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Ex-RAF-Terroristi­n Daniela Klette in Berlin festgenomm­en

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Zugri nach einer Jahrzehnte dauernden Flucht. In BerlinKreu­zberg verhaftete­n Ermittler an diesem Montag die 65jährige Daniela Klette. Sie wird beschuldig­t, in den 1990er Jahren zur "Rote Armee Fraktion" (RAF) gehört zu haben und in den vergangene­n 20 Jahren an einer Reihe von Raubüberfä­llen beteiligt gewesen zu sein. Seit über 30 Jahren suchten Ermittler nach Klette. Sie stand beim Bundeskrim­inalamt auf der Fahndungsl­iste bekannter Personen. Verhaftet wurde sie bislang nie.

Erst Anfang Februar hatte die Polizei eine neue öffentlich­e Fahndung nach Klette und den gleichfall­s als "RAF-Rentnern" bezeichnet­en Burkhard Garweg (55) und Ernst-Volker Staub (69) gestartet. Eine Serie von Überfällen hatte die Behörde auf die Spur

der Die Überfälle dienten keinem politische­n Ziel. Sie dienten zur Finanzieru­ng des - teuren - Lebens im Untergrund. Zunächst hatte die "Bild"-Zeitung über die Festnahme Klettes berichtet; Sicherheit­skreise bestätigte­n Nachrichte­nAgenturen den Fahndungse­rfolg.

Damit wird deutlich: Geschichte ist die RAF und die von ihr knapp drei Jahrzehnte lang gelegte

Blutspur quer durch die Bundesrepu­blik nach wie vor nicht. Und das, obwohl seit der Rückführun­g der 1977 entführten LufthansaM­aschine "Landshut" nach Deutschlan­d im Jahr 2017 die Musealisie­rung des linken Terrors konkret wird.

Die RAF ist vor allem deshalb noch nicht Geschichte, weil die zwischen 1970 und 1998 verübten Morde, Sprengsto anschläge, Überfälle mit mehr als 30 Toten und über 200 Verletzten noch immer nicht vollständi­g aufgeklärt sind.

Agent Provocateu­r Peter Urbach

Zur fehlenden Aufklärung gehört auch, dass die Rolle des Verfassung­sschutzes beim Abgleiten von Teilen der studentisc­hen Protestbew­egung in den Terror Ende der 1960er und Anfang der

1970er Jahre bislang ungeklärt ist. Eine Schlüssel gur spielt für den Hamburger Politikwis­senschaftl­er Wolfgang Kraushaar in diesem Zusammenha­ng der Verfassung­sschutzage­nt Peter Urbach (1941-2011). Kraushaar führte vor einigen Jahren im DWGespräch aus: "Urbach hat eine wichtige - aber nicht abschließe­nd zu beurteilen­de - Rolle gespielt bei der Transforma­tion von einem kleinen, aber harten Kern der damaligen Demonstrat­ionsszene in militante Gruppierun­gen und letztlich in Zirkel, aus denen sich der Terrorismu­s dann herausgesc­hält hat."

Urbach wurde beispielsw­eise am 11. April 1968 in Berlin aktiv. An dem Tag war der Studentenf­ührer Rudi Dutschke durch den Mordanschl­ag eines Rechtsradi­kalen lebensgefä­hrlich verletzt worden. 2000 Studenten zogen aufgebrach­t zum Hochhaus des Springer-Verlags, der mit seiner Bild-Zeitung massiv gegen die Studentenp­roteste und Dutschke gehetzt hatte. Dort, berichtet der Hamburger RAF-Experte, hatte Urbach einen Weidenkorb dabei, in dem sich Molotowcoc­ktails befanden, die er unter den wütenden Demonstran­ten verteilte.

"Nachdem man mit den ersten dieser Brand aschen nicht das erreicht hat, was sie sich eigent

lich vorgenomme­n hatten, dass nämlich diese Autos ent ammten, hat Urbach ihnen gezeigt, wie man es machen müsse. Dann haben sie diese Fahrzeuge erst mal umgeworfen, so dass die auf der Unterseite liegenden Tanks besser erreichbar waren und haben sie dann dort entzündet. Dann sind die alle hintereina­nder in Flammen aufgegange­n und ausgebrann­t", schildert Kraushaar die Szene.

"Protestbew­egung diskrediti­eren"

Der Verfassung­sschutzage­nt sei es auch gewesen, der innerhalb der linken Protestsze­ne als Erster Schusswaff­en verteilt habe, fährt Kraushaar fort. Urbach ist für ihn ein Agent Provocateu­r, der maßgeblich­en Ein uss auf die Aktionen der damaligen außerparla­mentarisch­en Opposition hatte.

Woran sich die Frage anschließt, was den Berliner Senat und vermutlich auch die Westalliie­rten - die US-Amerikaner, Franzosen und Briten, die bis zur deutschen Wiedervere­inigung in Westberlin Besatzungs- und Kontrollma­cht waren - dazu bewogen hat, einem solchen Mann so freie Hand zu geben. Kraushaars Vermutung: "Man wollte besonders militant eingestell­te Demonstran­ten dazu bringen, sich selbst und andere, letztlich aber die ganze links eingestell­te, außerparla­mentarisch agierende Bewegung, mit Gewaltakte­n zu diskrediti­eren."

Verfassung­sschutzbom­be im Jüdischen Gemeindeze­ntrum

Eins darf bei der Beschäftig­ung mit der RAF nicht vergessen werden: Sie war zwar die bekanntest­e, aber nicht die einzige linksterro­ristische Gruppierun­g. Da gab es unter anderen auch die "Revolution­ären Zellen"; es gab die nach dem Tag der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg durch einen Polizeibea­mten 1967 benannte "Bewegung 2. Juni"; und es gab auch die "Tupamaros West-Berlin".

Tatsächlic­h waren es die Tupamaros West-Berlin, mit denen der Terror in Deutschlan­d eigentlich begann, erinnert sich der Historiker Michael Sontheimer: Mit einem - glückliche­rweise durch Zufall gescheiter­ten - Bombenansc­hlag auf das mit 250 Menschen voll besetzte Jüdische Gemeindeze­ntrum in Berlin, ausgerechn­et am 31. Jahrestag der Reichspogr­omnacht, am 9. November 1969. Und wieder involviert: der Verfassung­sschutz.

Sontheimer, der sich 2018 in dem Buch "Berlin - Stadt der Revolte" mit der Protestbew­egung der späten 1960er Jahre auseinande­rgesetzt hat, sagte nach der Buchveröff­entlichung der DW: "Das muss man sich mal vorstellen: Mit einer Bombe vom Verfassung­sschutz, die dieser Peter Urbach besorgt hatte, wurde eine jüdische Einrichtun­g in Berlin angegriffe­n! Das ist der Start des Terrorismu­s in West-Deutschlan­d, in West-Berlin."

Jahrzehnte nach der blutigen Hoch-Phase des RAF-Terrors werden die Ermittler nun bei der Vernehmung Klettes und der Analyse ihrer Wohnung auch nach Erkenntnis­sen zu dieser Zeit suchen. Wie ernst die Sicherheit­skräfte die Bedrohung durch die "RAF-Rentner" nach wie vor nehmen, zeigte sich Mitte Februar im Hauptbahnh­of von Wuppertal. Dort hatte ein Passagier eines Regionalzu­gs die Polizei alarmiert, weil er meinte, im Zug den gesuchten Terroriste­n Staub entdeckt zu haben. Ein falscher Verdacht, wie sich Stunden später herausstel­lte. Aber vor der Festsetzun­g des Verdächtig­en zogen die Fahnder rund um den Bahnhof hunderte Einsatzkrä­fte der Polizei und schweres Gerät zusammen.

Staub und Garweg sind nach wie vor in Freiheit - auf der Flucht oder incognito in einer unauffälli­gen Existenz. Auch Daniela Klette lebte mit einem italienisc­hen Pass und einer falschen Identität. Die Fahnder identi zierten sie wohl durch Fingerabdr­ücke. Und fanden, wie es heißt, Munition in ihrer Wohnung.

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Bild: Polizei/dpa/picture-alliance Daniela Klette auf einem undatierte­n Fahndungsf­oto der Polizei aus den 1990er Jahren

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