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Warummagme­inHundmich nach meiner Fehlgeburt nichtmehr?

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Anna ging es schon seit Tagen schlecht. Die junge Selbststän­dige aus dem US-Bundesstaa­t Virginia konnte sich nicht erklären, was los war – und dann gesellte sich noch ein weiteres Problem zu ihrer Übelkeit und der Unsicherhe­it: Ihr Hund benahm sich au allend seltsam. Lulu, ein Pudel, der normalerwe­ise mehr an Anna hing als an ihrem Ehemann, wollte plötzlich nicht mehr in ihrer Nähe sein.

Wie sich herausstel­lte, war Anna schwanger. Das fand sie aber erst nach starken Blutungen und einem Aufenthalt in der Notaufnahm­e heraus. Dort sagte man ihr, dass ihr eine Hochrisiko­schwangers­chaft bevorstünd­e, falls der Fötus überleben sollte.

Sie und ihr Mann kehrten im Schockzust­and aus dem Krankenhau­s zurück. Für Anna war es der härteste Tag ihres Lebens. Alles, was sie wollte, war, sich Zuhause hinzulegen und mit ihrem Hund zu kuscheln. Aber Lulu weigerte sich.

Anna, die eigentlich anders heißt, sagt, sie war wütend auf ihren Hund. Sie hatte das Gefühl, dass Lulu sie während der Zeit, in der es ihr besonders schlecht ging, ignorierte.

"Sie schlief nicht mehr neben mir, so wie sie es sonst fast jede Nacht tat, seit wir sie haben", erzählt Anna im DW-Gespräch. "Sie wollte nur noch neben meinem Mann schlafen, was sie vorher noch nie getan hatte."

Einige Tage später verstarb der Fötus. Anna hatte Unterstütz­ung noch nie so nötig wie in dieser Zeit, doch Lulu kam ihr weiterhin nicht zu nahe. Das abweisende Verhalten ihres Hundes machte ihr schwer zu schaffen. "Ich dachte immer, Hunde sollen dir bedingungs­lose Liebe zeigen", sagt Anna.

Hunde riechen Veränderun­gen im menschlich­en Hormonspie­gel

Nach Annas Curettage, bei der die Überreste des Fötus entfernt wurden, dauerte es noch einige Tage bis sich Lulu wieder normal verhielt. Heute ist sie "sehr viel liebevolle­r" und kuschelt auch wieder mit Anna.

Aber warum hatte sich das Verhalten des Tieres so drastisch verändert?

"Hunde riechen Pheromone und bei einer Schwangers­chaft oder nach einer Fehlgeburt verändert sich der Geruch ihrer Bezugspers­on", sagt Hundetrain­erin Sissy Leonie Kreid, die Tierwissen­schaften an der Universitä­t Wageningen in den Niederland­en studiert und die"Akademie Hund" in Regensburg gegründet hat.

Kreid sagt, solche Änderungen im Hormonspie­gel eines Menschen können das Verhalten eines Hundes beein ussen. Aber das ist nicht die einzig mögliche Erklärung für das, was zwischen Anna und Lulu passiert ist.

"Menschen verhalten sich nach einer Fehlgeburt anders, sie werden trauriger, vielleicht sogar ver

zweifelt. Der Hund versteht diese Veränderun­g nicht und braucht Zeit, um sich daran zu gewöhnen", sagt Kreid.

Genau das erlebte Anna mit ihrem Hund.

"Es tut mir leid, dass Lulu total verwirrt gewesen sein muss", sagt Anna. "Also jetzt tut es mir leid. Zu dem Zeitpunkt war ich einfach nur wütend."

Kreid sagt, dass das Verhalten des Hundes sich wahrschein­lich normalisie­rt, wenn das auch die menschlich­en Hormone nach einem Ereignis wie einer Fehlgeburt tun. Normalerwe­ise ist der Hund nach wenigen Wochen wieder der Alte, manchmal – wie im Falle von Annas Pudel – auch schon nach wenigen Tagen.

Wenn der Hund als erster von der Schwangers­chaft weiß

Hunde können Lawinenopf­er nden oder Menschen, die nach einem Erdbeben unter den Trümmern begraben wurden. Auch im Gesundheit­sbereich sind die Tiere gefragt: Sie können Krebs oder COVID-19 erschnüffe­ln. Und manchmal wissen sie schon sehr früh, dass ein Mensch in ihrem Umfeld schwanger ist.

"[Mein Hund] mied mich schon, bevor ich selbst von der Schwan

gerschaft wusste", sagt Anna.

Basierend auf ihrer jahrelange­n Erfahrung mit hunderten von Hunden und ihren menschlich­en Familien sagt Kreid, dass Hunde es merken, wenn Veränderun­g in der Luft liegt.

"Wir haben keine wissenscha­ftlichen Daten dazu, ob Hunde wissen, was genau diese Veränderun­g ist. Aber an ihrem Verhalten können wir sehen, dass sie offensicht­lich wahrgenomm­en haben, dass et was anders ist", so Kreid.

Von Phantomsch­wangerscha­ft bis Wachhund-Verhalten

Benedict, ein

Fit nesstraine­r aus

Bonn, bestätigt, dass Familienhu­nd Merle es de nitiv bemerkte, als Benedicts Frau mit ihrem ersten Kind schwanger war.

"Merle hatte auf einmal diesen Nestbautri­eb", erzählt Benedict im DW-Gespräch. "Sie hat Kuscheltie­re zusammenge­sammelt und sich eine gemütliche Ecke eingericht­et. Es war, als hätte sie eine Phantomsch­wangerscha­ft."

Andere Hunde werden extrem anhänglich oder legen ein streng bewachende­s Verhalten an den Tag, wenn jemand in ihrer menschlich­en Familie schwanger ist, sagt Kreid.

"Der Hund wird dann vielleicht

kontrollie­rend und beschützen­d und erlaubt es nicht, dass eine ihm fremde Person neben der Schwangere­n sitzt", sagt die Expertin. "Sie können auch aggressiv Geräusche, die von draußen ins Haus dringen, verbellen."

In einem solchen Fall emp ehlt Kreid dringend, einen Experten oder eine Expertin für Hundeverha­lten heranzuzie­hen, weil sich die Situation sonst noch verschlimm­ern könnte, sobald das Baby da ist. Ein Grund: Hunde können Eifersucht emp nden, wie eine USStudie von 2014 herausfand.

"Empathie mit dem Hund muss die erste Reaktion sein", sagt Kreid. "Wenn ein Baby unterwegs ist, ist das eine unsichere, verwirrend­e Situation für den Hund. Das kann es für die Menschen auch sein – aber der Hund hat viel weniger Kontrolle darüber, also kann er nervös oder neurotisch werden. Da ist es wichtig, Verständni­s zu zeigen."

Den Hund aufs Baby vorbereite­n

Wenn die Familie ein Baby erwartet, emp ehlt es sich, den Hund so früh wie möglich darauf vorzuberei­ten. Ein guter Schritt ist es beispielsw­eise, jemand anderen als die schwangere Person auszuwähle­n, der oder die für die Fütterung des Hundes und fürs Spaziereng­ehen zuständig ist – und damit langsam früh in der Schwangers­chaft beginnt. So gibt es keine abrupte Änderung, wenn die schwangere Person irgendwann nicht mehr zu diesen Tätigkeite­n

in der Lage ist.

Außerdem ist es eine gute Idee, den Hund an Babygeräus­che zu gewöhnen. Man könne beispielsw­eise Weinen und Quengeln auf dem Handy abspielen und damit immer wieder am Hund vorbeigehe­n, damit er später "nicht aufspringt oder bellt, wenn man ein weinendes Baby herumträgt", sagt Kreid.

Es gibt also schon vor der Geburt viel zu tun. Für die Zeit danach lautet Kreids wichtigste­r Rat: Baby und Hund niemals allein miteinande­r lassen.

 ?? ?? Wenn Hunde verwirrt oder überforder­t sind, wollen sie möglicherw­eise nicht mehr neben Menschen schlafen, die ihnen vorher nahestande­n.
Wenn Hunde verwirrt oder überforder­t sind, wollen sie möglicherw­eise nicht mehr neben Menschen schlafen, die ihnen vorher nahestande­n.

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