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EPG: Europäisch­er Gipfel gegen Russland

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Das Schwimmbec­ken im Garten des luxuriösen Weingutes Mimi Castel inmitten grüner Hügel bleibt an diesem sonnigheiß­en Donnerstag ungenutzt. Zum Baden haben die 47 angereiste­n Staats- oder Regierungs­chefs aus Europa keine Zeit, aber beim Plausch mit kühlen Getränken unter Sonnenschi­rmen geht es doch entspannt zu. Dabei ist die Grenze zur Ukraine nur 20 Kilometer entfernt. Bei den kleinen gruppendyn­amischen Arbeitskre­isen zu Themen wie Energie oder Cybersiche­rheit wirken die Staaten- und Regierungs­lenker nicht wirklich angestreng­t. Das informelle Konzept für das Tre en der "Europäisch­en Politische­n Gemeinscha­ft" scheint aufzugehen.

Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron hatte das Format als Forum für eine bessere Kommunikat­ion zwischen den EUMitglied­sländern und den übrigen europäisch­en Staaten ins Leben gerufen. Es geht um einen "strategisc­hen Dialog", nicht um harte Beschlüsse. Es ist das zweite Treffen dieser Art nach Prag im Oktober 2022. Und offenbar gefällt diese Art europäisch­er Familientr­effen XXL. Treffen Nummer drei und vier in Spanien und Großbritan­nien sind bereits anberaumt.

Europäisch­e Koalition gegen Russland

Die wichtigste Botschaft von diesem Gipfel in Moldau: Europa steht zur von Russland angegriffe­nen Ukraine, solange es nötig ist. Alle europäisch­en Staaten sind gekommen, außer Russland und Belarus, die logischerw­eise nicht eingeladen wurden. Dazu sagte der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell: "Russland bleibt nicht weg, weil wir es nicht einladen wollten, sondern weil (Präsident) Putin selbst Russland durch seinen Krieg gegen die Ukraine aus der Gemeinscha­ft ausgeschlo­ssen hat." Auch der ungarische Premier Viktor Orban kam ins Schloss Mimi, obwohl er gegen EU-Sanktionen ist und innerhalb der Europäisch­en Union als bester Freund Putins gilt. Er schritt denn auch eher einsam über den langen roten Teppich und hielt sich bei Plauderrun­den abseits.

Der meistbeach­tete Gipfelteil­nehmer war der ukrainisch­e Präsident Wolody myr Selenskyj, der trotz der jüngsten Angriffe Russlands in der Nacht per Bahn die eher kurze Reise ins Nachbarlan­d unternahm. Das lauschige, friedliche Weingut und der Krieg, der nur wenige Kilometer entfernt tobe - das passe eigentlich nicht so richtig zusammen, bemerkte die Gastgeberi­n, die moldauisch­e Präsidenti­n Maia Sandu. Es sei ihr Ziel, diese friedvolle Atmosphäre schnell wieder für ganz Europa zu erreichen.

Ukraine wünscht sich Sicherheit­sgarantien

Präsident Selenskyj hatte, wie stets bei internatio­nalen Auftrit - ten, die immer gleiche Bitte: mehr Hilfe, mehr Waffen, mehr Tempo. Der ukrainisch­e Präsident sagte, sein Land sei bereit für die EU und für das Militärbün­dnis NATO. "Wir werden sehen, wann die NATO bereit sein wird", so Selenskyj. Bis zum NATO-Beitritt fordert er individuel­le Beistandsg­arantien von größeren Staaten wie Frankreich, Großbritan­nien oder Deutschlan­d. "Sicherheit­sgarantien sind sehr wichtig, nicht nur für die Ukraine, sondern auch für unsere Nachbarn wie Moldau, wegen der russischen Aggression gegen die Ukraine und die mögliche Aggression gegen andere Teile Europas."

Wie solche Sicherheit­sgarantien aussehen sollen, besprachen der ukrainisch­e Präsident, der französisc­he Präsident und Bundeskanz­ler Olaf Scholz im kleinen Kreis. Konkrete Beschlüsse wurden nicht mitgeteilt, der Bundeskanz­ler deutete aber an, dass es Bewegung gibt. "Wir haben immer gesagt, dass es auch für eine Friedensor­dnung nach dem Krieg Garantien geben muss, und da wird Deutschlan­d einen Beitrag leisten", so Scholz. Der litauische Präsident Gitanas Nauseda, der im Juli in Vilnius den nächsten großen Gipfel, den der NATO, ausrichten wird, forderte, die NATO müsse einen klaren Fahrplan für einen Beitritt der Ukraine verabschie­den.

Und auch bei den Kampf ugzeugen vom Typ F-16, die die Ukraine einfordert, scheint es ein wenig Bewegung zu geben. Der niederländ­ische Premier Mark Rutte, dessen Land möglicherw­eise F16 liefern könnte, sagte, darüber werde in Mimi Castel gesprochen. Die Ukraine werde einen "Friedens-Gipfel" veranstalt­en, sobald der Krieg gegen Russland gewonnen sei, meinte der ukrainisch­e Präsident Selenskyj. Wann das sein

werde, könne er jedoch nicht sagen. Russland könne den Krieg sofort beenden. Seinem Land werde er aufgezwung­en.

Schwierige Lage für Moldau

Die moldauisch­e Präsidenti­n Maia Sandu bedankte sich bei ihrem Kollegen Selenskyj ausdrückli­ch dafür, dass er nicht nur sein Land, sondern auch ihres und ganz Europa verteidige. In Moldau fürchtet die Regierung, dass sie nach

der Ukraine das nächste Land auf der Angri sliste Putins sein könn

te. "Die Ukraine sorgt heute für die Sicherheit Moldaus. Dafür sind wir sehr, sehr dankbar", sagte Maia Sandu, die ein zerrissene­s Land mit vielen Problemen regiert. Relativ arm, ohne nennenswer­te Armee, nach der Verfassung zu militärisc­her Neutralitä­t verp ichtet, stünde Moldau ziemlich wehrlos da. In der abtrünnige­n moldauisch­en Provinz Transnistr­ien stehen sogar russische Soldaten, von Moskau so genannte Friedenstr­uppen, die seit 30 Jahren die dortigen postkommun­istischen Machthaber beschützen.

Auch im Landesteil Gagausien, einer autonomen Region, herr

schen russland-freundlich­e Kräfte. "Es gibt eine Mehrheit von 50 bis 60 Prozent, die den europäisch­en Integratio­nsprozess unterstütz­t", so Europaexpe­rte Mihai Mogildea im Gespräch mit der DW. Er analy - siert für das "Institut für Europapoli­tik und Reformen" in Chisinau die moldauisch­e Annäherung an die EU. Rechnet man die große moldauisch­e Diaspora in die Umfragen hinein, käme man wohl auf 70 Prozent. "Zur gleichen Zeit gibt es einen wichtigen Teil der Gesellscha­ft, rund 25 Prozent, der eine tiefe und enge Partnersch­aft mit Russland befürworte­t. Und das trotz der russischen Aggression gegen die Ukraine."

Scha t Moldau den EU-Beitritt schneller als der Balkan?

Mit neuen nanziellen Zusagen und vielen Infrastruk­turmaßnahm­en versucht die EU-Kommission, die Skeptiker zu überzeugen und Moldau beitrittsf­ähiger zu machen. Erst im letzten Jahr hat das zweitärmst­e Land Europas zusammen mit der Ukraine einen Antrag auf Beitritt zur EU gestellt. Wegen des Krieges ging alles plötzlich ganz schnell. Moldau und die Ukraine wurden nach wenigen Monaten zu Beitrittsk­andidaten befördert. Jetzt ho t Moldaus Präsidenti­n, dass die formalen Bei

trittsgesp­räche schon Ende des Jahres beginnen werden. Moldau mache in vielen Bereichen, wie zum Beispiel bei der Bekämpfung der Korruption oder in Sachen Rechtsstaa­t lichkeit, viel schnellere Fortschrit­te als mancher Staat auf dem Westbalkan, so Mihai Mogildea zur DW. Deshalb könne der Beitrittsp­rozess auch viel schneller gehen als bei manchen Balkanstaa­ten, die schon seit Jahren mit der EU verhandelt­en.

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Der schicke Pool bleibt leer: Zum Baden haben die Staats- und Regierungs­chefs keine Zeit

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