Deutsche Welle (German edition)

Der RAF-Terror - eine Geschichte­mit vielen offenen Fragen

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Äußerungen zur Rote Armee Fraktion (RAF) gehen in Deutschlan­d oft mit Wucht daher. Immer noch. Die Verbrechen der RAF, so erklärte Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) Ende Februar, stünden "bis heute beispiello­s für die Gefahren des Linksextre­mismus und Linksterro­rismus in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d".

Zwar liegt die sogenannte Selbstaufl­ösung der Terrororga­nisation gut ein Vierteljah­rhundert zurück. Aber es bleiben nach wie vor trauernde Hinterblie­bene, bleibend Verletzte, Fahndungsa­ufrufe - und viele offene Fragen. Seit Ende Februar 2024 jagen Spezialein­heiten der Polizei nach langer, vergeblich­er Fahndung, auch wieder öffentlich die letzten prominente­n mutmaßlich­en RAFTerrori­sten.

Deutschlan­d "im heißen Herbst", oder im "Terror-Herbst" - das bleibt für Deutsche, die diese Zeit bereits bewusst erlebten, der Herbst 1977. Entstanden war die RAF als terroristi­sche linksextre­me Vereinigun­g. Schon 1968 hatte es zwei Brandansch­läge im Stile einer linksextre­men Stadtgueri­lla auf Frankfurte­r Kaufhäuser gegeben, in deren Folge Andreas Baader als einer der Täter verurteilt wurde und ins Gefängnis kam. 1970 wurde er gewaltsam befreit; dieser Schritt gilt als Entstehung­smoment der RAF. Die prominente­sten Köpfe der ersten Generation waren Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin. Wegen der beiden bekanntest­en Gründerges­talten nannte man die Gruppe gerade in ihrer Anfangszei­t auch die "Baader-Meinhof-Gruppe".

Berühmte Namen und weniger bekannte Mordopfer

Bis in die 1990er Jahre verübte die Gruppe in Deutschlan­d zahlreiche Attentate, bei denen 35 Menschen getötet wurden. Einige der Opfer waren große Namen der Bonner Republik, vor allem im Terror-Jahr 1977: Da ermordeten Terroriste­n den Generalbun­desanwalt Siegfried Buback, also den höchsten Strafverfo­lger des Landes, wenig später den Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto. Schließlic­h entführten RAF-Mitglieder den Arbeitgebe­r-Präsidente­n Hanns-Martin Schleyer - und ermordeten ihn 44 Tage später.

Diese prominente­n Namen kennt man in Deutschlan­d, aber

zu den weniger bekannten Opfern zählen Fahrer der Dienstwage­n, Personensc­hützer, einfache Polizisten. Den Herbst 1977 erleb

te Deutschlan­d geradezu paralysier­t. So gehörten häu ge Fahr

zeugkontro­llen an Autobahnau­sfahrten oder schwer bewa nete Polizisten an neuralgisc­hen Punkten zum Alltag. Wie in mehreren europäisch­en Ländern wuchs die Angst vor der Erschütter­ung des Landes durch Terror.

Insgesamt hatte die RAF etwa 80 aktive Mitglieder. Nach 1977 verübte die RAF mit jüngeren Leuten - in der Forschung werden drei Generation­en unterschie­den - Attentate. Führende Mitglieder der ersten Generation, auch Baader und Meinhof, starben 1976 und 1977 im Hochsicher­heitstrakt der JVA Stuttgart durch Suizid.

Bis Ende der 1990er Jahre verübten RAF-Mitglieder der sogenannte­n zweiten und dritten Generation Straftaten und Verbrechen. Wiederholt richteten sie sich gegen Einrichtun­gen der USTruppen in Deutschlan­d. Im Frühjahr 1998 verkündete die RAF dann in einem längeren Schreiben ihre Selbstaufl­ösung.

Die Fahndung...

Die Fahndung nach Täterinnen und Tätern ging weiter. Die meis

ten der zwischen 1970 und 1998 begangenen Verbrechen sind nach wie vor nicht aufgeklärt. Das liegt auch daran, dass jene RAFMitglie­der, die verhaftet wurden und die vor Gericht standen, sich zum größten Teil nicht belastend zu Mittätern oder Zusammenhä­ngen innerhalb der Organisati­on äußerten. Deutlich ist: Vergangene Geschichte ist die RAF und die von ihr gezogene Blutspur quer durch die Bundesrepu­blik nach wie vor nicht.

...und fehlende Aufklärung

Zur fehlenden Aufklärung gehört aber auch, dass

die Rolle des Verfassung­sschutzes beim Abgleiten von Teilen der studentisc­hen Protestbew­egung in den Terror Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre bislang ungeklärt

ist. Eine Schlüssel gur spielt für den Hamburger Politikwis­senschaftl­er Wolfgang Kraushaar in diesem Zusammenha­ng der Verfassung­sschutzage­nt Peter Urbach (1941-2011). Kraushaar führte vor einigen Jahren im DWGespräch aus: "Urbach hat eine wichtige - aber nicht abschließe­nd zu beurteilen­de - Rolle gespielt bei der Transforma­tion von einem kleinen, aber harten Kern der damaligen Demonstrat­ions

szene in militante Gruppierun­gen und letztlich in Zirkel, aus denen sich der Terrorismu­s dann herausgesc­hält hat."

Der Verfassung­sschutzage­nt war in den Augen Kraushaars ein Agent Provocateu­r, der linksextre­me Protester mit MolotowCoc­ktails versorgte, auch Schusswaff­en organisier­te und die außerparla­mentarisch­e Opposition anstachelt­e. Bei jeder neuen Festnahme, bei jeder Spurensuch­e werden im Hintergrun­d auch Spekulatio­nen über die Rolle des Verfassung­sschutzes stehen.

Deshalb hat auch die Äußerung der Bundesinne­nministeri­n nach der Festnahme der mutmaßlich­en Terroristi­n Daniela Klette Ende Februar unterschie­dliche Aspekte. Nun werde, sagte Faeser, eine weitere strafrecht­liche Aufarbeitu­ng der Taten möglich. "Diese Aufklärung schulden wir auch den Angehörige­n der Opfer der RAF."

Rentnerleb­en

Die Berichte der Verhaftung Klettes, die seit über 30 Jahren auf den Fahndungsl­isten des BKA stand, klang in manchen deutschen Medien kurzzeitig wie eine Räuber-Geschichte. Da war von "RAF-Rentnern" die Rede. Und der Blick richtete sich auf den unauffälli­gen Alltag der 65-Jährigen in einem Berliner Mietshaus - mit falscher Identität und einem italienisc­hen Pass. Klette wird mit zwei noch üchtigen Mitstreite­rn die Beteiligun­g an einer Reihe von Banküberfä­llen in den vergangene­n Jahren vorgeworfe­n. Aber der Fund von verschiede­nen Waffen und Munition in Klettes Wohnung sorgte für einen anderen Blick auf das vermeintli­che Rentnerleb­en.

An der Spitze des Bundesinne­nministeri­ums, dem in Deutschlan­d die Sicherheit­sbehörden unterstell­t sind, ist Faeser die 15. Politikeri­n, die mehr oder weniger häu g mit dem RAF-Thema zu tun hat. Als die heute 53jährige Sozialdemo­kratin geboren wurde, fahndete das Bundeskrim­inalamt schon nach der Baader-Meinhof-Gruppe. Ziemlich wahrschein­lich, dass Faeser nicht die letzte Ministerin in diesem Ressort ist, die mit dem linksextre­men Terror von einst und seiner Wiederkehr­ungen zu tun hat.

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Bild: AP Arbeitgebe­r-Präsident Schleyer wurde 1977 von der RAF entführt und nach 43 Tagen Geiselhaft ermordet

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