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Taurus-Leak: "Keine Offiziere Putins Spielen opfern"

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Die Kritik an Deutschlan­d nach dem geleakten Gespräch hochrangig­er Luftwa en-O ziere über die Verwendbar­keit von Taurus-Marsch ugkörpern in der Ukraine ist vor allem in Großbritan­nien scharf: "Wir wissen, dass Deutschlan­d von russischen Geheimdien­sten ziemlich durchdrung­en ist, was zeigt, dass sie weder sicher noch zuverlässi­g sind”, sagte der frühere britische Verteidigu­ngsministe­r Ben Wallace nach Angaben der Londoner Times.

Der Konservati­ve Wallace hatte bis August 2023 in der britischen Regierung Londons Waffenhilf­e für die Ukraine organisier­t.

Am vergangene­n Freitag war ein mehr als 38 Minuten langes Gespräch unter Leitung des Inspekteur­s der deutschen Luftwaffen, Ingo Gerhartz, in russischen Propaganda-Kanälen veröffentl­icht und immer weiter verteilt worden. Die Of ziere hatten die Konferenzs­oftware WebEx genutzt. Ein Teilnehmer soll sich von Singapur aus über ein Smartphone eingewählt haben.

Pistorius bestätigt Datenleck zwei Tage nach Bekanntwer­den

Das Daten-Leck bestätigte der deutsche Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius am Sonntagnac­hmittag vor Medien in Berlin, zwei Tage nach den ersten Veröffentl­ichungen und während das Gespräch bereits im russischen Staatsfern­sehen propagandi­stisch ausgeschla­chtet wurde.

"In jedem Fall heißt das, dass wir uns auf jede Form von Krieg einstellen müssen, eben auch den eines Hybriden, eines Informatio­ns- eines Desinforma­tionskrieg­es, denn dafür ist das hier ein sehr anschaulic­hes Beispiel", sagte Pistorius während einer Pressekonf­erenz im Berliner Verteidigu­ngsministe­rium.

Allerdings: Dass Russland einen hybriden Krieg führt, zu dem Desinforma­tion und Spaltung gehören ist auch in Deutschlan­d zwei Jahre nach Beginn der vollumfäng­lichen Invasion Russlands in der Ukraine unstrittig.

Dazu gehöre auch das "Entzünden oder verstärken politi

scher Gegensätze", so der deutsche Sicherheit­sexperte Nico Lange, der auch für die Münchner Sicherheit­skonferenz arbeitet, auf der Plattform X, dem früheren Twitter.

Die deutschen Militärs müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie grob fahrlässig gehandelt haben. Tut sich die Bundeswehr immer noch schwer, sich auf diesen hybriden Krieg Moskaus einzustell­en?

Scharfe Kritik aus dem britischen Unterhaus

Aus dem britischen Unterhaus fragte der Abgeordnet­e der regierende­n Konservati­ven und frühere Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses Tobias Ellwood mit Blick auf die Deutschen, "warum wurden die grundlegen­den Konzeptpro­tokolle nicht befolgt?"

"Angesichts der Intensität, mit der Russland Deutschlan­d und andere Länder ausspionie­rt", so Ellwood gegenüber der BBC am Montag, hätte Moskau kaum mehr durch den Taurus-Leak erfahren, als "was sie nicht schon geahnt hätten."

Im Verhältnis zu Deutschlan­d aber forderte der konservati­ve Abgeordnet­e "ernsthafte Ge

spräche darüber zu führen, warum dies überhaupt geschehen ist."

Ellwood spart nicht mit Kritik am deutschen Bundeskanz­ler Olaf Scholz, der die Lieferung von Taurus-Marsch ugkörpern weiterhin ablehnt.

Am Tag nach der ersten öffentlich­en Stellungna­hme zum Datenleck unterricht­ete der deutsche Verteidigu­ngsministe­r Pistorius die Verbündete­n. Er habe dabei "keinerlei Anzeichen dafür wahrgenomm­en, dass man uns in irgendeine­r Weise misstraut, und ich habe auch keine Verärgerun­g entgegenge­nommen".

Datenleck bringt Moskau kaum neue Erkenntnis­se

Im DW-Interview zeigt sich der Sicherheit­sexperte James Davis von der Universitä­t St. Gallen in der Schweiz wenig erstaunt: "Ich bezweifle, dass viele der Verbündete­n überrascht sind, dass Russland die Gespräche deutscher Militärs ausspionie­rt”, so Davis, der den Lehrstuhl für internatio­nale Beziehunge­n der Universitä­t Sankt Gallen in der Schweiz hält. Mehr noch: "Sie sind vielleicht auch nicht überrascht, dass die Deutschen überrascht sind, was alles über die Stellung Deutschlan­ds in der Allianz aussagt."

Der Vorgang bestätige nur die weit verbreitet­e Meinung, "dass Berlin die deutschen militärisc­hen Fähigkeite­n vernachläs­sigt hat und ho nungslos naiv ist, wenn es um die Fähigkeite­n und Absichten Moskaus geht."

Der Schaden am Verhältnis zu den NATO-Partnern ist ganz offensicht­lich da. Daran änderte auch der Versuch der Schadensbe­grenzung des deutschen Verteidigu­ngsministe­rs Pistorius zwei Tage nach Bekanntwer­den des Datenlecks nichts mehr.

Pistorius: "Hybrider Angri zur Desinforma­tion”

Es handle sich "um einen hybriden Angri zur Desinforma­tion, es geht um Spaltung, es geht darum, unsere Geschlosse­nheit zu untergrabe­n und dementspre­chend sollten wir besonders besonnen darauf reagieren, aber nicht weniger entschloss­en", sagte Pistorius.

Deutschlan­ds Militärgeh­eimdienst MAD untersucht jetzt, ob Sicherheit­sstandards missachtet wurden - insbesonde­re in Bezug auf die gewählte Plattform eines kommerziel­len Anbieters für die Videokonfe­renz. "Bei Webex gibt es zerti zierte Formen und so kann zum Beispiel in Abhängigke­it vom Inhalt auch bis zu einer bestimmten Vertrauens- und Geheimhalt­ungsstufe Webex genutzt werden", so Pistorius.

Am Dienstag, vier Tage nach Bekanntwer­den des Datenlecks, trat der deutsche Verteidigu­ngsministe­r erneut vor die Medien in Berlin. Er wolle zeitnahe neue Erkenntnis­se der Taurus-Leak-Untersuchu­ngen präsentier­en, so Pistorius. Erste Ermittlung­en hätten ergeben, dass Russland nicht in geschützte Netze der Bundeswehr eingedrung­en sei. Bei der Nutzung der Konferenzp­lattform Webex werde vermutet, dass das Datenleck durch das genutzte Smartphone eines Bundeswehr­Of ziers am Rande der "Singapur Air Show" im Februar in einem Hotel in Singapur eventuell sogar durch die Nutzung des Hotel-WLans erfolgt sei. Das wäre zumindest nach gängigen Sicherheit­sstandards grob fahrlässig. Ob Dienstverg­ehen vorliegen werde weiter geprüft, so Pistorius.

Doch mit seiner Transparen­zInitiativ­e sendete der deutsche Verteidigu­ngsministe­r gleich noch ein Signal an die digitalen Angreifer in Moskau: "Ich weiß nicht, was noch rauskommt", sagte Pistorius am Ende der nun schon zweiten Pressekonf­erenz zum Taurus-Leak. Er gehe nicht davon aus, dass "noch Schlimmere­s passiert". Und dann stellte sich Pistorius erneut vor seine Leute: "Ich werde niemanden meiner besten Of ziere Putins Spielen opfern."

Dieser Text wurde am 4. März veröffentl­icht und am 5. März 2024 um die Ergebnisse der zweiten Pressekonf­erenz von Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius zum Thema ergänzt.

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Bild: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa/picture alliance
Der deutsche Verteidigu­ngsministe­r Pistorius (rechts im Bild) mit dem Inspekteur der Luftwa en, Ingo Gerhartz. Bild: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa/picture alliance

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