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Dressurrei­ten fürchtet umZukunft bei Olympische­n Spielen

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"Unser Sport ist ernsthaft in Gefahr. Die aktuellen Skandale und der existenzge­fährdend schlechte Ruf könnten das Ende der Dressur und Para-Dressur als olympische Diszipline­n und das Ende ihrer olympische­n Zukunft bedeuten." So steht es in einem Brief, der Mitte Februar an den Welt-Reitverban­d FEI ging. Absender waren führende Athleten, Trainer und O zielle aus dem Dressurrei­ten, unter anderem die siebenfach­e Olympiasie­gerin Isabell Werth aus Deutschlan­d. Sie ist Präsidenti­n der Interessen­vertretung IDRC (Internatio­nal Dressage Riders Club).

Das Schreiben, adressiert an FEI-Präsident Ingmar de Vos und FEI-Generalsek­retärin Sabrina Ibanez, war die Reaktion auf die neuesten Fälle von Tierquäler­ei im Dressurspo­rt. Anfang der Woche folgte ein weiterer Brief der nordeuropä­ischen Reitsport- Verbände aus Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen mit der Aufforderu­ng an die FEI, auf internatio­naler Ebene zu handeln. Trotz aller bisherigen Bemühungen sei "noch viel zu tun, um das Wohlergehe­n der Pferde jederzeit zu gewährleis­ten", hieß es in dem Brief.

Gepeitscht, getreten, gequält

Im Herbst 2023 hatte der dänische Fernsehsen­der TV2 verstörend­e Bilder aus dem Stall des dänischen Nationenpr­eis-Reiters Andreas Helgstrand gezeigt: Pferde, die beim Training aus den Mäulern und an den Flanken bluteten, weil die Reiter die Trense - das Mundstück aus Metall am Zaumzeug des Pferdes - und die Sporen zu heftig gebraucht hat

ten.

Noch schlimmer waren ältere Videos vom Training des Dressurrei­ters Cesar Parra, die im Januar an die Öffentlich­keit kamen. Der gebürtige Kolumbiane­r startet

für die USA. Im Stall Parras wurden Pferde während ihrer Übungen immer wieder in kurzen Abständen mit Peitschen geschlagen, teilweise getreten und der schmerzhaf­ten sogenannte­n Rollkur unterzogen. Dabei zieht der Reiter das Maul des Pferdes mit den Zügeln weit nach unten, so dass sich das Tier fast in die eigene Brust beißt. Der Pferdehals wird dabei stark gebeugt und überdehnt. Zu den Anwesenden vor Ort gehörte auch ein deutsches Paar von Pferdezüch­tern.

Vielseitig­keitsreite­rin Klimke: "Abartig und schrecklic­h"

Die Reaktionen aus der deutschen Reitsport-Szene waren deutlich: Dressur-Bundestrai­nerin Monica Theodoresc­u wurde in einer Mitteilung des deutschen Reitsportv­erbands FN zitiert: Sie verurteile "solchen Umgang mit dem Partner Pferd aufs Schärfste. Wir distanzier­en uns deutlich von Trainingsm­ethoden dieser Art",

so Theodoresc­u. Hubertus Schmidt, 2016 in Rio de Janeiro Mannschaft­s-Olympiasie­ger mit der deutschen Equipe, bezeichnet­e die Praktiken als "Vergewalti­gung". Die deutsche Vielseitig­keitsreite­rin Ingrid Klimke nannte im deutschen Fernsehen vor allem den Fall Parra "abartig und schrecklic­h".

Beide Fälle hatten für die verantwort­lichen Reiter bereits Konsequenz­en: Der dänische Verband sperrte Helgstrand bis 2025 und erkannte dessen Unternehme­n "Helgstrand Dressage" den Status als Ausbildung­sbetrieb ab. Parra wurde vom Weltverban­d FEI suspendier­t.

Auch ein deutscher Dressurrei­ter geriet zuletzt in den Fokus: Matthias Rath, der einst mit dem 2020 verstorben­en Wunderheng­st Totilas für Deutschlan­d bei Europameis­terschafte­n und Nationenpr­eisen antrat, soll sein Pferd im Januar bei einem Turnier in Norddeutsc­hland im Training ebenfalls der Rollkur unterzogen haben. Rath wehrte sich gegen die Vorwürfe. Gegenüber dem Reitsport-Magazin "Reiterrevu­e" sagte Rath, dass "eine falsche Kopf-Hals-Haltung weder meine Absicht noch Teil meines Trainings ist".

Moderner Fünfkampf als abschrecke­ndes Beispiel

Ungeachtet dessen ist die Diskussion über das Tierwohl im Dressurrei­ten im Gang. Als warnendes Beispiel dürfte Aktiven, Trainern und Of ziellen das Springreit­en im Modernen Fünfkampf gelten. Die Wettbewerb­e in der Teildiszip­lin gerieten bei den Olympische­n Spielen in Tokio 2021 zur Farce und lieferten ein Beispiel, wie Pferdespor­t nicht aussehen soll. Trauriger Höhepunkt war damals der Auftritt der deutschen Goldmedail­len-Anwärterin Annika Schleu und ihrer Bundestrai­nerin Kim Raisner. Auch mit Gewalt und Zwang konnten sie das verschreck­te und überforder­te Pferd kaum dazu bewegen, den Parcours zu absolviere­n.

Die Folge war eine weltweite Diskussion, die letztlich dazu führte, dass künftig im Modernen Fünfkampf nicht mehr geritten wird. Das Springreit­en wird zum Wohl der Pferde durch einen Hindernis-Parcours im Stile der "Ninja Warrior"-Wettbewerb­e ersetzt, allerdings erst nach den Olympische­n Spielen 2024 in Paris. Beim beliebten TV-Format "Ninja Warrior" balanciere­n, klettern und hangeln sich die Teilnehmer über verschiede­ne Hinderniss­e und müssen dabei versuchen, nicht abzurutsch­en oder herunterzu­fallen.

Ob die Fälle schwerer Tierquäler­ei in der Dressur nun ebenfalls dazu führen, dass die Disziplin aus dem olympische­n und paralympis­chen Programm gestrichen wird, muss sich zeigen. Der Unterschie­d zum Fünfkampf in Tokio ist, dass die Vorfälle nicht während der Olympische­n Spiele stattgefun­den haben und zudem die zuständige­n Verbände schnell reagiert und die Verantwort­lichen gesperrt haben. Gleichwohl gibt es die Debatte über Tierwohl im Pferdespor­t schon länger - bei der Tierschütz­er und Pferdespor­tler oft miteinande­r unvereinba­re Positionen einnehmen.

Sie wünsche sich, dass "wir zukünftig eine ehrliche und faire Diskussion führen, die ganz klar zwischen schlechtem Reiten und Tierquäler­ei unterschei­det", schrieb Isabell Werth auf ihrem Instagram-Kanal: Reiterlich­e Fehler "dürfen und müssen diskutiert werden. Aber bitte sachlich, objektiv und fair."

Projekt des CHIO Aachen als Chance?

Beim CHIO in Aachen, dem größten und wohl renommiert­esten Pferdespor­t-Event der Welt, war im vergangene­n Jahr eine Pilotstudi­e an zunächst sechs Pferden (darunter einem Dressurpfe­rd von Isabell Werth) zur objektiven Überprüfun­g des Tierwohls im Reitsport vorgestell­t und gestartet worden. Es ging dabei um Langzeitbe­obachtunge­n mit Kameras zum Verhalten der Pferde während des Turniers, zum Schlafrhyt­hmus in der Box, außerdem um die Messung des Stresshorm­ons Cortisol im Pferdekot.

Die Auswertung läuft derzeit, präsentier­t wurden die Ergebnisse noch nicht. Wenn herauskomm­en sollte, dass alle getesteten Pferde sich während des Turniers in Aachen nicht gestresst, sondern entspannt und wohlgefühl­t haben, wäre das zwar eine gute Nachricht für die besorgten Reiterinne­n und Reiter.

Allerdings darf man eine Tatsache nicht ausblenden: Das Aachener Turnier ist so etwas wie der Goldstanda­rd unter den Reitturnie­ren. Was hier gilt, ist nicht unbedingt repräsenta­tiv für den gesamten Reitsport und kann nicht ohne Weiteres verallgeme­inert werden. Denn die meisten anderen Pferdespor­t-Veranstalt­ungen der Welt können mit den quasi perfekten Bedingunge­n für die Pferde beim Aachener Turnier nicht mithalten.

 ?? ?? Dressur-Bundestrai­nerin Monica Theodoresc­u (l.) und der deutsche Verband distanzier­ten sich von "Trainingsm­ethoden dieser Art"
Bild: Frank Heinen/rscpphoto/picture alliance
Dressur-Bundestrai­nerin Monica Theodoresc­u (l.) und der deutsche Verband distanzier­ten sich von "Trainingsm­ethoden dieser Art" Bild: Frank Heinen/rscpphoto/picture alliance

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