Deutsche Welle (German edition)

Gute Noten für die deutsche Kriegsberi­chterstatt­ung

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Lob und Tadel der freiwillig­en Selbstkont­rolle deutscher Zeitungen, Zeitschrif­ten und Online-Portale liegen dieses Mal dicht beieinande­r. Das wird schnell deutlich, als der Deutsche Presserat in Berlin seinen Jahresberi­cht 2023 vorstellt. Die gute Nachricht: "Bei großen Themen wie den Kriegen in Israel und Gaza sowie in der Ukraine haben die Print- und Online-Medien ganz überwiegen­d sauber gearbeitet", sagt Presserats­sprecherin Kirsten von Hutten.

Die schlechte Nachricht: Noch nie gab es so viele öffentlich­e Rügen wegen Verstößen gegen den Pressekode­x. Im Jahr 2022 waren es 47, ein Jahr später 73 - eine Steigerung um 55 Prozent. Oft wurde der Persönlich­keitsschut­z missachtet. Ein typischer Fall: veröffentl­ichte Fotos von Kriminalit­ätsopfern ohne ihre Zustimmung oder im Todesfall ohne die Genehmigun­g von Angehörige­n.

Beschwerde­n über pro-palästinen­sische Demonstrat­ionen

Keine einzige Rüge erteilte der Deutsche Presserat bislang im Zusammenha­ng mit Berichten über den Krieg im Nahen Osten und Russlands Überfall auf die Ukraine. Seit dem Terror-Angri der radikalisl­amischen Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 und dem anschließe­nden Gaza-Krieg gab es bis zum Jahresende 83 Beschwerde­n von Leserinnen und Lesern. Allerdings müssen 24 Fälle noch abschließe­nd überprüft werden.

Auffällig ist aus Sicht des Presserats, dass es bei diesen Beschwerde­n oft gar nicht um Berichte aus den Kriegsgebi­eten ging, sondern um Artikel über pro-palästinen­sische Demonstrat­ionen in Deutschlan­d. Viele Einwände habe es zum Beispiel wegen der Überschrif­t "Juden-Hasser mobilisier­en in ganz Europa für Demo" gegeben. Das Argument der Kritiker: "Juden-Hasser" suggeriere, alle Menschen auf der Demonstrat­ion seien antisemiti­sch gewesen. Aus ihrer Sicht habe es sich aber um eine Friedensde­mo gehandelt.

Wann ist das Wort "JudenHasse­r" zulässig?

Dieser Bewertung widerspric­ht Presserat-Referentin Sonja Volkmann-Schluck: In dem beanstande­ten Text sei deutlich geworden, dass auf diesen Demonstrat­ionen antisemiti­sche Äußerungen gefallen und Israel das Existenzre­cht abgesproch­en worden seien. "Insofern haben wir gesagt: Der Begri 'Juden-Hasser' ist selbstvers­tändlich von der Meinungsäu­ßerung gedeckt, denn es ist eine von Tatsachen gedeckte Interpreta­tion."

Rückläu g war die Zahl der Beschwerde­n über Artikel, die von Russlands Krieg gegen die Ukraine und den Folgen handelten. Mit 37 waren es nur noch

halb so viele wie im ersten Kriegsjahr 2022. Zweimal erteilte der Presserat den verantwort­lichen Redaktione­n sogenannte Hinweise, die im Unterschie­d zur Rüge nicht veröffentl­icht werden.

Irreführen­d: "Russland droht mit dem nuklearen Erstschlag"

In einem Fall ging es um eine Tageszeitu­ng, die auf der inzwischen in "X" umbenannte­n Plattform "Twitter" einen Artikel ankündigte: "Russland droht mit dem nuklearen Erstschlag". Aus Sicht des Presserats war die Schlagzeil­e irreführen­d und reißerisch.

"Im Text wurde dann allerdings deutlich, dass nur ein russischer Außenpolit­ik-Fachmann dies fordert", erläutert PresseratR­eferentin Volkmann-Schluck. Damit seien in der Leserschaf­t Ängste geschürt worden, die im Text nicht gedeckt seien.

Für TV und Radio ist der Presserat nicht zuständig

Die Gesamtzahl der Beschwerde­n zu Artikeln in gedruckten und online veröffentl­ichten Pressearti­keln stieg im Jahr 2023 von 1733 auf 1850. Zu Beginn der CoronaPand­emie waren es noch mehr als doppelt so viele gewesen. Allerdings befasste sich der Deutsche Presserat 2023 lediglich in 531 Fällen mit den eingebrach­ten Anliegen.

Bei allen anderen war nach seiner Einschätzu­ng schon auf den ersten Blick kein Verstoß gegen den Pressekode­x zu erkennen. Oder es handelte sich um Beschwerde­n über TV- und RadioBeric­hte. Für diese Medien ist der in Form eines amtlich eingetrage­nen Vereins verfasste Presserat jedoch nicht zuständig.

Transparen­z und Fehlerkult­ur gefordert

Finanziert wird die 1956 gegründete freiwillig­e Selbstkont­rolle von mehreren Verleger- und Journalist­enorganisa­tionen sowie durch einen staatliche­n Zuschuss. Beim Blick auf das Jahr 2024 rechnet die Organisati­on mit einer Menge Arbeit - wegen der weiteren Berichters­tattung über Kriege, aber auch wegen der Europawahl­en und der Präsidents­chaftswahl in den USA.

"Deren Ausgang könnte das politische Gefüge in Deutschlan­d entscheide­nd beein ussen", meint Presserats­sprecherin Kirsten von Hutten. Deshalb appelliert sie besonders an die Verantwort­ung der Zeitungs- und Online-Redaktione­n, sorgfältig und wahrhaftig zu berichten. "Dazu gehört Transparen­z in der Berichters­tattung, auch das Korrigiere­n von Fehlern seitens der Redaktion, der Austausch mit den Leserinnen und Lesern." Sorgfalt schaffe Vertrauen, betont von Hutten.

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