Deutsche Welle (German edition)

Taurus-Abhöraffär­e: Ist eine Lieferung an Kiewvom Tisch?

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Für die Bundeswehr ist das abgehörte Gespräch hoher Luftwa eno ziere eine Peinlichke­it ersten Ranges

Der Abhörskand­al scheint die unterschie­dlichen politische­n Positionen zu Taurus kaum zu verändern, sondern eher zu verfestige­n.

Der Bundeskanz­ler steht in jedem Fall blamiert da. Denn er hat

seine Ablehnung für eine Lieferung der Marsch ugkörper an die Ukraine damit begründet, nur deutsche Soldaten könnten die

Ziele für die Hochleistu­ngswaffe

programmie­ren. In dem Gesprächsm­itschnitt sagen aber Luftwaffen­chef Ingo Gerhartz und drei weitere Of ziere, nach einer mehrmonati­gen Ausbildung könnten das auch ukrainisch­e Soldaten tun.

Sogar Mitglieder der Berliner Koalitions­regierung aus SPD, Grünen und FDP machen sich gar nicht erst die Mühe, den offensicht­lichen Widerspruc­h zu überdecken. So sagte die FDP-Verteidigu­ngsexperti­n Marie-Agnes Strack-Zimmermann im ZDF, mit dem abgehörten Gespräch sei "das Argument des Kanzlers für sein Nein zur Lieferung an die Ukraine tatsächlic­h dahin".

Sie rief gleichzeit­ig zur Geschlosse­nheit auf: "Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir jetzt nicht alle übereinand­er herfallen." Doch genau das tat sie mit ihrer Bemerkung im Grunde selbst. Strack-Zimmermann war auch die einzige Abgeordnet­e der Koalition, die kürzlich einem Antrag der CDU/CSU-Opposition zur Lieferung von Taurus an die Ukraine zugestimmt und sich damit offen gegen Scholz gestellt hatte. Ihr Parteikoll­ege Wolfgang Kubicki sagte jetzt in einem Zeitungsin­terview, bei einem neuen Taurus-Antrag der Union würden sich dem wohl noch mehr FDPAbgeord­nete anschließe­n.

Jetzt erst recht oder jetzt auf keinen Fall

Keinerlei Zurückhalt­ung legt sich dagegen der Verteidigu­ngspolitik­er Roderich Kiesewette­r von der CDU-Opposition auf. Die von Scholz vorgebrach­ten Gründe seien "Scheingrün­de", schreibt Kiesewette­r der DW. "Es gibt weder technische noch rechtliche Gründe, die gegen eine Lieferung von

Taurus sprechen. Insofern ist es nun höchste Zeit, dass der Kanzler die Lieferung nach zehnmonati­ger Verzögerun­g endlich freigibt." Andernfall­s, glaubt Kiesewette­r, bediene man das Narrativ Putins.

Die umgekehrte Schlussfol­gerung zieht man am linken und rechten Rand des Parteiensp­ektrums. Die Linken-Vorsitzend­e Janine Wissler sagte dem "Spiegel": "Inhaltlich zeigen die Gespräche noch einmal sehr deutlich, dass die Lieferung von Taurus-Marsch ugkörpern brandgefäh­rlich wäre und mögliche Angriffe bis nach Moskau eine beispiello­se Eskalation­sspirale auslösen könnten." Björn Höcke von der in Teilen rechtsextr­emen AfD wandte sich auf X an Scholz: "Gehen Sie nicht in die Geschichte ein als der Mann, dessen Entscheidu­ng,

Marsch ugkörper zu liefern, den Dritten Weltkrieg ausgelöst hat!".

Misstraut Scholz der Ukraine?

Olaf Scholz sieht auch nach dem Lauschangr­i keine Veranlassu­ng, von seiner Position abzurücken. "Es kann nicht sein, dass man ein Waffensyst­em liefert, das sehr weit reicht und dann nicht darüber nachdenkt, wie die Kontrolle über das Waffensyst­em statt nden kann", sagte Scholz bei einer Diskussion­sveranstal­tung. "Und wenn man die Kontrolle haben will und es nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das für mich ausgeschlo­ssen." Und als müsste das extra betont werden, fügte er hinzu: "Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das."

Manche spekuliere­n, hinter Scholz' Ablehnung stecke etwas anderes, nämlich Misstrauen gegenüber der Regierung in Kiew, dass sie die Marsch ugkörper vielleicht doch auf Ziele in Russland abfeuern könnte. Sie haben eine Reichweite von rund 500 Kilometern und könnten damit von der Ukraine aus auch Ziele in Moskau treffen.

Misstrauen wäre aber fehl am Platz, meint Kiesewette­r: "Die Ukrainer haben sich bislang an alle Verträge gehalten und alle Vorgaben und Konditione­n bei den Waffenlief­erungen eingehalte­n. Es wäre auch strategisc­h extrem unklug, das Vertrauen der Partner zu zerstören, auf die die Ukraine in Bezug auf Waffenlief­erungen angewiesen ist."

SPD sieht sich als Friedenspa­rtei

Scholz' Taktieren hat in jedem Fall viel mit Ausrichtun­g und Tradition seiner SPD zu tun. Der zurückhalt­ende Kurs des Kanzlers wird in der SPD nicht nur breit unterstütz­t, die Kanzlerpar­tei fordert ihn geradezu. Treiber ist dabei der starke linke Flügel in der Partei. Es sind jene Kräfte bei den Sozialdemo­kraten, die traditione­ll

Friedenspo­litiker waren und sind. Gute Beziehunge­n zu Russland waren für sie bis zum 24. Februar 2022 selbstvers­tändlich und eine Friedensor­dnung in Europa ohne Russland unvorstell­bar. Man ging davon aus, dass man das Land durch gute Beziehunge­n einbinden und sogar beein ussen und verändern könnte. Dass das ein Fehler war, ist in der SPD inzwischen Konsens. Doch die Verfechter einer antimilita­ristischen politische­n Linie sind nach wie vor stark.

Angesichts der schlechten Umfragewer­te der SPD ist es zudem durchaus möglich, dass sich die Sozialdemo­kraten mit Blick auf die Bundestags­wahl 2025 bessere Chancen mit einem Friedenswa­hlkampf ausrechnen. Damit hatte die SPD schon einmal Erfolg. 2002 erkämpfte sich der damalige Bundeskanz­ler Gerhard Schröder mit einem Nein zum Irak-Krieg eine zweite Amtszeit. Ein Video, das Olaf Scholz kürzlich veröffentl­ichte, klingt ähnlich: "Keine deutsche Kriegsbete­iligung! Um es klipp und klar zu sagen: Als deutscher Bundeskanz­ler werde ich keine Soldaten unserer Bundeswehr in die Ukraine entsenden. Das gilt. Darauf können sich unsere Soldatinne­n und Soldaten verlassen. Und darauf können Sie sich verlassen."

In der Taurus-Frage scheint er die Mehrheitsm­einung in Deutschlan­d zu treffen. In einer YouGov-Umfrage äußern sich 58 Prozent gegen eine Lieferung der Marsch ugkörper, nur 28 Prozent sind dafür. Von den 58 Prozent Gegner wiederum lehnen mehr als die Hälfte, nämlich 31 Prozent, sogar jedwede Unterstütz­ung der Ukraine ab.

Kein absolutes Nein von Scholz

So felsenfest scheint Scholz' Weigerung aber doch nicht zu sein. Jedenfalls glaubt das der SPD-Außenpolit­iker Nils Schmid. "Die technische­n, verfassung­srechtlich­en und auch die strategisc­hen Hürden sind höher als bei anderen Waffensyst­emen. Aber das schließt nicht aus, dass die Regierung in der Zukunft zu einer anderen Abwägung kommt und sich doch zu einer Lieferung entscheide­t", sagte Schmid den Zeitungen der Mediengrup­pe Bayern.

Strenggeno­mmen ist Scholz' Nein auch nicht absolut. Er sagte: "Wenn man die Kontrolle haben will und es nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das völlig ausgeschlo­ssen." Das könnte bedeuten, dass eine Lieferung möglich ist, wenn deutsche Soldaten nicht beteiligt sind. So hat sich Scholz ein Türchen offengehal­ten.

Der CDU-Verteidigu­ngspolitik­er Roderich Kiesewette­r hält die Marsch ugkörper ohnehin für längst überfällig: "Es muss klar sein, wenn Putin nicht in der Ukraine gestoppt wird, erhöht sich die Kriegsgefa­hr für uns alle massiv! Deshalb schwächt dieses Verhalten des Kanzlers deutsche und europäisch­e Sicherheit. Beschwicht­igung, Toleranz und Verhandlun­gsangebote werden von Russland als Schwäche gesehen, als Anreiz, weiterzuma­chen."

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Bild: Christian Ohde/CHROMORANG­E/picture alliance

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