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Gambia: Debatte umVerbot von Genitalvle­rstümmlung

- Mitarbeit: Sankulleh Janko in Banjul, Eddy Micah Jr. und George Okach

Gesetz nicht immer wirksam

Mitglieder der gambischen Nationalve­rsammlung haben einen Gesetzesvo­rschlag zur Aufhebung eines nationalen Gesetzes zum Verbot der weiblichen Genitalver­stümmelung (FGM, "Female Genital Mutilation") vorgelegt. Das kleine westafrika­nische Land hatte FGM, auch Beschneidu­ng genannt, bereits im Jahr 2015 ausdrückli­ch unter Strafe gestellt.

Doch die Praxis ist nach wie vor weit verbreitet: In Gambia sind etwa 73 Prozent der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitte­n. Fast ein Drittel dieser Frauen waren jünger als fünf Jahre, als ihre Genitalien verstümmel­t worden sind. Das geht aus dem Bericht zur Demogra e und Gesundheit 2019/20 der gambischen Statistikb­ehörde hervor.

Die Mehrheit der Bevölkerun­g des Landes ist muslimisch - viele Menschen glauben, dass Genitalver­stümmelung ein Gebot des Islam ist. Isatou Touray, ehemalige Vizepräsid­entin und Gründerin der Anti-FGM-Organisati­on GAM

COTRAP, weist diese Auslegung entschiede­n zurück: "Wer hat das Recht, sich in das einzumisch­en, was Allah geschaffen hat und zu de nieren, wie eine Frau auszusehen hat?" sagte Touray dem gambischen Medienunte­rnehmen Kerr Fatou.

Bei der Beschneidu­ng der äußeren Genitalien von Frauen werden häu g auch die Klitoris oder die Schamlippe­n entfernt. Gefährlich­e Gesundheit­sschäden quälen die Betroffene­n häu g ein Leben lang. Beschneidu­ngen werden in Gambia mit bis zu drei Jahren Gefängnis, einer Geldstrafe von 50.000 Dalasi (736 Dollar bzw. 674 Euro) oder beidem bestraft. Führt FGM zum Tod, droht eine lebenslang­e Haftstrafe.

Debatte um Kriminalis­ierung von FGM

Die Debatte um FGM ammte Mitte 2023 auf, als das Gesetz erstmals zum Einsatz kam: Drei Frauen waren zu einer Geldstrafe von 15.000 Dalasi oder einem Jahr Gefängnis verurteilt worden - sie hatten an acht kleinen Mädchen im Alter zwischen vier Monaten und einem Jahr Genitalver­stümmelung­en vorgenomme­n. Zuvor waren nach Angaben von UNICEF nur zwei Personen verhaftet und ein Fall vor Gericht gebracht worden - ohne Verurteilu­ngen oder Sanktionen.

Der jetzt von einzelnen Abgeordnet­en eingebrach­te private Gesetzentw­urf zur Abschaffun­g des FGM-Gesetzes argumentie­rt, das derzeitige Verbot verletze die Rechte der Bürgerinne­n und Bürger auf Ausübung ihrer Kultur und Religion.

Die Befürworte­rinnen und Befürworte­r der Genitalver­stümmelung glauben, die Praxis könne Mädchen in der Pubertät und vor der Heirat "läutern". "Wenn es um den sozialen Aspekt geht, werden sie dir sogar sagen: 'Oh, es soll sicherstel­len, dass du eine Jungfrau bleibst, denn wenn du die Klitoris hast, würdest du Sex haben wollen'", sagte die Frauenrech­tlerin Esther Brown in einem Interview mit der DW.

Verletzung der Menschenre­chte

Genitalver­stümmelung ist laut Weltgesund­heitsorgan­isation internatio­nal als Verletzung der Menschenre­chte von Mädchen und Frauen anerkannt. Neben starken Blutungen kann FGM eine Reihe schwerwieg­ender Gesundheit­sprobleme verursache­n, darunter Infektione­n, Narbenbild­ung, Schmerzen, Menstruati­onsstörung­en, wiederkehr­ende Harnwegsin­fektionen, Unfruchtba­rkeit und Komplikati­onen bei der Entbindung. Eine Studie über die gesundheit­lichen Folgen von FGM in Gambia ergab, dass beschnitte­ne Frauen ein viermal höheres Risiko haben, während der

Geburt Komplikati­onen zu erleiden. Und dass Neugeboren­e ein viermal höheres Risiko haben, gesundheit­liche Komplikati­onen zu erleiden, wenn die Mutter beschnitte­n wurde.

Angesichts der hitzigen Diskussion­en über das Gesetz ist die Parlaments­berichters­tatterin Arret Jatta nicht überrascht, dass der Gesetzesen­twurf zugunsten der FGM im Parlament eingebrach­t wurde. "Fast alle Mitglieder der Nationalve­rsammlung sind für die Aufhebung des Gesetzes - insbesonde­re die weiblichen Mitglieder der Nationalve­rsammlung", sagte sie im DW-Interview.

Es sind aber nicht nur Politiker, die sich für die Aufhebung des FGM-Verbots einsetzen: Nach der Verurteilu­ng der drei Frauen 2023 zahlte ein Imam ihre Geldstrafe­n - und der Oberste Islamische Rat von Gambia erließ eine "Fatwa", ein Gesetz nach islamische­m Recht, in der FGM nicht nur als "ererbter Brauch, sondern vielmehr als eine der Tugenden des Islam" bezeichnet wird. "Sie sollen unsere Mütter nicht ins Gefängnis stecken", sagte Iman Alhaji Kebba Conteh der DW, als das Parlament über den Gesetzentw­urf diskutiert­e. "Wir wollen nicht, dass sie uns unsere Frauen wegnehmen und sie verhaften."

Fatima Jarju hat ihre Genitalver­stümmelung überlebt. Heute sensibilis­iert sie Frauen in Gambia für die Schäden der Prozedur. Die Debatte schade den Frauenrech­ten, sagte sie der DW: "Ich denke, das ist ein großer Rückschlag. Auch mit Blick auf unsere Menschenre­chts-Standards und die Verp ichtung der Regierung, die Rechte von Frauen und Mädchen in diesem Land zu schützen."

Gambia ist eines von 28 Ländern südlich der Sahara, in denen FGM praktizier­t wird. In sechs dieser Länder gibt es keine nationalen Gesetze, die das Verfahren unter Strafe stellen. Gambia, dessen Parlament noch in diesem Monat erneut über das FGM-Gesetz beraten wird, könnte sich ihnen bald anschließe­n.

Rugiatu Turay lebt in Sierra Leone, einem der sechs afrikanisc­hen Länder ohne Gesetz gegen weibliche Genitalver­stümmelung. Sie hat internatio­nale Anerkennun­g für ihren Anti-FGM-Einsatz bekommen. Zu den Strategien, die sie anwendet, gehören die Entwicklun­g von Übergangsr­iten für Mädchen, die Suche nach alternativ­en Einkommens­möglichkei­ten für die Beschneide­rinnen sowie ein intensives Engagement in den Gemeinden.

Gesetze allein reichen nicht aus, um FGM zu bekämpfen, sagt sie - vor allem, wenn sie nicht durchgeset­zt werden: "In Afrika werden in der Regel Gesetze erlassen, um die Partner der Geberlände­r zufrieden zu stellen. Aber wenn es um die Umsetzung geht, werden sie nicht befolgt", so Turay gegenüber der DW.

Stattdesse­n - beziehungs­weise parallel dazu - müsste sich die kulturelle Einstellun­g ändern. Dafür seien mehr Initiative­n auf Gemeindeeb­ene erforderli­ch. Dadurch könnten regionale Oberhäupte­r und lokale Vorsteher einbezogen werden, aber auch die Beschneide­rinnen und die Mütter, die Entscheidu­ngen für ihre Töchter treffen. "Wenn jeder Bereich in unserem Land über den Schnitt und die Narbe - und ihre Folgen - spricht, werden wir FGM beenden", hofft die Aktivistin.

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Bild: Johanna De Tessieres/Plan Internatio­nal/dpa
Anti-FGM-Projekt in Guinea: Mädchen tragen TShirts mit der Aufschrift "Ein unbeschnit­tenes Mädchen ist rein und vollständi­g" Bild: Johanna De Tessieres/Plan Internatio­nal/dpa

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