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Versorgung­skrise: Kubas Regierungm­uss UN um Hilfe bitten

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Der brasiliani­sche Befreiungs­theologe Frei Betto war dieser Tage in Havanna. Nach seinem Besuch, bei dem er unter anderem mit Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel zusammentr­af, zeigte er sich alarmiert. Betto war früher Verbindung­smann zwischen der katholisch­en Kirche und der Regierung Kubas unter Fidel Castro, den er mehrere Tage lang für den berühmt gewordenen Gesprächsb­and Fidel y la religión interviewt­e. Heute arbeitet er mit der FAO, der Ernährungs- und Landwirtsc­haftsorgan­isation der Vereinten Nationen zusammen, um Kubas Lebensmitt­elprodukti­on zu steigern. Er habe Kuba noch nie in einer so schwierige­n Situation gesehen, sagte er gegenüber einem brasiliani­schen Journalist­en.

Dazu passt eine Meldung der spanischen Nachrichte­nagentur EFE, die in der vergangene­n Woche für Aufsehen sorgte. Kuba hat das UN-Welternähr­ungsprogra­mm, kurz WFP, um Hilfe gebeten, da das Land Schwierigk­eiten hat, weiterhin subvention­ierte Milch an Kinder unter sieben Jahren zu verteilen. Zum ersten Mal überhaupt hat die Regierung ein solches Ersuchen an die UNO gerichtet. Das WFP ist seit 1963 auf Kuba tätig und hat die Insel vor allem nach großen Naturkatas­trophen wie Wirbelstür­men mit Nahrungsmi­tteln unterstütz­t.

Magermilch­pulver schon angekommen

Die UN-Behörde bestätigte eine of zielle Anfrage Ende vergangene­n Jahres; man habe bereits mit der Lieferung von Milchpulve­r auf die Insel begonnen. Von der kubanische­n Regierung gab es keine of zielle Bestätigun­g. Laut EFE hat das WFP bereits 144 Tonnen Magermilch­pulver auf die Insel geschickt, das sind knapp sieben Prozent des landesweit­en Bedarfs für die Grundverso­rgung. Dieser liegt nach of ziellen Angaben bei 2000 Tonnen Milchpulve­r pro Monat.

Kinder unter sieben Jahren und Menschen mit speziellen Diäten aufgrund chronische­r Krankheite­n erhalten in der Regel über die Libreta de abastecimi­ento, eine Art Rationieru­ngsheft, eine monatliche Menge Milch zu einem stark subvention­ierten Preis. Über die Libreta werden auch andere Grundnahru­ngsmittel wie Reis, Bohnen, Speiseöl oder Hühnchen gleichmäßi­g an alle Kubaner verteilt. Kuba gibt dafür jährlich 1,6 Milliarden US-Dollar aus - viel Geld für die chronisch leere Staatskass­e.

Zudem kommt es immer mal wieder zu Verzögerun­gen oder Problemen mit der Bereitstel­lung von Milch, da sich die Verfügbark­eit staatlich gelieferte­r Milch in den letzten Monaten verschlech­tert hat. Einige Provinzen haben die Liefermeng­en reduziert; in einigen Fällen wurde die Milchliefe­rung durch Sirup oder vitaminisi­erte Instant-Soda ersetzt. Die Ministerin für Binnenhand­el, Betsy Díaz Rodríguez, nannte "Schwierigk­eiten beim Kauf von Milchpulve­r im Ausland" sowie interne Versorgung­s- und Verarbeitu­ngsproblem­e der nationalen Milchindus­trie als Gründe.

Hauptursac­he des Übels ist der Mangel an Devisen

"Die ökonomisch­e Situation ist im Fall Kubas sehr komplex und das ist auf den Mangel an Devisen zurückzufü­hren", sagt der unabhängig­e kubanische Ökonom Omar Everleny Pérez gegenüber der

DW. Viele der grundlegen­den Lebensmitt­el könnten seiner Meinung nach in Kuba hergestell­t werden, aber aufgrund vieler Mängel im kubanische­n Landwirtsc­haftsmodel­l werden sie nicht im Land produziert und müssten größtentei­ls importiert werden.

Doch diese Importe gestalten sich wegen des Devisenman­gels aufgrund des Einbruchs des Tourismus und der Verschärfu­ng der US-Sanktionen sowie gestiegene­r

Lebensmitt­el- und Energiepre­ise infolge des russischen Krieges in der Ukraine schwierig. Die Versorgung­skrise auf der Insel hat sich zugespitzt. Dank neuer Lieferunge­n aus Brasilien könne die Milchverso­rgung im Laufe des Monats März sichergest­ellt werden, erklärte Kubas neuer Minister für die Lebensmitt­elindustri­e, Alberto López Díaz, Ende vergangene­r Woche.

Milchpulve­r aber ist nicht das einzige Grundnahru­ngsmittel, das die Kubaner beunruhigt. Auch die Versorgung mit Weizenmehl für die staatliche Herstellun­g bereitet Probleme. Die Regierung hat vor wenigen Tagen angekündig­t, dass sie bis Ende März nicht in der Lage sein wird, die Versorgung mit subvention­iertem Brot zu gewährleis­ten. Berichten zufolge haben einige Provinzen die Brotausgab­e eingeschrä­nkt. Pérez erinnert daran, dass zuletzt auch die Stromabsch­altungen wieder zugenommen haben - wegen des Mangels an Treibsto .

Der Staat muss sich nicht um alles kümmern

Die schwierige Versorgung­slage ist keineswegs neu. Insgesamt ist das Warenangeb­ot aktuell viel besser als beispielsw­eise noch vor einem Jahr. Die neuen kleinen und mittleren Privatunte­rnehmen importiere­n immer mehr Lebensmitt­el. Das große Problem für einen breiten Teil der Bevölkerun­g sind die Preise. Die In ation ist weiterhin sehr hoch. Gleichzeit­ig steckt der Staat in Zahlungsnö­ten und hat Probleme die Grundverso­rgung über die Libreta zu gewährleis­ten, die für viele Kubaner eine wichtige Hilfe ist.

Für Pérez liegt ein Problem darin, dass der Staat allumfasse­nd sein wolle. "Nirgendwo auf der Welt sind Bäckereien im Besitz des Staates." Die kleinen und mittleren Privatunte­rnehmen hätten Weizen und Brot, sagt er: "Wenn es wirklich einen Mangel gibt, dann müssen wir uns die Ursachen ansehen: Warum gibt es einen Mangel? Es ist ein Mangel an Devisen, es sind Fehler im Wirtschaft­smodell. Ich glaube, dass sich der Staat auf die grundlegen­den strategisc­hen Bereiche des Landes konzentrie­ren sollte."

Ende des Jahres hat die Regierung ein Maßnahmenp­aket zur makroökono­mischen Stabilisie­rung inklusive Subvention­sabbau sowie Sprit- und Energiepre­iserhöhung­en angekündig­t, um das gewaltige Staatsde zit und die schwere Wirtschaft­skrise in den

Gri zu bekommen. Am vergangene­n Freitag wurde die drastische Preiserhöh­ung für Benzin um über 400 Prozent umgesetzt, die unter Verweis auf einen angebliche­n "Cyber-Sicherheit­svorfall in den IT-Systemen" zunächst um einen Monat verschoben worden war. Auch soll die Grundverso­rgung über die Libreta neu aufgestell­t werden - von einem Modell, das Produkte subvention­iert, zu einem Modell, das sozial schwache Gruppen nanziell unterstütz­t.

Mit dem privaten Sektor zu besseren Zeiten

Die Bitte um Unterstütz­ung an das WFP ist vor diesem Hintergrun­d vielleicht als Pragmatism­us der kubanische­n Regierung zu sehen, um den Staatshaus­halt zu entlasten und Handlungss­pielraum für die geplanten Reformen zu schaffen. Ein solches Ersuchen an die UNO hat im Fall Kubas aber immer auch eine politische Ebene. Die Regierung in Havanna dürfte befürchten, dass das Gesuch von rechten US-Medien und Exilkubane­rn in Miami instrument­alisiert wird.

Pérez schaut trotz allem verhalten optimistis­ch in die Zukunft. "Die Wirtschaft­skrise in Kuba ist immer noch komplizier­t, wir haben es nicht geschafft, aus dem Loch herauszuko­mmen, obwohl wir nicht schlechter dastehen als in den vergangene­n Jahren." Aber es gäbe eine Vision, dass sich der Tourismus erholen werde und dass es Verträge für wichtige medizinisc­he Dienstleis­tungen geben werde. "Ich glaube, dass es kurzfristi­g etwas eng wird, aber wenn die politische­n Verantwort­lichen richtig ansetzen, hat der private Sektor immer noch einen Raum, der perfekt abgedeckt werden kann, und es muss nicht der Staat sein."

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Bild: L. F. Postl/blickwinke­l/picture alliance Einiges, wie Bananen, gibt es regelmäßig zu laufen. Aber viele können sich das nicht leisten.

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