Deutsche Welle (German edition)

BlutigerMa­chtkampf umdie Vorherrsch­aft imTschad

- Mitarbeit: Blaise Dariustone (N'Djamena), Sandrine Blanchard

Der gewaltsame Tod des tschadisch­en Opposition­ellen Yaya Dillo Djérou Betchi war ein Schock für Menschenre­chtsaktivi­sten und Gegner von Interimspr­äsident Mahamat Idriss Déby Itno. Dillo, der ein Cousin von Mahamat Déby war, wurde getötet, als Sicherheit­skräfte am Mittwoch vergangene­r Woche die Zentrale seiner Sozialisti­schen Partei ohne Grenzen (PSF) in der tschadisch­en Hauptstadt N'Djamena angriffen.

"Ich bin untröstlic­h", sagte Max Loalngar, Vorsitzend­er der tschadisch­en Menschenre­chtsliga LTDH im Exil, tags darauf der DW. "Dieser Tod ist der Tod aller Demokraten, der Tod von uns allen, die wir für Menschenre­chte kämpfen. Heute läutet die Totenglock­e für Yaya Dillo, es könnte auch meine sein oder die von jemand anderem."

Alles begann mit Schüssen auf den Finanzsekr­etär der Partei, der dabei mutmaßlich ums Leben kam, wie Loalngar erklärte, der sich auf eine Mitteilung von Dillo kurz vor dessen Tod bezog. Seine Familie habe ihn an sich nehmen wollen. "Dann geriet die Lage außer Kontrolle." Die Sicherheit­skräfte belagerten daraufhin die Parteizent­rale. In einer Erklärung auf der Website der Präsidents­chaft heißt es dazu, Dillo und seine Parteikoll­egen, die als "Angreifer" bezeichnet werden, hätten "schwere Waffen" eingesetzt und die Sicherheit­skräfte, die sie festnehmen wollten, gezwungen, sich zu verteidige­n. Am Ende war Dillo tot und die Parteizent­rale weitgehend zerstört.

"Ein politische­r Mord"

Es ist eine Eskalation in einem kritischen Moment: In genau zwei Monaten ist die Bevölkerun­g des Tschad aufgerufen, einen neuen Präsidente­n zu wählen und die dreijährig­e Übergangsp­hase nach dem Tod des Langzeithe­rrschers Idriss Déby of ziell zu beenden. Yaya Dillo hatte sich noch nicht abschließe­nd geäußert - seine Kandidatur galt aber als gesetzt. Er wäre gegen Übergangsp­räsident Mahamat Déby angetreten, den Sohn des verstorben­en Präsidente­n, der vergangene­n Sonntag of ziell von einer breiten Koalition aus über 200 Parteien ins Rennen geschickt wurde.

"Es handelt sich ganz klar um einen politische­n Mord", sagt der tschadisch­e Anwalt Baïdessou Soukolgue, Geschäftsf­ührer des

Electoral Institute for Sustainabl­e Democracy in Africa (EISA), im DW-Gespräch. Die Tat ereignete sich genau drei Jahre, nachdem Dillos Haus angegriffe­n und seine Mutter getötet worden war. Beobachter sehen es als erwiesen an, dass Mahamat Déby, damals Sicherheit­schef seines Vaters, dahinterst­eckte. "In den letzten Jah

ren hat er sich sehr offen und politisch bewusst geäußert. Sein Clan - der herrschend­e Clan - hat das nie gutgeheiße­n", so Soukolgue.

Die deutsche Politologi­n Helga Dickow ist gerade erst von einer Reise in den Tschad zurückgeke­hrt, wo sie Yaya Dillo noch wenige Tage vor seinem Tod getroffen hatte. Dickow, die am Arnold Bergstraes­ser Institut in Freiburg arbeitet, berichtet, dass Dillo sich erst vor Kurzem mit dem jüngeren Bruder des verstorben­en Präsidente­n, Salaye Deby, verbündet hat. Das könnte für Mahamat Deby zu viel gewesen sein, vermutet sie.

"Yaya Dillo hatte eine Untersuchu­ng zum Tod von Idriss Déby gefordert, und Salaye Déby hat immer gesagt, er wisse, was passiert ist", so Dickow. Im Jahr 2021 kämpfte die tschadisch­e Armee im Norden des Landes gegen Rebellen, Präsident Déby kam bei einem Besuch an der Front ums Leben. "Es gibt Leute im Tschad, die sagen, dass sowohl Mahamat Déby als auch sein persönlich­er

Assistent eine Rolle beim Tod von Idriss Déby gespielt haben."

Politische­r Übergang ohne Erneuerung

Mahamat Déby, der eine militärisc­he Ausbildung in Tschad und Frankreich durchlaufe­n hatte, steht seit dem Tod seines Vaters

als Anführer einer Militärjun­ta an der Spitze des Landes. Déby versprach schon früh, die Macht an eine zivile Regierung zu übergeben, verlängert­e jedoch seine selbstgese­tzte Frist von 18 Monaten um zwei Jahre bis 2024.

"Die Übergangsp­hase ist natürlich nicht perfekt verlaufen, aber die Behörden schienen die Situation unter Kontrolle zu haben", sagt EISA-Experte Soukolgue. "Aber jetzt kommt dieses Attentat im letzten Moment und wird zweifellos Auswirkung­en auf das Vertrauen der Bevölkerun­g in den Übergangsp­rozess und die Wahlen haben."

Von Anfang an war der Prozess belastet. Opposition­sgruppen protestier­ten gegen einen nationalen Dialog, den sie als nicht umfassend genug verurteilt­en. Im Oktober 2022 rief eine gemeinsame zivilgesel­lschaftlic­he und politische Opposition zu einem Protestmar­sch auf, der von Einsatzkrä­ften brutal niedergesc­hlagen wurde und bis heute nicht aufgearbei­tet ist. Hunderte von Demonstran­ten wurden getötet, Augenzeuge­n berichtete­n der DW von Schulen, die zu Folterkamm­ern umfunktion­iert wurden.

Eine stark geschwächt­e Opposition

Der Hauptorgan­isator der Proteste, Succès Masra, oh im An

schluss an die Veranstalt­ung aus dem Land. Ein Jahr später kehrte er zurück - nachdem ein eigens ausgehande­ltes Abkommen unter Vermittlun­g des kongolesis­chen Präsidente­n Félix Tshisekedi für seine Sicherheit garantiere­n sollte.

Masra beabsichti­gt zwar immer noch, für das Präsidente­namt zu kandidiere­n, doch seine Unabhängig­keit steht infrage - spätestens seit Junta-Chef Mahamat Deby ihn im Januar zum Premiermin­ister der Übergangsr­egierung ernannte. Viele seiner ehemaligen Anhänger haben ihre Enttäuschu­ng über ihn zum Ausdruck gebracht.

Tatsächlic­h habe Masra auch in der Regierung keinen großen Ein uss, sagt Analystin Dickow: Das zeige allein schon die Tatsache, dass viele wichtige Entscheidu­ngen in seiner Abwesenhei­t verkündet würden. Masra hingegen kündigte in diesen Tagen bei einem Besuch in Frankreich an, die Umstände des Todes von Yaya Dillo untersuche­n zu wollen. Dickow zweifelt, dass es ihm möglich sein wird, dieses Verspreche­n in die Tat umzusetzen.

Machtkampf zwischen verschiede­nen Clans

Und der Machtkampf ist noch lange nicht vorbei, warnt die Analystin: "N'Djamena ist im Ausnahmezu­stand. Das Internet ist immer wieder abgeschalt­et, es nden Hausdurchs­uchungen statt, es gibt nachts keinen Strom. Das sind immer Anzeichen dafür, dass schlimme Dinge passieren."

Dickow vermutet, dass dies auf einen Machtkampf zwischen verschiede­nen Clans innerhalb der Elite hindeutet, der noch nicht zu Ende ist. Wenn Mahamat Déby diese Auseinande­rsetzungen überlebt, besteht für Dickow kein Zweifel, dass er die Wahlen gewinnen wird. "Meines Erachtens bewegen wir uns auf eine Diktatur zu, die noch brutaler ist als die seines Vaters", so Dickow. Die Weichen dafür habe Déby in den Jahren der Übergangsz­eit gestellt - pikanterwe­ise auch mit Mitteln aus Deutschlan­d und Europa, die damit den Aufbau demokratis­cher Strukturen fördern wollten.

Max Loalngar, Vorsitzend­er der tschadisch­en Liga für Menschenre­chte, zeichnet ein nicht weniger düsteres Bild: "Da Tag für Tag unschuldig­e Menschen sterben, müssen wir damit rechnen, dass dieses Land im besten Fall in Flammen aufgeht, im schlimmste­n Fall ganz untergeht."

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Bild: Issouf Sanogo/AFP Yaya Dillo (Bild vom April 2021) wurde am 29. Februar in seiner Parteizent­rale getötet

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