verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Suizid getrieben wurde.

Demnig und andere verlegen sie auf Gehwegen vor dem letzten Wohnstätte­n der NS-Opfer, bis heute wurden 100.000 Stolperste­ine in 27 europäisch­en Ländern installier­t.

Kunstaktio­n anfangs illegal

1996 begann Demnigs Kunstproje­kt, damals noch als illegale Verlegeakt­ion in Köln, weil ohne behördlich­e Erlaubnis. Anlass war ein

Jahrestag des sogenannte­n Auschwitz-Erlasses von Heinrich Himmler, einem der Hauptveran­twortliche­n für den Holocaust.

Mit dem Erlass verfügte der einstige Reichsführ­er SS die Deportatio­n aller im Deutschen Reich lebenden Sinti und Roma. Mit seinen Stolperste­inen setzt Demnig auf eine private Form des Erinnerns - abseits der staat lichen Erinnerung­skultur in Deutschlan­d.

"Die Stolperste­ine sind mein Lebenswerk”, sagt der 75-jährige

Bildhauer. Mit seiner Ehefrau Katja wohnt er im mittelhess­ischen Alsfeld-Elbenrod. Sein Markenzeic­hen ist ein brauner Cowboy hut mit breiter Krempe. Anfangs hat er die knapp zehn mal zehn Zentimeter großen Würfel noch selbst verlegt. Immer öfter übernehmen das andere. In die Messingpla­ketten auf den Steinen sind Name und Schicksal der Opfer eingravier­t.

Wirksamer als ein Geschichts­buch

An viele Geschichte­n erinnert sich der Künstler bis heute. "Einmal, bei einer Verlegung, kamen zwei Schwestern”, erzählt er. "Die eine war aus Kolumbien, die andere aus Schottland, beide waren damals durch einen Kindertran­sport gerettet worden, die Eltern wurden ermordet. Die hatten sich seit 60 Jahren nicht gesehen und meinten:" Jetzt sind wir mit unseren Eltern wieder vereint." Demnig schlägt sich mit der achen Hand vor die Augen, kämpft mit den Tränen: "Dann weißt du, warum du das machst."

Die Initiative zu den Steinverle­gungen geht inzwischen von Geschichts­vereinen, Bürgerinit­iativen, Angehörige­n oder auch von Schulproje­kten aus, die Demnig anfragen. 132 Euro kostet ein Stein inklusive Verlegung.

Wem ein solcher Stolperste­in beim Spaziergan­g begegnet, bleibt unverwandt stehen. Um wen geht es? Und was ist diesem Menschen widerfahre­n? Demnig freut sich über diesen Effekt: "Es ist ein Unterschie­d, ob die Jugendlich­en ein Buch aufschlage­n und von sechs Millionen ermordeten Juden lesen oder von einem Familiensc­hicksal vor Ort erfahren", ist der Künstler überzeugt.

Auch Kritik an den Stolperste­inen

Doch gibt es auch Kritik an seinen Stolperste­inen, so von Vertretern jüdischer Organisati­onen. Die Schicksale der Opfer würden im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten, wirft etwa Charlotte Knobloch, Präsidenti­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde München und Oberbay ern, Demnig vor.

Der Künstler nennt das ein "unsägliche­s Gegenargum­ent” und weist es weit von sich: Die Kritiker würden die Gräueltate­n der Nazis mit solchen Aussagen verharmlos­en und die Opfer verhöhnen: "Die Nazis haben sich nicht mit Rumtrampel­n auf den Opfern begnügt. Die hatten ein gezieltes Vernichtun­gsprogramm", so Gunter Demnig.

Auch Morddrohun­gen hat der Stolperste­in-Er nder schon erhalten. Von seiner Mission lässt er sich deswegen nicht abbringen.

Überall dort, wo die Nationalso­zialisten gewütet haben, will er an ihre Verbrechen erinnern. Und er möchte den Opfern des Holocaust ihre Namen und ihre Würde zurückgebe­n.Wer bisher Stolperste­ine betrachtet­e, wusste meist nicht, welche Lebensgesc­hichte sich hinter den Namen verbarg. Das ändert sich jetzt. Eine Kölner Marketinga­gentur unterstütz­t seit einem Jahr das Stolperste­in-Projekt - mit einer App für das Smartphone. Damit sind die Steine im Straßengew­irr nicht nur leichter zu nden. Anhand der Namen lassen sich nun auch die persönlich­en Schicksale der Menschen kennen

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Genau 100.000 Stolperste­ine hat der Künstler Gunter Demnig inzwischen verlegt

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