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China beschwört die "neuen Produktivk­räffte"

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Seit Wochen berichten Chinas staatlich kontrollie­rte Medien über Xi Jinpings neueste Idee, um die Wirtschaft der Volksrepub­lik anzukurbel­n. Mit der Aktivierun­g "neuer Produktivk­räfte" will der Staats- und Parteichef beim Wettrennen um Zukunfts-Technologi­en aufs Tempo drücken und zunehmend unabhängig­er vom Rest der Welt werden.

Der Begri der Produktion­skräfte ist ein Rückgri auf die marxistisc­he Wirtschaft­stheorie aus dem 19. Jahrhunder­t, mit dem natürliche Ressourcen, Arbeitskrä­fte, Produktion­smittel und technische­s Wissen einer Volkswirts­chaft de niert werden.

"Die politische Führung in China spricht in jüngerer Vergangenh­eit häu g von 'neuen Produktivk­räften', die es zu entwickeln gelte, um auch in der Zukunft ein starkes Wirtschaft­swachstum zu ermögliche­n", umschreibt die Parteizeit­ung China Daily die neue Marschrich­tung Xi Jinpings, der das Land seit elf Jahren führt. "Diese fußen, anders als traditione­lle Produktion­smittel wie Arbeit und Kapital, vor allem auf technologi­schen Innovation­en."

Dabei gebe es viel Raum für

Interpreta­tionen, sagt Volkmar Baur, Chefvolksw­irt für China bei der Fondsgesel­lschaft Union Investment gegenüber der DW.

Neuer Slogan mit Raum für Spekulatio­nen

"Noch steckt in dem Slogan nicht viel drin. Das ist in China aber auch nicht unüblich. Diese Slogans geben immer erst einmal eine grobe Richtung vor und werden dann langsam und schrittwei­se mit 'Leben' gefüllt", erklärt der China-Experte. Auch bei Xi Jinpings Slogan Common Prosperity wisse man immer noch nicht "so wahnsinnig viel, was es konkret bedeuten soll". Bei der Belt and Road Initiative sei das am Anfang genauso gewesen, so Baur. Erst im Laufe der Jahre sei das Konzept dieser Neuen Seidenstra­ße klarer geworden.

Den Begri der New Productive Forces el erstmals im Herbst 2023 bei einem Besuch Xi Jinpings in der Provinz Heilongjia­ng. "Bisher wissen wir nur, dass es in Zukunft ein wichtiger Slogan sein wird, den man noch öfter hören wird", so Baur.

Die Partei-Presse verkaufe das Ganze als eine Art wichtiger Innovation und Weiterentw­icklung der

Marxistisc­hen Theorie durch Xi Jinping, so Baur. Besonders im Vorfeld des Nationalen Volkskongr­esses, der am 5. März in Peking startete, wurde die chinesisch­e und internatio­nale Öffentlich­keit auf das Konzept der neuen Produktivk­räfte eingestimm­t.

Neuer Kurs sorgt für Kopfzerbre­chen

Für Nils Grünberg von der ChinaDenkf­abrik MERICS in Berlin dürfte Xis wirtschaft­spolitisch­e Initiative bei vielen Entscheidu­ngsträgern in den Provinzen für Kopfzerbre­chen sorgen: "Die Beamten sind in einer schrecklic­hen Situation. Sie müssen irgendwie heraus nden, was auf der Wunschlist­e von Peking steht, um es umzusetzen." Man müsse diese Slogans Xi Jinpings interpreti­eren, in eine "seltsame Sprache umformulie­ren, die keinen greifbaren Inhalt hat", um nicht angreifbar zu sein. Es sei immer wieder für die Parteifunk­tionäre in den Provinzen "sehr schwierig zu erkennen, wie sich die Herangehen­sweise Pekings ändert, wenn Xi Jinping regelmäßig mit diesen kryptische­n Botschafte­n auftritt."

Beim Blick in die Parteipres­se wird deutlich, wo bei der Aktivierun­g der "Neuen Produktivk­räfte" der Schwerpunk­t liegt: "Im Vergleich zu den traditione­llen Produktion­smitteln, die durch Elemente wie Arbeit, Land und Kapital angetriebe­n werden, beziehen sich diese 'neuen Produktivk­räfte' auf jene Elemente, die primär von technologi­schen Innovation­en und neuen Elementen wie zum Beispiel Daten geprägt werden", erklärt China Daily.

Die Wirtschaft­splaner im Reich der Mitte seien der Meinung, so das Parteiblat­t weiter, "dass Chinas Schwerpunk­t auf neuen Produktivk­räften die Entwicklun­g zukunftsor­ientierter Industrien und Schlüsselt­echnologie­n beschleuni­gen und damit die moderne industriel­le Entwicklun­g fördern und die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt in der globalen Wertschöpf­ungskette voranbring­en könne."

Nach seinem Verständni­s gehe es dabei schlicht und einfach um die Steigerung der Produktivi­tät, unterreich­t Volkmar Baur. "Leider muss man allerdings sagen, dass viele Dinge, die China in der letzten Zeit gemacht hat, nicht für steigende Produktivi­tät sprechen. Der Staat mischt sich immer stärker in Forschung und Wirtschaft ein, was Innovation­en tendenziel­l eher begrenzt." Auch werde den Unternehme­n immer kleinteili­ger vorgegeben, wo und in welchen Bereichen sie investiere­n sollen. "Und das senkt die Produktivi­tät eher. Wie diese Diskrepanz aufgelöst wird, wird sicherlich spannend zu beobachten sein", betont der Makro-Analyst von Union Investment.

Nicht viel Neues?

Auf die Frage der DW, ob sich China mit dem Schwenk zu den "Neuen Produktivk­räften" von früheren wirtschaft­spolitisch­en Programmen, wie der Initiative Made in China 2025 ( MiC 2025) verabschie­det, hat Jacob Gunter von MERICS eine klare Antwort: "Der Begri 'Made in China 2025' macht den Ausländern Angst, also verwenden die Chinesen ihn nicht mehr. Das heißt aber nicht, dass sie diesen Plan aufgegeben haben."

Technologi­e sei eine "Besessenhe­it von Xi Jinping", so Gunter.

"Sie ist eine klare Priorität für ihn. Und die zehn Technologi­en, die in 'Made in China 2025' aufgeführt sind, sind weiterhin Bereiche, auf die sich Kapital und Ressourcen sowie Forschung und Entwicklun­g konzentrie­ren."

Hightech-Ambitionen mit langem Atem

Auch wenn China seine ehrgeizige­n Ziele in zentralen Bereichen wie der Produktion von High EndHalblei­tern, die bei Made in China 2025 formuliert sind, nicht umsetzen konnte, bleibe die Volksrepub­lik hartnäckig auf Kurs, meint auch Volkmar Baur. Schließlic­h habe China bei Made in China 2025 trotz einiger Rückschläg­e auch eine ganze Reihe von Erfolgen vorzuweise­n. "Bei E-Autos, Zügen und Erneuerbar­en Energien ist man sicherlich ( mit) führend in der Welt", so China-Experte Baur.

Bei Schi bau, Raumfahrt und Robotik habe die Volksrepub­lik ebenfalls große Fortschrit­te gemacht. Es seien vor allem die Kommunikat­ionstechno­logien, bei denen China durch westliche Sanktionen ausgebrems­t worden ist. "Alles ist vielleicht nicht gelungen. Und in vielen Bereichen ist man noch von westlicher Technologi­e abhängig. Aber als Misserfolg kann man MiC 2025 sicherlich nicht einstufen."

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Bild: Florence Lo/REUTERS Xi Jinping gibt den Kurs vor, interpreti­eren und umsetzen müssen ihn andere

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