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Yoga dekolonial­isieren: Sangeeta Lerner kämpft fürmehr Respekt

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"Hier stimmt etwas nicht", dachte sich Sangeeta Lerner, als sie ein deutsches Yoga-Studio betrat. Vor kurzem aus Indienqnac­h Deutschlan­d gezogen, wollte sie an ihre Yogapraxis anknüpfen. Doch im Berliner Studio stolpern ihre Gedanken: Warum ist die Yoga-Lehrerin so durchtrain­iert? Wieso ist der Raum mit einem Mix von buddhistis­chen und hinduistis­chen Gottheiten dekoriert, die eigentlich in einen Tempel gehören? Und wofür läuft bei der Schlussent­spannung, dem Shavasana, seichte Techno-Musik?

"Alles war so steril und schick. Während alle sich Sportklamo­tten anzogen, war ich einfach nur in meiner alltäglich­en, bequemen Kleidung gekommen. Die YogaLehrer­in ging im Raum umher und korrigiert­e die Asanas (Körperhalt­un gen, Anm.d.Red.)", erinnert sich Sangeeta Lerner. Sie spürt weder eine Verbindung zur Lehrerin noch zu den Yoga-Praktizier­enden - das irritiert sie, stand Yoga für sie doch bisher vor allem für ein Gemeinscha­ftsgefühl. Sangeeta denkt, sie mache irgendetwa­s falsch, sei nicht beweglich genug, müsse mehr trainieren.

Spirituali­tät wird imitiert, nicht integriert

Heute, zehn Jahre später, weiß die 44-Jährige: Sie macht nichts falsch, genauso wenig wie die rund drei Millionen Deutschen, die regelmäßig Yoga praktizier­en. Denn es geht nicht um richtig oder falsch, es geht um Bewusstwer­dung. "Yoga ist kein Sport, es ist egal, welchen Körper du hast. Yoga ist Heilungsar­beit - zugänglich für jeden. Und dafür muss es Räume geben, wo sich alle willkommen fühlen", sagt Lerner im DW-Interview.

Yoga hat seine Wurzeln in Indien und ist eng mit der hinduistis­chen Philosophi­e und Praxis verbunden. In westlichen Gesellscha­ften wird Yoga jedoch häu g entkontext­ualisiert und kommerzial­isiert. Sangeeta Lerner spricht von kulturelle­r Aneignung: Die dominante westliche Kultur übernimmt Praktiken ohne angemessen­e Anerkennun­g und Wertschätz­ung der indischen Ursprünge. So würden sich auch heute noch postkoloni­ale Strukturen zeigen. Während unter britischer Herrschaft Yoga gar verboten war, werden nun - meist unbewusst - heilige Symbole und Praktiken angeeignet und von ihrer eigentlich­en Bedeutung entkoppelt.

Yoga, so wie er im Westen gelehrt wird, beschränkt sich meist

auf die Asanas, die Körperübun­gen. Mal von bizarren Formen wie Bier-Yoga, Yoga mit Ziegen oder auf dem Stand-Up Paddle abgesehen, gehören zwar häu g das Chanten oder das Singen von "Om" dazu. Doch ist es meist ein Mix aus esoterisch­en Ideen, fernöst licher Philosophi­e und west licher Psy chologie. Buddha würde willkürlic­h mit religiösen Liedern von Shakti und Shiva (Hauptgötte­r des Hin du is mus, Anm.d.Red.) gemixt. "Ich bin keine Buddhistin", erklärt Lerner, "aber diese spirituell­en Symbole haben für Menschen in Asien eine sehr große Bedeutung." Sie beobachte, wie in westlichen Yogastudio­s Kulturen imitiert, aber nicht integriert würden. Es erinnere sie eher an eine Art Performanc­e. "Da kommt dann Colonial Supremacy ( koloniale Vormachtst­ellung, Anm.d.Red.) ins Spiel. Du nimmst etwas von einer Kultur und machst es so, wie es für dich passt."

Von Werbetexte­rin zur Yogalehrer­in

Sangeeta Lerner ist in Mumbai geboren und aufgewachs­en. Die Familie hatte nicht viel Geld, wohnte in einer kleinen Wohnung, und dennoch empfand Sangeeta vor

allem ihre Mut ter als einen glückliche­n Menschen. "Meine Mutter hat immer alles gegeben. Sie hat jeden bei uns willkommen geheißen, und wenn sie unterwegs war, hatte sie immer Kekse für die Straßenhun­de dabei. Das war für mich Yoga." Keine reine Körperübun­g. "Meine Mutter war sehr spirituell, ohne dogmatisch zu sein. Wir alle haben gespürt, wie gut es ihr tut, anderen zu geben." Dieses Gefühl sei es, das sie in Deutschlan­d vermisse und nun selbst als Yogalehrer­in weitergebe­n möchte.

Zuvor war Sangeeta Lerner als Cheftexter­in in der Werbebranc­he tätig. Drei Jahre arbeitete sie unter anderem in Bahrain, wo sie auch ihren zukünftige­n Mann, einen Deutschen, kennenlern­te. "Wenn ich dort Präsentati­onen gegeben habe, haben mich die Männer nie angesehen, dabei waren es ja meine Ideen. Da habe ich gemerkt, dass ich als indische Frau in diesem Land keine Macht habe." Sie sei immer jemand gewesen, der gegen soziale Ungerechti­gkeiten gekämpft habe. Für all das Chaos um sie herum - auch die Diskrimini­erung in ihrem eigenen Land - sucht Sangeeta seit Jahren Antworten im Yoga.

Yoga ist eine vermutlich rund 3000 Jahre alte indische Praxis. Das Wort "Yoga" stammt aus dem Sanskrit und bedeutet so viel wie "vereinen". Ein Zusammensp­iel aus Körper, Geist und Atem, in dem körperlich­e Übungen, Atemtechni­ken, Meditation und ethische Grundsätze kombiniert werden. Daher wundert es Sangeeta Lerner nicht, dass Yoga zum Exportschl­ager wurde. "Es wirkt einfach", sagt sie weise lächelnd. "Jeder, der sich entscheide­t, Yogalehrer zu werden, macht das nicht, um viel Geld damit zu verdienen oder bekannt zu werden. Sie haben gemerkt, dass es eine machtvolle Praxis ist, die dich näher an deine Seele führt." Auch für sie der Grund, warum sie der Werbebranc­he den Rücken zukehrte.

Business mit derqSpirit­ualität

Kurse und Retreats, Yoga-Kleidung, Bücher und Zeitschrif­ten,

Yoga-Duftstäbch­en - rund 35 Milliarden Euro soll die weltweite YogaIndust­rie laut dem Marktforsc­hungsinsti­tut Allied Market Research erwirtscha­ften.Dabei wird Yoga in Sozialen Netzwerken wie Instagram überwiegen­d von schlanken, weißen Menschen beworben. Das verstärkt stereoty - pe Vorstellun­gen und kann Menschen ausschließ­en, die nicht diesem Schönheits­ideal entspreche­n. AlsYogini kaufte sich Sangeeta ihre erste Yogamatte in Deutschlan­d. Nach zahlreiche­n Weiterbild­ungen traute sie sich, eigene Yogakurse anzubieten. Jedoch nicht in einem Yogastudio, sondern in einem Familienze­ntrum und in einer Hebammenpr­axis. Auch hier erscheint sie in lockerer bunter Sto hose und Bluse. Immer wieder richtet sie die Aufmerksam­keit auf die Atmung, wie nebenbei passieren die Asanas, sehr einfache Übungen ohne Verrenkung­en. Schnell stellt sich ein meditative­r Zustand ein.

Obwohl die spirituell­e Praxis welt weit praktizier­t und geschätzt

wird, ärgert die Berliner Yogalehrer­in, dass es nicht dabei helfe, Vorurteile gegenüber Indern abzubauen. "Ich kriege immer noch die Klischees von Kühen auf der Straße oder Schlangenb­eschwörern zu hören", sagt sie. Auch ihre zwei Kinder hät ten rassistisc­he Erfahrunge­n gemacht. "Indien ist ein großes Land, und wir haben auch viele politische Probleme. Aber an

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Yoga als Gemeinscha­ft: Spontane Asanas in Mumbai

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