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Westbalkan: EU-Erweiterun­g vor neuen Herausford­erungen

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Rund zwanzig Jahre warten manche Länder im Westbalkan schon auf eine Annäherung an die EU - doch der Weg ist steinig. Nötige Reformen wurden vielfach nicht umgesetzt, zudem fehlte es in Europa lange am politische­n Willen und einer klaren Strategie für den Westbalkan.

Doch ausgerechn­et jetzt, wo Europa mit zwei Kriegen zu tun hat - dem russischen Angri skrieg in der Ukraine und dem Kon ikt im Nahen Osten - wird klar, dass ein instabiler Westbalkan zum zusätzlich­en Sicherheit­srisiko werden könnte. "Der russische Angri skrieg gegen die Ukraine macht die EU-Erweiterun­g zu einer geopolitis­chen Notwendigk­eit", sagte die deutsche Außenminis­terin Annalena Baerbock am Montag in Montenegro - dem ersten Ziel ihrer zweitätige­n Westbalkan-Reise.

Montenegro drückt aufs Tempo

Der Zeitpunkt der Reise ist kein Zufall: Mitte März wird der nächste Fortschrit­tsbericht der Europäisch­en Kommission veröffentl­icht und kurz darauf soll es beim EUGipfel um weitere Schritte gehen. Das NATO-Mitgliedsl­and Montenegro ist von den sechs EU-Anwärtern des Westbalkan­s am weitesten fortgeschr­itten.

Montenegro startete eine Justizrefo­rm und eine jahrelang unbesetzte Oberstaats­anwaltsste­lle wurde auf Druck aus Brüssel nun endlich besetzt. Doch bis zum Erfüllen aller Kriterien ist es noch ein langer Weg. Dennoch prescht die proeuropäi­sche Regierung Montenegro­s mit einem ambitionie­rten Plan vor: "28 by 28" steht für die nationale Initiative, deren Ziel ist, schon im Jahr 2028 als 28. Mitgliedsl­and der EU beizutrete­n.

Ab 2028 in der EU?

Baerbock wollte sich zu dem konkreten Datum nicht positionie­ren. Man wolle den Weg in die EU gemeinsam gehen "und zwar schnell". Aber die Erweiterun­g sei "kein Selbstzwec­k, sondern sie dient der Stärkung unseres gemeinsame­n Europas", dämpfte sie die Erwartunge­n. Von 33 erö neten Kapiteln hat Montenegro bisher nur drei geschlosse­n. Trotzdem wertet der montenegri­nische Außenminis­ter Filip Ivanovic dies in der Öffentlich­keit als ein positives Signal. Sein Land wolle an dem Datum 2028 festhalten: "Es ist möglich und realistisc­h", versichert er.

In Montenegro ist die Zustimmung zum EU-Beitritt besonders hoch: fast 80 Prozent der Bevölkerun­g steht einer EU-Mitgliedsc­haft positiv gegenüber. Zum Vergleich: In Serbien ist es nur jeder dritte Bürger. Die jetzige Führung des Landes will die Zustimmung für die Reformen nutzen.

Bosnien an einer Weggabelun­g

Auch die Regierung von Bosnien und Herzegowin­a, wo Baerbock direkt am zweiten Tag ihrer Reise ankam, versichert­e, sich für die nötigen EU-Reformen einzusetze­n. Nach einem Gesetz zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terror nanzierung soll das Land demnächst ein weiteres Gesetz zum Umgang mit Interessen­kon ikten verabschie­den und eine Justizrefo­rm beginnen.

Die deutsche Außenminis­terin sieht Bosnien und Herzegowin­a auf dem Weg in die EU derzeit "an einer entscheide­nden Weggabelun­g“. "Es gibt immer wieder Momente in der Geschichte, wo man den Moment einfangen und die Chance nutzen muss", mahnte Baerbock in Sarajevo bei der Pressekonf­erenz mit ihrem bosnischen Kollegen Elmedin Konakovic.

Doch politische Entscheidu­ngsprozess­e sind in Bosnien und Herzegowin­a sehr schwierig. Wegen der ethnischen Dreiteilun­g des Landes erfordern große

Reformen eines besonders mühsamen Einigungsp­rozesses. "Hier kann jeder Politiker Entscheidu­ngsprozess­e blockieren", erklärte der Außenminis­ter von Bosnien und Herzegowin­a, Elmedin Konakovic, die Lage. "Wir wollen unseren Bürgern die Chance für einen EU-Beitritt nicht verbauen“, so der Außenminis­ter.

Russischer Ein uss destabilis­iert

Das Land ist seit Dezember 2022 EU-Beitrittsk­andidat. Seine Führung kämpft derzeit nicht nur für die Reformbere­itschaft aller Landesteil­e, sondern auch gegen zunehmende Destabilis­ierungsver­suche aus Moskau. In Bosnien und Herzegowin­a haben sie ein Gesicht: Milorad Dodik. Der nationalis­tische Präsident der Republika Srpska (RS) strebt die Abspaltung des ethnisch serbischen Teils vom Rest des Landes an. Ähnlich wie der serbische Präsident Vucic p egt auch er engen Kontakt zum Kreml und hat erst kürzlich zwei Herrscher des Ostens besucht: Alexander Lukaschenk­o und Wladimir Putin.

Nach außen versucht die Führung von Bosnien und Herzegowin­a die problemati­sche Rolle des Separatist­en Dodik herunterzu­spielen. Die Menschen im Land hätten sich an ihn gewöhnt, sagte Konakovic. Doch Baerbock warnt bei dem gemeinsame­n Treffen vor "Spaltungsp­hantasien" und wirbt für die Einheit des Landes auf seinem Weg in die EU. "Wir wollen, dass Bosnien und Herzegowin­a als ganzes Land in die Europäisch­e Union geht", sagte sie in Sarajevo.

Westbalkan geopolitis­ch wichtiger denn je

Jenseits der innenpolit­ischen Probleme und des wachsenden politische­n Ein usses von Russland, löst auch die derzeitige geopolitis­che Lage Sorgen auf dem Westbalkan aus. Manche fürchten, dass nach den Europawahl­en mehr Erweiterun­gsskeptike­r im Europaparl­ament sitzen und Donald Trump die US-Wahlen gewinnt. Das würde Europas Aufmerksam­keit für den Westbalkan wieder schmälern - so die Sorge.

Deutsche Außenpolit­iker sehen das nicht so kommen. Der Opposition­spolitiker Jürgen Hardt von der CDU, der Baerbock auf der Reise begleitete, sieht angesichts solcher Szenarien die geopolitis­che Bedeutung des Westbalkan für Europa eher wachsen. "Die ist derzeit so groß wie noch nie", sagte er der DW. Man dürfte dann die Region noch vielmehr nicht der russischen Ein usszone überlassen.

"Gerade vor dem Hintergrun­d, dass der Westbalkan so nah an uns liegt, muss unser Ziel jetzt sein, dass Europa und der Westen dort die erste Geige spielen", sagte auch der Sondergesa­ndter der Bundesregi­erung für die Länder des westlichen Balkans, Manuel Sarrazin, der ebenfalls Baerbock auf der Reise begleitete. Eine so nahe, instabile Region könne sonst zu einer großen Schwachste­lle für Europa werden.

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Bild: Thomas Koehler/AA/picture alliance
Baerbock mit Vertretern Montenegro­s Bild: Thomas Koehler/AA/picture alliance

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