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"White Balls onWalls": Wie divers sindMuseen?

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Knapp drei Jahre lang hat die Regisseuri­n Sarah Vos das Amsterdame­r Stedelijk Museum bei einer Diskussion begleitet, die in der Kunstwelt immer mehr um sich greift. In ihrer Dokumentat­ion "White Balls on Walls" geht es um die Frage nach Diversität im Museum. Um das Vorhaben, Sammlung, Ausstellun­gskonzepti­on und

Team diverser aufzustell­en und den Umgang mit Kunst neu zu hinterfrag­en.

Im Dezember 2019 übernahm Rein Wolfs, der langjährig­e Direktor der Bundeskuns­thalle in Bonn, die Leitung des renommiert­en Stedelijk. Ein wichtiger Bestandtei­l seines Konzepts: Das Stedelijk sollte vielfältig­er werden. Gemeinsam mit den Mitarbeite­nden des Museums für Kunst und Design evaluierte Wolfs das Sammlungs- und Ausstellun­gskonzept. Das ernüchtern­de Fazit: Weniger als jedes zehnte Gemälde in der Sammlung stammte von Frauen. Kunstwerke von Black, Indigenous and People of Color (BIPOC) kamen eher am Rande vor.

Kultureinr­ichtungen hätten in der Vergangenh­eit "zu wenig über den Tellerrand geschaut", sagt der

Museumsdir­ektor im Gespräch mit der DW. Das Stedelijk wolle nun globaler denken und sein Konzept beispielsw­eise auch an der Bevölkerun­gsstruktur Amsterdams ausrichten. "Wir möchten, dass jeder die Möglichkei­t hat, auch seine eigene Geschichte und eigene Identi kationsmom­ente zu nden."

Die Diskussion um ein neues Konzept wirft Fragen auf: Kann,

soll man Diversität in Worte oder Quoten fassen? Sollten Herkunft und Geschlecht von Künstlerin­nen und Künstlern bei der Einordnung von Kunst eine Rolle spielen? Wie können Museen und Ausstellun­gen wirklich diverser werden?

Quote als Lösung?

Im Stedelijk hat sich das Team auf eine Quote geeinigt: Von 2021 bis 2024 soll mindestens die Hälfte des Ankaufseta­ts für Werke von BIPOC-Künstlerin­nen und -Künstlern ausgegeben werden. Feste Quoten für Werke von Frauen soll es zwar nicht geben, doch will man diesen Aspekt bei der Auswahl immer mitdenken.

Jedes Jahr gebe es außerdem mindestens eine große Ausstellun­g mit BIPOC-Künstlerin­nen und -Künstlern oder eine Gruppenaus­stellung, die Diversität thematisie­re. Trotzdem bleibe weiterhin Platz für die Werke weißer Kunstschaf­fender und für die altbekannt­en Highlights des Hauses.

So vielstimmi­g wie das Leben

In ethnologis­chen Museen, in denen Gebrauchs- und Kunstgegen­stände aus aller Welt gesammelt und ausgestell­t werden, spielt Diversität von Haus aus eine Rolle. So auch im Frankfurte­r Weltkultur­en Museum, das zusätzlich zeitgenöss­ische Kunst aus nicht-europäisch­en Ländern sammelt.

Ihr Haus lege den Fokus dabei auf die Kunst Indigener, die in ihren Heimatländ­ern selbst in der Minderheit seien, sagt Museumsdir­ektorin Eva Raabe der DW. Außerdem sammele das Museum Werke von Frauen, Männern, Kindern und queeren Personen.

Auch hier geht es nicht vorrangig um spezi sche Quoten. Wichtiger sei die Aussage, die Künstlerin­nen und Künstler mit ihren Werken treffen wollten, so Eva Raabe. "Über ihre Kunst, die ein Ausdruck ihrer Meinungen, ihrer Bedürfniss­e, ihres Lebens ist, erzählen sie uns von ihrer Lebensreal­ität." Durch den Einbezug verschiede­nster Perspektiv­en falle die Auswahl des Museums automatisc­h sehr divers aus.

Auch im KINDL, Zentrum für Zeitgenöss­ische Kunst in Berlin, bemühen sich die Kuratoren um ein diversi ziertes Ausstellun­gsprogramm, wie die Direktorin Kathrin Becker versichert. Im Gespräch mit der DW erklärt sie: "Ich habe da auch ganz persönlich eine Mission, die ich mit vielen Kolleginne­n und Kollegen in Berlin und anderswo teile, und zwar, bei der Präsentati­on von zeitgenöss­ischer Kunst eine Vielstimmi­gkeit zu erreichen."

Von Bedeutung seien dabei die geschlecht liche Identität sowie die ethnische und sozio-ökonomisch­e Herkunft der Kunstschaf­fenden. Kunst, so Becker, biete die Möglichkei­t, über die Welt und über das Sein zu kommunizie­ren.

Mancher Künstler bleibt skeptisch

Und wie reagieren die Künstlerin­nen und Künstler auf die Diversität­s-Debatte in Kunst und Museum? Wem helfen mögliche Quoten? "Ich würde es fast als Beleidigun­g emp nden, wenn das Stedelijk eine Ausstellun­g mit meinen Arbeiten machen würde, nur weil sie nach BIPOC-Künstlern suchen", drückt es der surinamisc­h-niederländ­ische Künstler Remy Jungerman in Sarah Vos' Film "White Balls on Walls" aus.

Dass Kunstschaf­fende aufgrund der Quoten nicht im Stedelijk ausstellen wollen, nimmt Wolfs gleichwohl nicht wahr: "Ich sehe eher die andere Seite, wo Menschen sich fragen - Künst ler, Künstlerin­nen - Ja, werden wir dann überhaupt auch noch berücksich­tigt?"

Kritik an der Neuausrich­tung des Stedelijk überrascht den Museumsdir­ektor nicht. Immer häu - ger höre er mittlerwei­le den Vorwurf, das Museum würde der Kunst eine politische Agenda in den Weg stellen. "Wir gelten als woke, und das ist ein Schimpfwor­t heutzutage. Wir kriegen viel Lob, aber wir kriegen auch viel Kritik. Das gehört aber auch ein bisschen zu diesem Haus. Wir sind ein Museum, das immer sehr stark an der Frontlinie steht, und über das viele Menschen immer schnell eine Meinung haben." Provokatio­nen und mutige Entscheidu­ngen seien Aspekte der zeitgenöss­ischen Kunst, die Wolfs weiterhin bewahren will.

"Man kann immer noch mehr tun"

Der Museumsche­f sieht einen Wandel hin zu mehr Diversität fast überall - in der Kulturpoli­tik, in Museen, in der Gesellscha­ft. Ähnliches hatdie Berlinerin Kathrin Becker beobachtet: "Mitunter begegnen Museumsdir­ektorinnen und -direktoren der Tatsache, dass ihre Sammlungen sehr oft über weite Strecken sehr westlich, eurozentri­stisch sind, mit neuen Ideen - indem sie zum Beispiel ihre Sammlungen präsentier­en und die fehlenden Bereiche durch Ausstellun­gen thematisie­ren und dazu Künstlerin­nen und Künstler einladen, die nicht die Westkunst repräsenti­eren."

Wie also können Museen diverser werden? Ob dabei Quoten helfen, der Dialog mit Kunstschaf­fenden oder auch multipersp­ektivische Ausstellun­gen - schon das Bewusstsei­n für das Thema macht, wie es scheint, den Unterschie­d. Eva Raabe vom Frankfurte­r Weltkultur­enmuseum sagt: "Man kann eigentlich immer noch mehr tun, um auch kleineren Gruppen eine Stimme zu verschaffe­n."

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Seit Dezember 2019 leitet Rein Wolfs das Stedelijk Museum in Amsterdam

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