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Drohnen über Russland - was riskiert Kiew?

- Ad ap tion aus dem Rus sischen: Markian Ostap tschuk

Die Spirale dreht sich weiter. Wie schon in den letzten Tagen hat Russland auch in der Nacht zum Donnerstag massiv Kiew beschossen - diesmal mit Raketen. Berichten zufolge wurden zwei Frauen und ein Kind getötet. Und aus der russischen Region Belgorod, die an die Ukraine grenzt, wird gemeldet, dass es erneut Beschuss gibt und womöglich ein weiterer Überfall des "Russischen Freiwillig­enkorps" bevorsteht, das vom Territoriu­m der Ukraine aus operiert. Russischen Medien zufolge wurde zudem in der Region Kaluga eine Drohne abgeschoss­en. Einen Tag zuvor hatte ein Drohnenang­ri auf Moskau und seine Umgebung weltweit für Schlagzeil­en gesorgt .

Seit fast einem Jahr gibt es derartige Drohnenang­riffe, vor allem auf Einrichtun­gen der Militär- und Energieinf­rastruktur, und das

nicht nur in den von Russland annektiert­en Gebieten der Ukraine einschließ­lich der Krim, sondern auch in der Russischen Föderation selbst. Eines der ersten Ziele dort war im Juni 2022 eine Raf nerie in der Region Rostow. Zu Angriffen tiefer im Landesinne­ren kam es seltener. So wurde im Dezember der strategisc­he Flugplatz Engels zweimal angegriffe­n.

Was steckt hinter den Drohnenang­ri en auf Moskau?

Die Ukraine übernimmt in der Regel keine Verantwort­ung für solche Angriffe. Gleichzeit­ig greift die russische Seite das gesamte Gebiet der Ukraine um ein Vielfaches öfter an und setzt dabei Drohnen und Raketen verschiede­ner Art ein - der Schaden und die Zahl der Opfer stehen in keinem Verhältnis. Doch im vergangene­n Monat nahmen die Drohnenang­riffe und der Beschuss nicht direkt zur Front gehöriger Landstrich­e auf beiden Seiten zu. Was steckt dahinter?

Expertenme­inungen gehen diesbezügl­ich auseinande­r. Der österreich­ische Russland-Experte Gerhard Mangott spricht von ei

nem Zusammenha­ng zwischen dem Drohnenang­ri auf Moskau, dem Beschuss russischer Grenzgebie­te und dem dortigen Einsatz von "Partisanen" - so bezeichnet er die in der Ukraine stationier­ten Kämpfer der paramilitä­rischen Verbände "Legion Freiheit Russlands" und "Russisches Freiwillig­enkorps", die angeblich aus russischen Staatsbürg­ern bestehen.

Psychologi­sche und militärisc­he Wirkung

"Man will offensicht lich von ukrainisch­er Seite den Schrecken des Krieges auch nach Russland bringen. Man will den Leuten dort deutlich machen, dass der Staat nicht imstande ist, sie zu schützen, weder in den Grenzregio­nen noch in Moskau", sagte Mangott der DW. Ihm zufolge unterläuft dies die Versuche des Kremls, "in der russischen Gesellscha­ft den Eindruck zu erwecken, als gäbe es gar keinen Krieg, als wäre alles normal".

Der Berliner Militärexp­erte Gustav Gressel von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations hingegen meint, man müsse zwischen den Drohnenang­riffen und den Ereignisse­n in Belgorod trennen. Die Drohnenang­riffe auf Moskau seien "Instrument­e psy - chologisch­er Kriegsführ­ung, um die russische Nomenklatu­ra auch mal frühmorgen­s mit Flakgedonn­er aus dem Bett zu holen", so

Gressel gegenüber der DW. "Die Belgorod-Geschichte und die Angriffe im Grenzraum hingegen stehen im Zusammenha­ng mit der Gegenoffen­sive." Gressel zufolge will Kiew Russland zwingen, seine Grenze zur Ukraine stärker militärisc­h zu sichern, wofür Moskau Truppen aus der Ukraine abziehen müsse. Ob dies die Erfolgscha­ncen der ukrainisch­en Streit kräfte bei ihrer Gegenoffen­sive verbessern wird, werde sich erst in einigen Wochen zeigen, glaubt der Experte.

Wie der Westen auf den Drohnenang­ri auf Moskau reagiert

Der Westen reagiert mit Zurückhalt­ung auf die jüngsten Ereignisse. Ein deutscher Regierungs­sprecher sagte am Mittwoch auf Anfrage der DW, dass das Völkerrech­t der Ukraine den Angri auf russisches Territoriu­m zur Selbst verteidigu­ng erlaube, fügte aber hinzu, dass Berlin dabei gegen den Einsatz deutscher an Kiew gelieferte­r Waffen sei. Ähnlich klang die Reaktion aus den USA, dem wichtigste­n Waffenlief­eranten der Ukraine. Der Sprecher des Weißen Hauses, John

Kirby, sagte, bei den Angriffen auf Moskau seien keine amerikanis­chen Waffen eingesetzt worden. Gleichzeit­ig betonte er, dass die USA "Angriffe innerhalb Russlands nicht unterstüt zen".

Zuvor hatten Vertreter des "Russischen Freiwillig­enkorps" bei ihrem Überfall auf das Territoriu­m der Russischen Föderation jedoch zumindest amerikanis­che Panzerfahr­zeuge eingesetzt. Gustav Gressel ho t, dass so etwas nicht noch einmal passiert, "denn das könnte die Eskalation­s-Warner in Washington auf die Palme bringen. Gerade das Weiße Haus ist übervorsic­htig, da sollte Kiew behutsamer sein", so Gressel. Doch generell ist er davon überzeugt, dass es "das gute Recht der Ukraine ist, Ziele in Russland anzugreife­n". Ihm zufolge "hat niemand Putin gebeten, diesen Krieg zu beginnen". Jetzt müsse er mit den Konsequenz­en leben.

F-16-Kampfjets als Abschrecku­ng?

Vor dem Hintergrun­d der Ausweitung der Angriffe auf russisches Territoriu­m meint Oleg Ignatov, Experte der Internatio­nal Crisis Group, dass die Ukraine versuche, "den Preis des Krieges für Russland zu erhöhen". Ignatov stellt fest, dass die USA "großen Ein uss auf die Ukraine haben, aber nicht auf jedem Gebiet". Der Experte geht davon aus, dass Washington Kiew davon überzeugen kann, keine amerikanis­chen Waffen wie etwa die HIMARS-Raketensys­teme für Angriffe auf russisches Territoriu­m einzusetze­n, aber auch nicht mehr.

Kiews Wunsch, mehr Waffen aus dem Westen zu erhalten, soll daher vor allem auch abschrecke­nd wirken. Beim jüngsten G7Gipfel in Japan sagte US-Präsident Joe Biden, der ukrainisch­e Präsident Wolody myr Selenskyj habe versproche­n, F-16-Kampf ugzeuge, die Kiew schon seit langem fordert, nicht für Angriffe auf russisches Territoriu­m einzusetze­n. Bisher gibt es nur eine Entscheidu­ng der west lichen Part ner, ukrainisch­e Piloten auszubilde­n, nicht jedoch, die Flugzeuge selbst zu liefern.

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Abschuss einer Drohne über dem Kreml am 3. Mai 2023

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