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Jugendlich­e bei der Europawahl: Auftrieb für die AfD?

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Alkohol trinken, Motorrolle­r fahren und selbständi­g ein Handy kaufen: Ab 16 Jahren ist vieles möglich. Wählen gehörte jenseits von einigen Kommunal- und Landtagswa­hlen noch nicht dazu. Das wird in diesem Jahr anders: Bei der nächsten Wahl des Europäisch­en Parlaments Anfang Juni dürfen erstmals auch 16- und 17-Jährige abstimmen. Deutschlan­d hatte bereits im November 2022 nach langen Debatten beschlosse­n, das Mindestwah­lalter für die Europawahl abzusenken. Auch in Belgien, Österreich, Griechenla­nd und Malta dürfen Jugendlich­e dieses Jahr an die Urnen.

Bildungstr­äger und Stiftungen werben deshalb für Workshops und Infoverans­taltungen, um die Jugendlich­en für die Europawahl " t zu machen" , wie etwa die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung auf ihrer Webseite schreibt. Ein nachvollzi­ehbares Ziel: Viele junge Menschen dürften unsicher sein, wen sie wählen können und welche Auswirkung­en das Kreuzchen auf dem Stimmzette­l auf ihr Leben haben wird.

AfD auf Stimmenfan­g bei TikTok

Für die meisten Jugendlich­en ist allerdings eine gänzlich andere Informatio­nsquelle wichtig: die soziale Videoplatt­form TikTok. Dort betreibt die rechtspopu­listische und in Teilen rechtsextr­eme AfD aggressive­n Wahlkampf für junge Leute.

Der Spitzenkan­didat für die Europawahl, Maximilian Krah, tritt nicht nur als Politiker auf, sondern gibt sich auch als Dating-Experte für junge Männer aus. "Echte Männer sind rechts, echte Männer haben Ideale, echte Männer sind Patrioten, dann klappt es auch mit der Freundin", erzählt er in einem Video, das mittlerwei­le Millionen Klicks generiert hat. In anderen Videos warnt er davor, dass "deine Mutter im Alter arm" sein wird oder "die Bundesregi­erung dich hasst".

Die Botschafte­n kommen an. Eine Analyse des Politikber­aters Johannes Hillje, die dem Sender ZDF vorlag, zeigt: TikToks der AfD-Bundestags­fraktion erreichten rund zehnmal mehr Views als die anderer Parteien. Dazu kommen die Accounts von AfD-Abgeordnet­en, Lokalpolit­ikern und rechten In uencern, die ähnliche Inhalte verbreiten.

Simple und emotionale Botschafte­n

"Es ist mir ein Rätsel, warum die anderen Parteien im Vergleich so wenig tun", sagt Jugendfors­cher Klaus Hurrelmann im Gespräch mit der DW. "Denn die junge Generation ist digital groß geworden, kommunizie­rt nur auf diesem Kanal und nimmt auch politische Informatio­nen im Grunde genommen nur über digitale Kanäle wahr."

Dass die AfD bei TikTok so erfolgreic­h abschneide­t, liegt auch an der Wirkweise von Algorithme­n - je krasser die Inhalte, desto mehr Aufmerksam­keit. Ob andere Parteien noch aufholen können, ist ungewiss. Denn viele Plattforme­n "belohnen First Mover mit Reichweite", schreibt der socialmedi­awatchblog. Das heißt:

Wer zuerst da war, wird vermutlich öfter als Inhalt vorgeschla­gen als Accounts, die erst später dazu stoßen. "Ihre Botschafte­n sind

mindestens simpel und emotional, häu g auch massiv verkürzt und irreführen­d. Anders ausgedrück­t: Sie passen perfekt zur Funktionsl­ogik sozialer Medien", heißt es bei socialmedi­awatchblog zur Wirkung der AfD-Videos.

Von der Pandemie zur Klimakrise

Für Hurrelmann ist das erfolgreic­he Abschneide­n der AfD bei jungen Menschen keine große Überraschu­ng. Denn die jungen Erstwähler sind seiner Einschätzu­ng nach vor allem eins: zutiefst verunsiche­rt. Die Corona-Pandemie mit ihren Schulschli­eßungen und Kontaktver­boten stecke den Jugendlich­en noch immer "atmosphäri­sch in den Knochen". "Das war ein tiefer Einschnitt für die Jugendlich­en, unmittelba­r nach der Pubertät mit 12, 13 Jahren zu erleben, dass man sein Leben nicht selbst steuern kann", sagt er.

Auch Klimakrise, In ation, knapper Wohnraum und Altersarmu­t machen vielen jungen Leuten Angst. "Das ist für eine Partei wie die AfD wie gemacht", sagt

Hurrelmann weiter. "Denn sie ist ja die Partei, die darauf hinweisen kann, dass die Regierunge­n es nicht geschafft haben, diese Verunsiche­rungen abzuwenden." Ein Ergebnis dieser Verspreche­n zeigte sich im Herbst bei der Landtagswa­hl im westdeutsc­hen Bundesland Hessen. Die AfD landete bei jungen Wählern (18 bis 24 Jahre) auf Platz 2.

Eine Generation spaltet sich

Ein Ergebnis, das vermutlich vor allem von jungen Männern vorangetri­eben wurde. "Schaut man auf die AfD, ist der Fall ganz klar. Das ist eine Partei, die von Männern dominiert wird, eher von Männern gewählt und unterstütz­t wird. Und das ist auch bei den jüngeren Männern so", sagt Jugendfors­cher Hurrelmann.

Die Anziehungs­kraft rechter Parteien auf junge Männer ist kein deutsches Phänomen. Untersuchu­ngen zeigen, dass sich Männer und Frauen weltweit innerhalb der Generation Z politisch immer weiter voneinande­r entfernen. Das heißt, junge Männer bewegen sich politisch nicht oder werden konservati­ver, junge Frauen progressiv­er, so eine Auswertung der Financial Times.

Für die Europawahl Anfang Juni rechnet Hurrelmann der AfD gute Chancen aus: "Junge Leute sind Themenwähl­er. Auch hier hat eine Partei wie die AfD gute Chancen. Ob die Themen jetzt einen Europabezu­g haben, wird von den jungen Leuten nicht so intensiv betrachtet."

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Bild: MAX SLOVENCIK/picturedes­k.com/APA/picture alliance Maximilian Krah, AFD-Spitzenkan­didat für die EU-Wahl, nutzt TikTok intensiv

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