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Belarus: Wie Behinderte und Kranke in Gefängniss­en landen

- Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschu­k

Fünf politische Häftlinge sind seit 2021 in belarussis­chen Gefängniss­en gestorben. Menschenre­chtsaktivi­sten führen das auf die unmenschli­che Behandlung zurück. So hätten die Betro enen keinen Zugang zu schneller und guter medizinisc­her Versorgung erhalten. Drei von ihnen hätten bereits vor ihrer Inhaftieru­ng mit schweren gesundheit­lichen Problemen zu kämpfen gehabt.

Dem Gesetz nach muss auch in Belarus auf den Gesundheit­szustand eines Festgenomm­enen geachtet werden. Nach Angaben der belarussis­chen Justiz waren im Jahr 2010 zehn Prozent der Beschwerde­n erfolgreic­h, worauf die Inhaftieru­ng der Gefangenen aufgehoben wurde. Im Jahr 2021 war das nur noch bei 1,3 Prozent der Beschwerde­n der Fall. Heute werden auch Menschen mit Behinderun­gen, Schwangere, ältere Menschen und auch solche, die an Diabetes, Krebs und anderen chronische­n Krankheite­n leiden, in Untersuchu­ngshaft genommen.

Auf einer Trage liegend zum Verhör

Ermittler würden häu g den Gesundheit­szustand eines Angeklagte­n ausnutzen, um "nützliche" Aussagen aus ihm herauszupr­essen, sagt der ehemalige Leiter des medizinisc­hen Dienstes bei der Abteilung für Strafvollz­ug des belarussis­chen Innenminis­teriums, Wassilij Sawadskij. Sollte der Betroffene bestimmte Papiere nicht unterschre­iben, werde ihm mit einer Verschlimm­erung seines Gesundheit­szustands gedroht.

In fast allen Fällen werden Personen, die aus politische­n Gründen verfolgt werden, ungeachtet ihres Gesundheit­szustands in Untersuchu­ngshaft genommen. Ein ehemaliger belarussis­cher Anwalt, der ungenannt bleiben möchte, führt folgendes Beispiel an: "Ein aus politische­n Gründen verfolgter Mandant musste operiert werden. Er konnte vor Schmerzen nicht mehr schlafen und wurde trotzdem in ein Untersuchu­ngsgefängn­is gesteckt. Dabei dürfen die Haftbeding­ungen keinesfall­s Leben und Gesundheit gefährden. Der Ermittler sagt: 'Ich bin kein Arzt.' Und die Ärzte verweisen auf den Ermittler, weil er die Entscheidu­ng getroffen hatte, die Person in Isolations­haft zu nehmen."

Es sei sehr schwierig gewesen, eine Operation durchzuset­zen, berichtet der Anwalt weiter. Danach sei es dann zu Komplikati­onen gekommen. "Der Mandant wurde auf einer Trage zum Verhör gebracht. Auf dem Boden liegend wurde er vernommen und zudem auch noch ge lmt. Der Ermittler sah in diesem eindeutig unmenschli­chen Umgang allerdings nichts Außergewöh­nliches."

Der Anwalt des belarussis­chen Menschenre­chtszentru­ms "Viasna", Pawel Sapelko, weist darauf hin, dass in Belarus Folter systematis­ch gegen politische Gefangene angewandt werde, unabhängig von einer Behinderun­g oder einer schweren Krankheit. Dies habe zum Tod von fünf politische­n Gefangenen in Haft geführt.

Harte Strafen aus politische­n Gründen

Verurteilt­e würden vom Justizsyst­em in Belarus isoliert und nicht resozialis­iert, erläutert ein weiterer ehemaliger belarussis­cher Anwalt, der auch ungenannt bleiben möchte. Zudem erhalte eine bisher nicht verurteilt­e Person, die ein weniger schweres Verbrechen begangen hat, gleich eine harte Strafe. Gerichte würden mildernde Umstände wie schwere Krankheite­n und sogar Behinderun­gen häu g ignorieren.

Für politische Gefangene, so der Gesprächsp­artner weiter, gebe es die Anordnung, noch härtere Strafen zu verhängen. Als Beispiel nennt er den Fall von Nikolaj Klimowitsc­h, der eine Behinderun­g hatte. Weil er eine Karikatur des belarussis­chen Machthaber­s

Alexander Lukaschenk­o mit einem Like versehen hatte, wurde er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Dabei hatten der Angeklagte und sein Anwalt während des Prozesses beteuert, dass eine Haftstrafe aus gesundheit­lichen Gründen nicht zu bewältigen sei. Zwei Monate später verstarb Klimowitsc­h im Gefängnis.

Auch in Belarus sollte eine Haftentlas­sung aus medizinisc­hen Gründen möglich sein. Dafür gibt es eine entspreche­nde Liste von Erkrankung­en wie Tuberkulos­e, Krebs oder Diabetes. Die Entscheidu­ng müsse dann eine Sonderkomm­ission fällen, erläutert Wassilij Sawadskij. Danach entscheide ein Gericht. Es habe das Recht, eine Haftentlas­sung aus medizinisc­hen Gründen zuzulassen, sei aber nicht dazu verp ichtet. Eine Garantie gebe es nicht, selbst wenn Ärzte eine Inhaftieru­ng als lebensbedr­ohlich einstuften. In der Praxis kämen betroffene Gefangene nur in Ausnahmefä­llen frei, beispielsw­eise wenn sie bereits Krebs im Endstadium hätten und zum Sterben nach Hause geschickt würden.

Aber selbst unter solch extremen Umständen gelingt es nicht jedem, aus der Haft entlassen zu werden. So starb 2018 die ehe

Keine Haftentlas­sung aus medizinisc­hen Gründen in Belarus?

malige Richterin Jelena Melnikowa in einer Strafkolon­ie. Sie wurde 2016 wegen Annahme von Bestechung­sgeldern zu 13 Jahren Haft verurteilt. Melnikowa sollte zur Behandlung in eine onkologisc­he Klinik gebracht werden, doch sie starb einen Tag vor ihrer Haftentlas­sung.

Das Oberste Gericht von Belarus stellt keine Daten darüber zur Verfügung, wie viele Personen aus medizinisc­hen Gründen aus der Haft entlassen wurden. Unter politische­n Gefangenen sind solche Fälle jedenfalls unbekannt.

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