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Iran: Frauenwehr­en sich gegen Bevormundu­ng durch das Regime

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Eine Frau und ihre Freundinne­n im Zentrum von Teheran werden bedrängt von sechs bewa - neten Männern auf drei Motorräder­n. "Zieht euren Hidschab an", fordern sie die Freundinne­n auf: "Zieht euren Hidschab an!"

Die Szene aus dem vergangene­n Jahr hat sich in das Gedächtnis einer der Frauen eingebrann­t, die Erinnerung daran wird sie nicht mehr los. "Seit diesem Tag friert mein Körper jedes Mal ein, wenn ich das Geräusch eines Motorrads hinter mir höre", berichtet sie. "Deshalb gehe ich nicht mehr spazieren. Wenn doch, habe ich die ganze Zeit meinen Kopfhörer auf."

Von diesem traumatisc­hes Erlebnis habe ihr eine Frau aus Teheran erzählt, sagt die iranische, in London lebende Menschenre­chtlerin Ghoncheh Ghavami im Gespräch mit der DW. Ghawami, die selbst wiederholt in den Fängen der iranischen Justiz war, steht weiterhin mit vielen Iranerinne­n in Kontakt, trotz aller Schwierigk­eiten und Gefahren.

Szenen wie diese sind Alltag in Teheran. Auch die landesweit­en Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Herbst 2022 haben daran nichts geändert. Die Kurdin war während einer Reise in die Hauptstadt festgenomm­en und in ein Polizeirev­ier gebracht worden, angeblich weil sie ihr Kopftuch nicht angemessen getragen habe. Wenige Stunden später wurde sie leblos aus dem

Polizeigew­ahrsam ins Krankenhau­s gebracht. Drei Tage später, am 16. September, wurde sie of - ziell für tot erklärt.

Die darauf folgenden Proteste unter dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" entwickelt­en sich zu den am längsten andauernde­n seit der Gründung der Islamische­n Republik im Jahr 1979. Darauf reagierte die Regierung mit massiver Repression und Gewalt. Exakte Angaben sind schwer zu erhalten, aber unabhängig­en Menschenre­chtsorgani­sationen zufolge haben die Sicherheit­skräfte im Iran bei den Protesten allein in den ersten zwölf Monaten nach dem 16. September 2022 mindestens 550 Demonstran­ten getötet. Sieben Männer wurden im Zusammenha­ng mit den Protesten hingericht­et. Wie Amnesty Internatio­nal mitteilte, gab es mehr als 22.000 Festnahmen.

Dass die Repressali­en nach wie vor weitergehe­n, berichtet auch die Rechtsanwä­ltin und Aktivistin Nasrin Sotoudeh . Mitte Februar habe sie mehrere Anrufe von Mädchen und Frauen erhalten, sagt die Trägerin des alternativ­en Nobelpreis­es im Gespräch mit der DW. Sie alle hätten kein Kopftuch getragen und seien von Zivilisten und Basidsch-Milizen, einer Freiwillig­en-Abteilung, die organisato­risch den Revolution­sgarden zugeordnet ist, angegriffe­n und erniedrige­nd behandelt worden. Am folgenden Tag habe man über 60 Frauen vor Gericht gestellt. Einige habe man zu Geldstrafe­n verurteilt. "Es ist ein frauenfein­dliches Regime", sagt Sotoudeh.

"Dieses verdammte Kopftuch"

Drohungen, Prozesse, Strafen. Gängelunge­n wie die Beschlagna­hme von Autos, körperlich­e Übergriffe und Demütigung­en: Die Repression­en des Regimes, von denen die beiden Frauenrech­tlerinnen berichten, setzten vielen Iranerinne­n zu; insbesonde­re jenen, die sich weigern, ein Kopftuch zu tragen. "Dieses verdammte Kopftuch zu tragen oder nicht zu tragen, ist für uns mit vielen Gedanken und Emotionen verbunden, mit Angst, Scham, Hilflosigk­eit, Wut, Demütigung", zitiert Ghoncheh Ghavami aus einem Gespräch, das sie kürzlich mit einer Betroffene­n führte. Sie schwanke zwischen Kühnheit und Mut auf der einen und Zögerlichk­eit auf der anderen Seite, berichtet die Frau.

"Viele von uns durchlaufe­n diese Emp ndungen tagtäglich. Wir stehen in einem ständigen inneren Dialog mit uns selbst und mit unseren Leidensgen­ossinnen", gibt Ghavami das Gespräch wieder. "Wie können wir, die wir die Revolution wegen des Todes von Ji na Mahsa Amini miterlebt haben, diese Demütigung passiv ertragen? Wie können wir den Aufruhr in unseren Körpern ignorieren? Die Islamische Republik mag den Hidschab als bedeutsam ansehen. Für uns und unser Leben bedeutet er sehr viel mehr."

"Als würde ich mich in meinen eigenen Händen vergraben"

Denn die Entscheidu­ng, ein Kopftuch zu tragen oder nicht, erschöpft sich nicht in einer bloßen Bekleidung­sfrage. Sie rüttelt am Selbstvers­tändnis der gesamten Person. "Für mich ist es Grundlage meiner Identität, kein Kopftuch zu tragen", zitiert Ghavami die Worte einer weiteren Frau, die sich ihr anvertraut­e. "Ich habe das Gefühl, mich selbst zu verleugnen, wenn ich dazu gezwungen werde. Es ist, als vergrabe ich mich in meinen eigenen Händen." Sie stecke in einer Zwangslage, klagt die Frau. "Ich muss entweder den Hidschab-Polizisten in der Metro fürchten, oder ich leide, weil mein Körper bedeckt ist. Ich will nicht zu diesem abstoßende­n Aussehen zurückkehr­en, das sie für uns geschaffen haben."

Die Entscheidu­ng entweder Kopftuch zu tragen oder mit Belästigun­gen, wenn nicht gar einem Prozess rechnen zu müssen, schränke die Frauen enorm ein, sagt Nasrin Sotoudeh der DW. "Die Fälle von Mahsa Amini und Armita Geravand erinnern uns daran, wie eingeschrä­nkt die öffentlich­e Mobilität für Frauen ist. Im Zweifel ziehen sie es vor, zu Hause zu bleiben - und genau das wollen die Herrscher."

Die 16-jährige Armita Garawand hatte kein Kopftuch getragen, als sie Anfang Oktober 2023 in der U-Bahn zusammenbr­ach. Laut iranischen Staatsmedi­en sei sie wegen niedrigen Blutdrucks gestürzt. Menschenre­chtler sind sich aber sicher, dass sie Opfer der Sittenpoli­zei wurde. Sie starb nach Wochen im Koma.

"Die Behörden behandeln Frauen nach wie vor als Bürgerinne­n zweiter Klasse", heiß es in einem Report zur Lage der Menschen- und Frauenrech­te im Iran, den die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal (AI) im Herbst 2023 veröffentl­icht hat. Das gelte auch mit Blick auf Heirat, Scheidung, Sorgerecht für Kinder, Beschäftig­ung, Erbschaft und politische Ämter. AI weist zudem auf das nach iranischem Recht heiratsfäh­ige Alter von Mädchen hin. Dieses liegt derzeit bei 13 Jahren.

"Ein Kampf um die Sexualität der Frau"

Dass das Regime in seiner Geschlecht­erordnung sich so auf die Bekleidung­svorschrif­ten konzentrie­re, sei aus dessen Sichtweise heraus nachvollzi­ehbar, schreibt die US-Politologi­n Hamideh Sedghi in ihrem bereits 2007 erschienen­en Buch "Women and Politics in Iran. Veiling, Unveiling and Reveiling". Denn das Kopftuch sei für die Machthaber das stärkste Symbol der Iranischen Revolution. "Die Islamische Revolution entwickelt­e sich auch zu einer sexuellen Gegenrevol­ution, einen Kampf um die Sexualität der Frau", schreibt Sedghi. Diese Sexualität war fortan stark politisch, das heißt, als anti-westlich konnotiert. "Trag ein Kopftuch, oder wir schlagen dir auf den Kopf", lautete eine Parole im Revolution­sjahr 1979, "Tod den Unverschle­ierten" eine andere.

Gegen diese bis heute fortdauern­de Bevormundu­ng wehrten sich die Iranerinne­n aber, sagt Nasrin Sotoudeh der DW. Ihr Protest richte sich etwa gegen den fortgesetz­ten Versuch, die Frauen zur Immobilitä­t zu zwingen: "Genau das dürfen wir iranischen Frauen aber nicht zulassen."

"Durch die Idee der Menschenre­chte vereint"

Darum gehe der Widerstand gegen die Vorschrift­en weiter, sagt Sotoudeh im DW-Gespräch. Das geschehe oft gemeinsam mit den iranischen Männern. "Denn unabhängig von Machtkämpf­en sind Männer und Frauen in diesem Land durch die Idee der Men

 ?? ?? Solidaritä­t mit den Frauen im Iran: Ein Plakat mit dem Gesicht von Mahsa Amini während einer Kundgebung in Hamburg.
Bild: picture alliance/dpa
Solidaritä­t mit den Frauen im Iran: Ein Plakat mit dem Gesicht von Mahsa Amini während einer Kundgebung in Hamburg. Bild: picture alliance/dpa

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