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Marija Gabriel: Auf demWeg zur Premierministerin Bulgariens?
Marija Gabriel hat die besten Chancen, Bulgariens erste gewählte weibliche Premierministerin zu werden. Denn in den Jahren 1994/95 stand zwar Reneta Indschova bereits an der Spitze einer bulgarischen Regierung - die allerdings nur nur geschäftsführend. Mit etwa 40 Prozent Zustimmung ist Marija Gabriel die zurzeit beliebteste politische Persönlichkeit in Bulgarien, so eine Umfrage von "Alpha Research" von Anfang März 2024. "Sie ist nach wie vor eine der wenigen politischen Persönlichkeiten im bulgarischen politischen Leben mit einem guten Rating, was einen ersten Vertrauensbeweis darstellt", so Boriana Dimitrova, Geschäftsführerin von "Alpha Research".
Eine Frau mit zwei Gesichtern
Marija Gabriel hat einen netten und höflichen Umgang mit ihrem Gegenüber, sie spricht ruhig und lässt den Gesprächspartner ausreden. Am Telefon klingt ihre Stimme sogar ein bisschen unsicher. Im persönlichen Kontakt lächelt sie freundlich, ihr Blick aber bleibt kühl xiert, und sie ist erkennbar auf ihre eigene Agenda konzentriert. Eine Frau mit zwei Gesichtern, so der Eindruck. Sie sei leidenschaftlich und intelligent, sie arbeite hart, sie studiere gründlich die Akten und sei immer gut vorbereitet - so wird Marija Gabriel, die in den nächsten Wochen den Auftrag bekommen wird, eine neue bulgarische Regierung zu bilden, von Insidern in Brüssel beschrieben.
Dort machte sie sich als engagierte und ambitionierte Politikerin einen Namen, wird aber von einigen auch als Führungsfrau beschrieben, die nicht delegieren kann und alle Fäden in der Hand behalten will. Immer wieder fällt in diesem Zusammenhang auch das unschöne Wort vom "Mikromanagement" - sowohl in Brüssel, wo Gabriel jahrelang EUKommissarin war, als auch in So a, wo sie seit neun Monaten als Außenministerin fungiert.
Eine überzeugte Europäerin und politische Ho - nungsträgerin
Gabriel übernahm diesen Posten im Rahmen einer komplizierten Regierungskonstruktion. Ihre Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens), die unter dem langjährigen Ministerpräsidenten Bojko Borissow die letzte Parlamentswahl mit einer hauchdünnen Mehrheit gewann, bildete mit der bürgerlich-liberalen PP/DB-Koalition (Wir führen den Wandel fort/Demokratisches Bulgarien) eine Regierung auf der Grundlage ihrer gemeinsamen euro-atlantischen Werte. In dieser Regierung war Nikolaj Denkow vereinbarungsgemäß für die ersten neun Monate Premierminister, nun soll Marija Gabriel das Amt in wenigen Wochen von ihm übernehmen.
Die 45-jährige Gabriel, die in Brüssel wegen ihres enormen Arbeitspensums geschätzt, wegen ihrer hohen Anforderungen an ihre Mitarbeiter aber auch gefürchtet wurde, dürfte aus der Sicht der EU- und der NATO-Partner eine gute Wahl sein. Sie ist eine überzeugte Europäerin und unterstützt bedingungslos die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russischen Besatzer. Der EVPVorsitzende Manfred Weber hat im vergangenen Jahr ihren Wechsel nach So a mit den Worten begrüßt: "Sie hat die Erfahrung und die internationale Autorität, die politische Stagnation in So a zu überwinden." In diplomatischen Kreisen in Brüssel hieß es damals, wenn eine ehemalige EU-Kommissarin und echte Europäerin
Ministerpräsidentin in Bulgarien werde, wäre das eine sehr positive Botschaft für die EU-Institutionen.
Zieht die Fäden im Hintergrund: Bojko Borissow
Doch Gabriels Nominierung wird überschattet von dem Mann, der sie für dieses Amt vorgeschlagen hat: Bojko Borissow, dem langjährigen Premier. Denn Borissow und seine Parteigenossen werden von vielen internationalen Medien, von ihren politischen Opponenten und früher sogar von
ihren heutigen Regierungspartnern der Korruption und Vetternwirtschaft beschuldigt. Ein von dem Ex-Premier eingesetzter Finanzminister wurde von den USA sogar mit Sanktionen belegt.
Aber auch gegen Marija Gabriel selbst gab es einen Korruptionsverdacht: 2018 wurde sie von einer Nichtregierungsorganisation beschuldigt, dass sie für eine kommunale Wohnung in So a eine offensichtlich nicht marktübliche Miete gezahlt habe. Die Antikorruptionsbehörde legte den Fall jedoch ad acta, weil die frühere EU-Abgeordnete zu jener Zeit "kein öffentliches Amt im Sinne des Gesetzes" ausgeübt habe. Auch über einen in Bordeaux angeblich erworbenen Doktortitel Gabriels gab es in Bulgarien viel
Aufregung.
Von der bulgarischen Provinz bis nach Brüssel
Marija Gabriel wurde als Marija Nedeltschewa in Hadschidimowo geboren, einer kleinen Ortschaft in der Nähe der griechischen Grenze. Sie studierte bulgarische und französische Philologie in Plowdiw und machte später einen Magister in Politikwissenschaften im französischen Bordeaux. 2009 zog sie als GERB-Abgeordnete ins Europaparlament ein. 2012 heiratete sie ihren Kollegen von der
Europäischen Volkspartei (EVP) François Gabriel, einen Mitarbeiter des französischen Europaabgeordneten Joseph Daul.
Sie war seit 2017 EU-Kommissarin, zunächst für digitale Wirtschaft und Gesellschaft und zwischen 2019 und 2023 für Forschung, Innovation sowie Bildung, Kultur und Jugend. Seit 2019 ist sie auch Vizepräsidentin der Europäischen Volkspartei (EVP). Und nun erwartet sie den Auftrag zur Regierungsbildung, den der Staatspräsident ihr erteilen wird.
Ho nungen, Herausforderungen und Kontroversen
"Wir haben keine Differenzen mit Frau Gabriel", erklärte ihr Vorgänger Nikolaj Denkow. Seiner Meinung nach ist es wichtig zu de nieren, wie die Reformen fortgesetzt werden, und mit welchen Ministern sie die Regierung fortführen wird. "Nur gemeinsam können wir im Namen Bulgariens vorankommen", sagte ihrerseits Marija Gabriel am Dienstag (05.03.2024). Sie hoffe auf eine Regierung, die Hand und Fuß hat, fügte sie hinzu.
Sollte sie tatsächlich zur Premierministerin gewählt werden, wird Marija Gabriel vor schwierigen Aufgaben stehen. Bulgarien möchte am 01.01.2025 Vollmitglied des Schengen-Raums werden und dann rasch den Euro einführen. Das Land ist ein wichtiger Munitionslieferant für die Ukraine, aber ein Teil der Öffentlichkeit und die pro-russischen Kräfte in Bulgarien sprechen sich dagegen aus. Innenpolitisch zählt die Vollendung der eingeleiteten Justizreform zu Gabriels wichtigsten Aufgaben. Dies wird jedoch nicht einfach sein, denn die Reform der Justiz geht Hand in Hand mit der Bekämpfung der Korruption, und die Partei von Maria Gabriel und ihr Vorsitzender Bojko Borissow sind ihren Wählern und EU-Partnern in dieser Hinsicht einige Erklärungen schuldig.
Ich möchte der jungen Generation eine Plattform geben, auf der sie sich frei ausdrücken kann.