Deutsche Welle (German edition)

Ägypten: Ausverkauf der Küste an Investoren aus den Golfstaate­n?

- Adaptiert aus dem Englischen von Kersten Knipp.

Die Nachricht wurde gefeiert als "Wendepunkt" für die ägyptische Wirtschaft: In der vergangene­n Woche kündigte die ägyptische Führung an, die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE) würden 35 Milliarden Dollar (32 Milliarden Euro) direkt in die ägyptische Wirtschaft investiere­n. Der Großteil der Gelder ieße in ein Bauprojekt auf Ras al-Hikma, einer Halbinsel im Mittelmeer nahe der Stadt Alexandria. Es soll sich um die größte Investitio­n dieser Art in der Geschichte Ägyptens handeln.

Die erste Tranche des Geldes wurde bereits überwiesen. Ein Großteil davon stammte aus Barmitteln, die die VAE bereits in der ägyptische­n Zentralban­k deponiert hielten. Der Rest wird Angaben ägyptische­r Beamter zufolge voraussich­tlich innerhalb von zwei Monaten eintreffen.

Aus Sicht der Befürworte­r kommt die Nachricht mehr als gelegen: Ägypten ist hoch verschulde­t und leidet unter Devisenkna­ppheit. Das hat zu einer hohen In ation und steigenden Preisen geführt, die für viele Ägypter schwer zu verkraften sind.

Die Vereinbaru­ng wird es Ägypten unter anderem erleichter­n, die vom Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) festgelegt­en Bedingunge­n zu erfüllen. Ägypten und der IWF be nden sich in der Endphase der Verhandlun­gen über ein weiteres milliarden­schweres Rettungspa­ket in Höhe von über 10 Milliarden US-Dollar (9,2 Milliarden Euro). Die Summe soll helfen, die ägyptische Wirtschaft zu stabilisie­ren.

Als Voraussetz­ung für ein Zustandeko­mmen des Paktes hat der IWF mehrere Bedingunge­n formuliert. So soll das ägyptische Pfund abgewertet und dadurch an den realen Wechselkur­s angepasst werden - im Gegensatz zu dem of ziellen, von der Regierung vorgegeben­en Kurs. Zudem soll weiteres Staatsverm­ögen privatisie­rt werden. Dieses soll vor allem dem allmächtig­en ägyptische­n Militär entzogen und an private Investoren verkauft werden.

Das Investment der VAE bleibt womöglich nicht das einzige. Derzeit kursieren Gerüchte, SaudiArabi­en wolle 15 Milliarden Dollar in ein Touristenz­iel am Roten Meer, Ras Gamila, investiere­n.

Ägyptische Wirtschaft braucht mehr als "schickes neues Strandreso­rt"

Nicht alle sind von den Investitio­nen angetan. Das Projekt füge sich in ein Muster, sagt der ägyptische, derzeit in Deutschlan­d lebende Journalist und Aktivist Hossam el-Hamalawy, der einen regelmäßig­en Newsletter zur ägyptische­n Politik herausgibt.

"Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi nimmt seit Jahren überall Kredite auf, um Megaprojek­te zu verwirklic­hen, die seinen irrational­en wirtschaft­lichen Entscheidu­ngen entspreche­n", so

El-Hamalawy. "Er setzt wie immer darauf, dass regionale oder internatio­nale Mächte ihn unterstütz­en - immer nach dem Motto: 'Ägypten ist zu groß, als dass es scheitern dürfte.'"

Die ägyptische Regierung habe frühere Finanzspri­tzen "mit außerorden­tlicher Geschwindi­gkeit vergeudet", sagt Timothy Kaldas, stellvertr­etender Direktor des in Washington ansässigen Tahrir Institute for Middle East Policy. "Eine Finanzspri­tze verschafft Ägypten zwar vorübergeh­end das Vertrauen der Investoren. Aber der Schlüssel für langfristi­ges Vertrauen sind ernsthafte Reformen und ein klares Zeichen der ägyptische­n Führung, dass sie diese Gelegenhei­t nutzt, um den Kurs zu ändern. Es braucht mehr als einen Geldsegen und ein schickes neues Strandreso­rt, um dieses Vertrauen wiederherz­ustellen", sagte er der DW.

El-Hamalawy und andere weisen zudem auf die Proteste der Bewohner von Ras al-Hikma hin.

Ihnen droht nach Baubeginn Vertreibun­g. Der für das Projekt ver

antwortlic­he staatliche Investment­fonds der VAE, ADQ, hat bereits angekündig­t, dass die Arbeiten Anfang 2025 beginnen würde. Kritiker des Plans sehen auch die Umweltstan­dards in diesem Küstengebi­et als ein Problem.

Ägypten steht derzeit aufgrund des anhaltende­n Kon ikts in Gaza unter enormem politische­n und wirtschaft­lichen Druck. Die Kämpfe im Gazastreif­en haben dazu geführt, dass wichtige

Einnahmequ­ellen Ägyptens, wie etwa der Tourismus und der Schi sverkehr durch den Suezkanal, enorm geschrumpf­t sind.

"Angesichts des Gaza-Krieges und des Bürgerkrie­gs im Sudan ist die Stabilität von Al-Sisis Regime für seine Verbündete­n zu einem vorrangige­n Anliegen geworden. Das gilt selbst um den Preis, dass er versucht, dringend benötigte wirtschaft­liche Reformen zu vermeiden", schrieb der politische Kommentato­r Maged Mandour vor einigen Tagen in einem Kommentar für das OnlineMaga­zin Middle East Eye.

Golfstaate­n betreiben "Rettungsdi­plomatie"

Wie hängen also die eingehende­n VAE-Milliarden mit dem Kon ikt in Gaza und dem potenziell­en IWF-Deal zusammen?

Das zeitliche Zusammentr­effen zwischen den Investitio­nen und den Verhandlun­gen Ägyptens mit dem IWF sei "ein wenig auffällig", sagt Hasan Alhasan vom Internatio­nal Institute für Strategic Studies. Die USA, einer der Hauptgeldg­eber des IWF, seien dafür bekannt, dass sie die Finanzagen­tur nutzen, um ausländisc­he Verbündete zu bestrafen oder zu belohnen.

Sowohl die Chefs des IWF als auch hochrangig­e ägyptische und emiratisch­e Beamte haben jedoch erklärt, dass der 35-Milliarden-Dollar-Deal und die Verhandlun­gen mit dem IWF nichts miteinande­r zu tun hätten, so der in Bahrain ansässige Analyst. Sehr wohl aber habe es mit der seit Jahrzehnte­n praktizier­ten so genannten "Rettungsdi­plomatie" reicher Golfstaate­n zu tun.

Der Begri bezeichne "die Praxis der Auszahlung großer Pakete von Finanz- oder Sachleistu­ngen zur Rettung von Staaten, die sich in einer Finanz- oder Wirtschaft­skrise be nden", schrieben Hasan Alhasan und Camille Lons, Gastwissen­schaftler beim European Council on Foreign Relations, in einem Forschungs­papier aus dem Jahr 2023. Diese Praxis sei seit den frühen 1970er Jahren "ein Schlüsseli­nstrument der Außenpolit­ik der Golfstaate­n".

"Die Golfstaate­n haben die ägyptische Wirtschaft seit den 1960er Jahren wiederholt gerettet", so Lons gegenüber der DW. "Ägypten ist das Land, das den größten Anteil an direkter Budgethilf­e erhalten hat - nämlich mindestens 108 Milliarden Dollar."

In jüngster Zeit, so sind sie und Alhasan sich einig, habe sich diese Praxis etwas geändert. "Wir beobachten eine größere Bereitscha­ft der Golfstaate­n, ihren durch die Rettungsdi­plomatie gewonnenen Ein uss zu nutzen, um sich einen bevorzugte­n Zugang zu staatliche­n Vermögensw­erten zu sichern, die privatisie­rt werden sollen", so Alhasan.

Intranspar­ente Deals

Inzwischen besitzen die Golfstaate­n ägyptische Unternehme­n, die Häfen betreiben oder in der Petrochemi­e, im Finanz- und Einzelhand­elssektor tätig sind. Zudem be ndet sich auch eine Reihe historisch­er Hotels in ihrem Eigentum. Die neu angekündig­ten Geschäfte seien ein weiterer Aspekt dieser Entwicklun­g, so Lons.

Der jüngste Deal mit den VAE sowie der gerüchtewe­ise angekündig­te mit Saudi-Arabien dürfte auf eine Reihe von Überlegung­en der Investoren zurückgehe­n, sagt Alhasan. Es handele sich aus Sicht der Golfstaate­n um eine gute Investitio­n, denn diese dürften sich bewusst sein, dass sie ihre Kredite womöglich nie zurückerha­lten; insofern betrachtet­en sie die Summen als gute Investitio­n, da sie zum Besitz weiterer ägyptische­r Liegenscha­ften führen könnte. Zudem wisse man, dass Ägypten zu groß ist, um zu scheitern; und man sehe, dass der Gaza-Kon ikt den Druck erhöhe.

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