Deutsche Welle (German edition)
Gaza: Wenn Hilfslieferungen an Grenzen stoßen
Der Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen ist ein Nadelöhr. Der Durchlass ist gerade einmal wenige Meter breit, Lastwagen passieren die Engstelle nur langsam, einer nach dem anderen. Wenn die Fahrer es bis dorthin gescha t haben, dann haben sie schon eine langwierige Prozedur hinter sich.
Ihre Ladung haben sie in Jordanien oder Ägypten aufgenommen. Auch im israelischen Hafen von Aschdod liegen seit Januar tausende Tonnen Hilfsgüter vor Anker. Diese werden jedoch aktuell von der israelischen Regierung nicht nach Gaza gelassen, da sie durch das Palästinenserhilfswerk UNRWA verteilt werden sollen. Israel wirft mehreren UNRWA-Mitarbeitern eine direkte Beteiligung am terroristischen Überfall der militant-islamistischen Hamas vom 7. Oktober auf Israel vor und verweigert deshalb jegliche Zusammenarbeit mit dem Hilfswerk. Die palästinensische Miliz, die den Gazastreifen seit 2007 regiert, wird von Israel, den USA, Deutschland und vielen weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft.
Strenge Kontrollen, langwierige Prozesse
Die Güter, die nicht blockiert sind, müssen zunächst quer durch die Wüste transportiert werden - allerdings nicht direkt in den Gazastreifen. Erst müssen die Trucks einen von zwei israelischen Kontrollpunkten an der israelischägyptischen Grenze ansteuern, an denen ihre Ladung intensiv gecheckt wird. Die Checkpoints liegen in Kerem Shalom nahe Gaza und im etwa 40 Kilometer entfernten Nitzana.
Israel hat die Grenze bei Kerem Shalom zwar mittlerweile auch Richtung Gaza geö net - allerdings nur für UN-Hilfen. Alle anderen LKWs werden nach Rafah geschickt, wo sie sich in eine lange Warteschlange einreihen müssen. Manche Lieferungen brauchen Tage, wenn nicht Wochen, bis sie tatsächlich in Gaza ankommen.
"Es stehen über 1000 Lastwagen bereit, um Lebensmittel in den Gazastreifen zu fahren", erklärt Martin Frick, Direktor des deutschen Büros des UN-Welternährungsprogrammes (WFP), im Gespräch mit der DW. Doch die strengen israelischen Kontrollen, Proteste von Israelis gegen die Lieferungen und die katastrophale Situation in Gaza verlangsamen die Hilfslieferungen stark.
Auf israelischer Seite ist das "COGAT" verantwortlich für die Organisation humanitärer Hilfe - das im Verteidigungsministerium angesiedelte "Koordinationsbüro für Regierungsaktivitäten in den (palästinensischen) Gebieten". Nach dessen Richtlinien werden die Hilfsgüter kontrolliert. Minutiös listet das COGAT auf seiner Webseite auf, wie viele Hilfsgüter nach Gaza gelangen. Am 8. März 2024 zählte es 237 Lastwagen, die einreisen durften, an vielen Tagen sind es weniger.
"Eigentlich bräuchte es mindestens 300 Lastwagen, die täglich die Grenze passieren", erklärt Martin Frick. "Das gab es erst an einem einzigen Tag, seitdem die zwei Übergänge offen sind." Vor Ausbruch der Kampfhandlungen seien täglich 500 LKW-Ladungen nach Gaza gebracht worden. Seit dem 23. Oktober 2023, als die Grenzen erstmals wieder ö neten, waren es laut COGAT durchschnittlich weniger als 120 LKW pro Tag. "Zu Beginn des Kon ikts haben wir innerhalb von zehn Wochen gerade mal so viele Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen können wie sonst in einer einzigen Woche", so Frick. Der Landstrich sei "komplett ausgehungert" und es brauche eigentlich "massive Lieferungen, um das wieder aufzuholen".
Großer Spielraum beim Ablehnungsgrund "Dual Use"
Es heißt, die Hamas zweige Teile der Hilfslieferungen für sich ab. Unabhängig ist das kaum zu prüfen. Israels größte Sorge aber ist, dass über die Transporte militärische Güter in die Hände ihrer Gegner gelangen könnten. Akribisch wird daher jede Hilfslieferung kontrolliert. Insbesondere sogenannte "Dual Use"-Güter benötigen eine spezielle Einfuhrerlaubnis für Gaza. Dabei handelt es sich um Waren, die zu zivilen, womöglich aber auch zu militärischen Zwecken genutzt werden könnten. Der Ermessensspielraum, welche Güter tatsächlich darunter fallen, ist für die israelischen Kontrolleure groß.
Die israelische Menschenrechtsorganisation Gisha verfolgt seit Jahren, welche Güter unter diese Restriktionen fallen. Einige werden sehr detailliert aufgelistet, andere nur vage beschrieben, etwa als "Kommunikationsequipment". Gisha kam bereits im Februar 2023 zu dem Schluss, dass die Liste der Gegenstände, die Israel für die Einfuhr in die palästinensischen Gebiete als "Dual Use" de niert, weit über den in
ternational anerkannten Standard hinaus gehe. Der Abschnitt
der Liste, der sich auf Gaza bezieht, sei "besonders lang".
Dies bekommen nun auch die internationalen Hilfsorganisationen zu spüren. So sollen bei israelischen Kontrollen unter anderem Zeltstangen zurückgewiesen worden sein, weil sie aus Metall bestanden. Auch Narkosemittel, Sauersto aschen oder Wasser ltersysteme sollen bereits abgelehnt worden sein. Von Schlafsäcken, die nicht durchgelassen wurden, weil sie Reißverschlüsse besaßen, oder DamenhygieneSets, weil darin auch ein Nagelknipser enthalten war, berichtete die US-Che n von Save the Children, Janti Soeripto, der CNN. Und Chris van Hollen, demokratischer Senator des US-Bundesstaates Maryland, erklärte nach seiner Nahostreise Anfang Januar: "Wir haben erfahren, dass, wenn nur einer dieser Gegenstände abgelehnt wird, der gesamte Lastwagen umdrehen und zum Anfang des Prozesses zurückkehren muss, was Wochen dauern kann."
Im Gespräch mit der DW berichtet auch Martin Frick vom Welternährungsprogramm von zahlreichen Hilfslieferungen, die bereits abgelehnt worden seien: "Wir haben im letzten Monat von 24 angemeldeten Konvois in den Norden des Gazastreifens gerade einmal sechs genehmigt bekommen", berichtet Frick. "Das ist viel zu wenig. Die Hilfe dorthin müsste eigentlich massiv ießen."
Den Anschuldigungen einiger Hilfsorganisationen, bestimmten Gütern werde pauschal die Einfuhr verweigert, hat COGAT in einer Erklärung widersprochen: "Israel unterstützt, ermutigt und erleichtert die Einfuhr humanitärer Hilfe für die Bewohner und für medizinische und andere kritische Infrastruktur im Gazastreifen." Und auf seiner eigenen Webseite schreibt das Büro: "Der Umfang der Hilfe hängt unter anderem von der Fähigkeit der humanitären Organisationen im Gazastreifen ab, diese auch abzuschöpfen."
Gaza: Zusammenbruch der ö entlichen Ordnung
Tatsächlich ist auch diese begrenzt. Rafah selbst ist vollkommen überfüllt. Rund 1,4 Millionen Menschen sind mittlerweile dorthin ge ohen - etwa fünfmal so viele, wie dort eigentlich leben. "Dort erreichen wir die Menschen noch, da ist auch die Versorgung vor allem von Kindern und Frauen zumindest weniger katastrophal als im Norden", erklärt Martin Frick. Dorthin sind die Straßen teilweise zerstört oder wegen der anhaltenden Kampfhandlungen kaum noch passierbar. Auch fehle es häu g an Durchfahrtsgenehmigungen von der israelischen Armee.
Am 29. Februar waren bei ei
nem Sturm auf einen Hilfskonvoi
mindestens 112 Palästinenser ums Leben gekommen. Inwiefern dabei möglicherweise auch israelische Soldaten auf die hungernde Zivilbevölkerung geschossen haben, wird noch untersucht. Der Deutschland-Chef des WFP spricht von einem "völligen Zusammenbruch der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im Gazastreifen: "Auch unsere Konvois sind gestürmt und Fahrer verprügelt worden", berichtet Frick. "Wir haben Lastwagen mit Einschusslöchern zurückbekommen und Lastwagen, die auf der Fahrt geplündert wurden." All das sei "ein Ausdruck purer Verzweiflung" - und die Folge monatelanger akuter Unterversorgung. Seit Wochen häufen sich Berichte über lebensbedrohliche Mangelernährung insbesondere bei Kindern.
Hilfslieferungen zu Luft und zu Wasser?
Um den notleidenden Menschen in Gaza dennoch mehr Hilfen zukommen zu lassen, haben erst die jordanische und dann auch die US-Luftwaffe in der vergangenen Woche damit begonnen, Hilfslieferungen per Flugzeug über Gaza abzuwerfen. Doch Lieferungen aus der Luft sind rund siebenmal so teuer wie Hilfen über den Landweg. Die Mengen, die durch Abwürfe zu den Menschen gebracht werden, sind wesentlich geringer, rechnet das WFP auf der Social Media-Plattform X vor.
Zudem eignen sich nicht alle Hilfsgüter für einen Abwurf aus großer Höhe. Das gilt etwa für emp ndliche medizinische Waren. Und an der Abwurfstelle drohen chaotische Szenen verzweifelter Menschen, die sich um die Güter streiten. "Abwürfe aus der Luft sind immer die schwierigste, die teuerste, und die am wenigsten präzise Art und Weise, Hilfe zu leisten", erklärt Martin Frick der DW.
Laut neuesten Meldungen wollen die USA nun in Gaza einen temporären Hafen errichten, um Hilfslieferungen in den Norden zu ermöglichen. Derzeit gibt es in dem Palästinensergebiet keine geeignete Anlandestelle. Der Bau eines Behelfshafens könnte aber Wochen dauern - Zeit, die die hungernde Zivilbevölkerung im Norden Gazas nicht mehr hat. Als Übergangslösung müssten Lieferungen vor der Küste womöglich in kleinere Boote umgeladen und dann an Land gebracht werden.
Martin Frick hat andere Vorschläge, wie die Hilfe in den Gazastreifen besser und schneller ießen könnte: "Wir brauchen eine Waffenruhe. Und wir brauchen weitere Grenzübergänge. Es würde uns enorm helfen, wenn Eres, der Grenzübergang im Norden, geö net würde. Wenn wir den israelischen Hafen von Aschdod, weniger als 30 Meilen nördlich des Gazastreifens, nutzen könnten. Und wenn wir die Straßen nutzen könnten, die am Gazastreifen entlangführen. Damit wir einfach die Logistik in einer ganz anderen Dimension leisten können als bisher."
junge Frau während des Prozesses gegen die St. Petersburger Künstlerin Sascha Skotschilenko im Gerichtsgebäude festgenommen. Panina soll angeblich Gesetzesvorschriften missachtet haben, woraufhin der Justizhelfer ein entsprechendes Protokoll aufsetzte. Zudem drehte er Panina den Arm um und zerrte sie in einen Raum. Die Aktivistin musste schließlich ins Krankenhaus gebracht werden, wo bei ihr Verletzungen festgestellt wurden.
Nach anderthalb Jahren Prozessbeobachtung fühlt sich Panina innerlich erschöpft. Aber ans Aufgeben denkt sie nicht. Ihre bislang leuchtende Clownsnase ist seit der Nachricht über den Tod von Alexej Nawalny nun schwarz gefärbt. "In Russland zu bleiben, ist für mich eine Frage der Würde. Es gibt Menschenrechtler im Land, die mich seit meiner ersten Festnahme verteidigt haben. Ich kann doch nicht einfach gehen, während sie hier unter zunehmendem Risiko weiter hart arbeiten", sagt sie.
Natalja: Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine
Vom ersten Tag der umfassenden Invasion Russlands in der Ukraine an nahm Natalja ( Name geändert) Freunde aus der Ukraine in ihrem Haus in St. Petersburg auf. Im Gespräch mit ihnen wurde ihr klar, dass hunderttausende Ukraine-Flüchtlinge mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind. Deswegen beschloss sie, sich Aktivisten anzuschließen. Sie hilft bei der Verteilung von Sachspenden and Flüchtlinge und unterstützt Menschen dabei, Ärzte und Psychologen zu nden.
"Flüchtlinge aus der Ukraine erhalten in Russland einmalig 10.000 Rubel (umgerechnet rund 100 Euro) und müssen dann für sich selbst sorgen", sagt Natalja. Rentner haben es ihr zufolge am schwersten. Nur wenige würden es schaffen, dass sie eine monatliche Rente von etwa 10.000 Rubel bekommen. Der Flüchtlingsstrom nach Russland sei in den vergangenen zwei Jahren aber zurückgegangen, ebenso wie die Spendenbeträge. Gleichzeitig würden aber weiterhin ältere Menschen und Behinderte aus den Frontgebieten nach Russland gebracht, teilweise in Krankenwagen.
In den letzten zwei Jahren hat Natalja auch eigenes Geld ausgegeben, um notwendige Dinge für Flüchtlinge zu kaufen. Für sich selbst lässt sie ein Minimum ihres Einkommens übrig. "Ich bezahle lieber die Medikamente für ein krankes Kind oder Schuhe der Größe 42, als mir neue Kleidung oder ein Parfüm zu kaufen", erzählt sie. Russland zu verlassen, daran denkt Natalja nicht, auch wenn sie mit der Politik der russischen Staatsmacht nicht einverstanden ist. Sie sagt, dass ihre Kräfte und Ho nungen fast erschöpft seien, aber "solange es
Leben gibt", werde sie sich nicht "in ein Grab legen".
Anton: Verteidiger in Verwaltungssachen
Auch der 27-jährige Anton Aptekar engagiert sich für den Schutz von Menschenrechten seit März 2022. Damals verhängten russische Gerichte massenweise Strafen für die Teilnahme an Antikriegsprotesten und Mahnwachen. Aptekar sagt, es sei schwierig, den Erfolg seiner Fälle einzuschätzen - für einige seiner Mandanten habe er eine Entschädigung wegen unzulässiger Inhaftierung gefordert. Die meisten seiner Mandanten seien wegen "Diskreditierung der Armee" oder Verstößen gegen die Regeln für die Durchführung einer Kundgebung schuldig gesprochen worden, hätten jedoch nur eine minimale Geldstrafe erhalten.
In letzter Zeit gibt es dem Anwalt zufolge nur noch wenige Prozesse, die wegen "Verstößen bei Kundgebungen" im Zusammenhang mit Antikriegsprotesten geführt werden. Immer weniger Menschen würden sich trauen, in Russland auf die Straße zu gehen.
Meist befasst sich Aptekar jetzt mit der Verteidigung in Verwaltungs- und Zivilsachen. Daher sieht er für sich kaum Risiken und will seine Tätigkeit fortsetzen. Aptekar betont, dass es wichtig sei, Mandanten auch seelisch zu unterstützen. Außerdem seien Anwälte Mandanten dabei behilflich, eine Kommunikation mit den Medien aufzubauen. "Die Verhandlung eines Falles vor Gericht ist eine Plattform, auf der ein Mandant und sein Verteidiger über das Geschehen sprechen können, ohne dass dies ins Leere geht", so Aptekar. Er fügt hinzu, er schließe nicht aus, dass seine Erfahrungen in Zukunft, nach grundlegenden Veränderungen in Russland, noch von Nutzen sein werden.