Deutsche Welle (German edition)
Meister FC Bayern entlässt Oliver Kahn undHasan Salihamidzic
"Das kommt jetzt? Eine Minute nach dem Abp ?", auch Bayern-Urgestein Thomas Müller war überrascht, als ihm während eines Interviews beim TVSender "Sky" erklärt wurde, dass die Zeit von Vorstandschef Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic bei FußballRekordmeister Bayern München abgelaufen sei.
"Bisher wusste ich nichts davon", sagte Müller verwundert, während um ihn herum im Kölner Stadion noch die Meister-Feierlichkeiten liefen. "Ich wusste es schon seit gestern", gab etwas später Bay ern-Trainer Thomas Tuchel zu, der in diesem Moment nicht recht zu wissen schien, ob er sich über die gerade gewonnene Meisterschaft freuen oder traurig sein sollte.
"Ich muss es erstmal verarbeiten", sagte Tuchel. "Ich meine, wir schießen hier vor einer halben Stunde das Ding rein, aber anstatt zu feiern, haben wir jetzt wieder ein politisches Thema."
Entlassung wird geheim gehalten
Direkt nach dem Abp hatte es Gerüchte zur Entlassung Kahns und Salihamidzics gegeben, wenig später kam dann die of zielle Bestätigung durch Vereinspräsident Herbert Hainer. "Die Ent scheidung, sich von Oliver Kahn zu trennen, hat sich der Aufsichtsrat alles andere als leicht gemacht", sagte Hainer.
"Dennoch sind wir aufgrund der Gesamtentwicklung zu dem Entschluss gekommen, eine Neubesetzung an der Spitze des Vorstands vorzunehmen." Die Trennung von Salihamidzic erklärte der Präsident mit dem Saisonverlauf nach der Winterpause. Es habe "unterschiedliche Auffassungen über die zukünftige Ausrichtung der Mannschaft" gegeben.
Die Abberufung Kahns und seines langjährigen Mit spielers Salihamidzic sei im Vorfeld des entscheidenden Spiels bei einer kurzfristig einberufenen, außerordentlichen Aufsichtsratssit zung beschlossen worden, so Hainer.
Hamann: "An Respektlosigkeit nicht zu überbieten"
Bei vielen Experten sorgte die Art und Weise für Unverständnis. "Das haben ein Hasan Salihamidzic und ein Oliver Kahn nicht verdient. Du kannst über die Arbeit der beiden denken, was du willst, aber das sind zwei so verdiente Spieler und auch Funktionäre. Die Entscheidung wenige Minuten nach dem Gewinn der Meisterschaft durchzustecken, ist unwürdig", giftete "Sky"-Experte und Ex-Bay ern-Pro Dietmar Hamann: "Was sie heute gemacht haben, ist an Respektlosigkeit nicht zu überbieten."
Auch Lothar Matthäus stellte seinem Ex-Klub kein gutes Zeugnis aus. "Das Mia-san-mia-Gefühl ist überlebenswichtig für den FC Bay - ern, und das ist verloren gegangen", sagte der Rekordnationalspieler.
Kahn darf nicht nach Köln kommen
Wie durch einen Tweet Oliver Kahns bekannt wurde, war dem ehemaligen Vorstandschef offenbar verboten worden, noch die Reise nach Köln anzutreten, um die Mannschaft dort zu unterstützen. "Ich bin unheimlich stolz auf euch und diese Leistung!", schrieb Kahn. "Ich würde gerne mit euch mitfeiern, aber leider kann ich heute nicht bei euch sein, weil es mir untersagt wurde." Später ergänzte er in der Sendung Sky 90: "Das war der schlimmste Tag meines Lebens, es mir zu nehmen, mit den Jungs zu feiern." Auch an der Meisterfeier soll er nicht teilnehmen dürfen.
"Das Gespräch mit Oliver Kahn lief sehr emotional", sagte Hainer am Sonntag während einer Pressekonferenz, bei der die Hintergründe erläutert wurden. Eine einvernehmliche Trennung vom ehemaligen Nationaltorhüter konnte nicht erzielt werden, daher war schließlich hat te es am Freitag einer außenordentlichen Aufsichtsratssitzung bedurft, in deren Folge Kahn entlassen wurde. Kahn widersprach dieser Darstellung. "Die Behauptung, dass ich ausgerastet bin, als ich über die Abberufung informiert wurde, stimmt de nitiv nicht", schrieb er bei Twit ter. Er habe am Telefon mit Hainer "ein ruhiges und sachliches Gespräch" geführt und sich "lediglich über diesen Aktionismus gewundert, warum diese Entscheidung nun vorgezogen wurde."
Kahn hatte 2021 die Nachfolge von Karl-Heinz Rummenigge angetreten, Salihamidzic bereits 2017 zunächst das Amt als Sportdirektor übernommen. Der gebürtige Bosnier stand im Laufe der Saison wegen der getätigten Transfers in der Kritik. Trotz der glücklich errungenen Meisterschaft hat der FC Bay ern seine Ziele verfehlt und insgesamt - inklusive der Entlassungen Kahns und Salihamidzics kurz nach Abp - kein gutes Bild abgegeben. Die überstürzt wirkende Entlassung von Trainer Julian Nagelsmann im März brachte nicht den erwünschten Erfolg: Unter Nachfolger Thomas Tuchel schied der FC Bay ern zunächst gegen den SC Freiburg aus dem DFB-Pokal und wenig später gegen Manchester City aus der Champions League aus. Kahn stand auch bei den Fans in der Kritik. Viele warfen ihm vor, er führe den FC Bay ern nicht wie einen Fußballklub mit Herz, sondern wie ein Wirtschaftsunternehmen.
Dreesen übernimmt, Rummenigge soll zurückkehren
Neuer starker Mann beim FC Bay - ern wird nun der bisherige Finanzvorstand Jan-Christian Dreesen. "Jan-Christian Dreesen hat in den vergangenen zehn Jahren für den FC Bay ern herausragend gute Arbeit geleistet. Er lebt den FC Bay - ern, kennt den Verein aus dem E - e und weiß, worauf es hier ankommt", ließ Bay ern-Präsident Hainer mitteilen: "Er kann ohne Eingewöhnungszeit anpacken, und genau das braucht der FC Bay ern in der aktuellen Situation."
Auch Dreesen selbst äußerte sich bereits am Samstag: "Eigentlich hatte meine Lebensplanung etwas anderes vorgesehen - aber wenn der FC Bay ern ruft, lässt man alles andere stehen und liegen", gab der 55-Jährige bekannt. "Ich werde weiterhin meine gesamte Energie einsetzen, um mit dem FC Bay ern in allen Bereichen erfolgreich zu sein und freue mich auf die neue Aufgabe. Wer mich kennt, weiß, wie viel mir der Verein, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie unsere Fans bedeuten."
Neben der Beförderung Dreesens möchte der Verein seinen früheren Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge zurückholen. "Wir werden ihn wieder stärker einbinden und am Dienstag vorschlagen, ihn in den Aufsichtsrat mitaufzunehmen", sagte Hainer. Rummenigge habe "unheimlich große Verdienste für den Klub und ist im europäischen Fußball sehr angesehen", führte Hainer aus. Mit dem 67-Jährigen komme "noch mehr sport liche Expertise hinzu".
Bei der Nachfolge Salihamidzics plant der FC Bay ern eine namhafte Lösung. "Wir suchen ein großes Kaliber", sagte Hainer am Sonntagabend bei der Meisterfeier auf dem Münchener Marienplatz im ARD-Interview. "Wir sind schon unterwegs, wir haben Ideen." Spekuliert wird über den ehemaligen Bay ern-Pro Max Eberl, den Bay ern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß schon vor einigen Jahren nach München lotsen wollte. Der 49-jährige Eberl war aber erst Ende letzten Jahres nach einer privaten Auszeit als Geschäftsführer Sport beim DFB-Pokal nalisten RB Leipzig eingestiegen. Auch Eintracht Frankfurts Sportchef Markus Krösche wird gehandelt.
Enttäuschter Thomas Tuchel
Insgesamt bleibt viel zerschlagenes Porzellan zurück. Die Vereinsführung wird wohl einige Zeit brauchen, um bei den Spielern, dem Trainer und den Fans wieder Vertrauen aufzubauen. Sinnbildlich für die Verunsicherung, die in der Bay ern-Mannschaft nach dem glücklich-positiven Saisonausgang herrschte, stand Thomas Tuchel, der mit der Entlassung Kahns und Salihamidzics seine beiden Vertrauensleute im Verein verloren hat
"Hasan hat mich vor knapp acht Wochen mit Oliver Kahn angerufen, mich überredet und überzeugt, dass wir das zusammen machen", sagte Tuchel kopfschüttelnd. "Die beiden waren maßgeblich daran beteiligt, dass wir auf diese Reise gehen und uns das zugetraut wurde. Ich habe auch meine Co-Trainer überredet und überzeugt - und da ziehen Familien um."
Tuchel kündigte an, nach der Saison nun erstmal in München zu bleiben und die nächsten Entscheidungen abzuwarten und auch seine Meinung zu sagen. Man kann im Sinne des FC Bay ern nur hoffen, dass Tuchel mit den Lösungen, die gefunden werden, gut leben kann. Ansonsten wäre er wohl konsequent genug zu sagen, dass es auch für ihn in München nicht mehr passt. Dann müsste der FC Bay ern neben einem neuen Sportvorstand und einigen neuen Spielern auch noch (und schon wieder) einen neuen Trainer suchen.
Klubpräsident Hainer klang ob der Zweifel überrascht. "Wir sind von Thomas Tuchel absolut überzeugt", sagte er und ergänzte, er wüsste nicht, warum Tuchel im Sommer "bei uns nicht Trainer sein sollte". Vielleicht weiß es Thomas Tuchel...