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Frankreich­s Bauern: Die (un)heimlicheM­acht

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Frankreich­s alljährlic­he Internatio­nale Landwirtsc­haftsmesse, die am Wochenende in Paris begann, ist ein wichtiger Termin für die Politiker des Landes, die gerne zwischen Kühen und Käsestände­n um Wählerstim­men werben. Diesmal ist sie zudem ein Test, ob die Zugeständn­isse der Regierung reichen, um französisc­he Bauern zu beschwicht­igen. Diese hatten unter anderem gegen niedrige Einkommen und zu viel Verwaltung­saufwand demonstrie­rt. Zunächst wochenlang bis Anfang Februar und dann erneut zum Auftakt der Messe: Präsident Emmanuel Macron wurde von demonstrie­renden Bauern mit Buhrufen und einem Pfeifkonze­rt empfangen, einige drangen auf das Messegelän­de vor und forderten lautstark Macrons Rücktritt. Es kam zu Zusammenst­ößen mit der Polizei (siehe Artikelbil­d), die Erö nung der Messe verzögerte sich um mehrere Stunden.

Macron zog sich daraufhin mit Vertretern der Landwirte zurück und kam später mit neuen Zusagen wieder. Die Antwort der Regierung hat also wieder einmal gezeigt, wieviel Macht Bauern in Frankreich haben - aus historisch­en und aktuellen Gründen. Obwohl der Sektor nur etwa 1,6 Prozent des französisc­hen Bruttoinla­ndsprodukt­s ausmacht. Diese Macht verhindere die Umsetzung notwendige­r tiefgreife­nder Maßnahmen, so Experten.

Die Macht der Bauern beruht auf strukturel­len Gründen

Für Faustine Bas-Defossez, Che n der Abteilung Natur, Gesundheit und Umwelt beim Brüsseler Europäisch­en Umweltbure­au, einem Netzwerk aus Nichtregie­rungsorgan­isationen in etwa 40 Ländern, ist auch die Reaktion der Polizei auf die Proteste vielsagend. "Auf andere, massive Protestbew­e

gungen wie die gegen eine Rentenrefo­rm vergangene­s Jahr re

agieren die Behörden mit Schlagstoc­k und Tränengas", sagt sie zur DW. "Aber als etwa 12.000 Bauern Straßen im ganzen Land mehrere Wochen lang blockierte­n, lässt man diese machen." Nur vereinzelt nahmen die Behörden Demonstran­ten fest, als diese in den internatio­nalen Großmarkt Rungis südlich von Paris einmarschi­erten. "Das zeigt, wie fest verankert im politische­n System die Bauernlobb­y auf allen Ebenen ist - durch die Landwirtsc­haftskamme­rn, aber auch, weil viele Lokalpolit­iker selbst Landwirte sind", so Bas-Defossez.

Pierre-Marie Aubert, Direktor

der Abteilung Landwirtsc­haftsund Nahrungspo­litik beim Pariser Institut für Nachhaltig­e Entwicklun­g und Internatio­nale Beziehunge­n, spricht gar von "geteiltem Management". "Die Regierung entscheide­t gemeinsam mit der größten Bauerngewe­rkschaft FNSEA, die etwa ein Viertel der Bauern repräsenti­ert, über unsere Agrarpolit­ik. Das ist seit 50 Jahren so, auch in anderen Ländern wie Deutschlan­d. Man nennt das die 'landwirtsc­haftliche Ausnahme' ", erklärt er gegenüber DW. Die relativ klare Organisati­onsStruktu­r und begrenzte Anzahl an Bauern - laut Regierung etwa eine halbe Million - gebe der Lobby einen Vorteil gegenüber anderen Protestbew­egungen, die oft eine Vielzahl an Gewerkscha­ften zusammenbr­ingen.

Legitimati­on: Ernährer des Volkes

"Die Bauern sind auch deswegen mächtig, weil sie Landbesitz­er sind - sie repräsenti­eren die Grundlage des Staates", fügt er hinzu. "Das Volk ernähren zu können, ist fester Bestandtei­l der staatliche­n Legitimitä­t. Das hat man bei den Hungeraufs­tänden aus dem Jahr 2007 in rund 40 Ländern gesehen. Die CoronaEpid­emie und der Ukraine-Krieg haben weiter hervorgeho­ben, wie wichtig die eigene Landwirtsc­haft ist, um weniger stark von Lieferkett­en abzuhängen."

So machte die Regierung angesichts der jüngsten Demonstrat­ionen schnell großzügige Zugeständn­isse - die sie kurz vor der Messe und angesichts neuer

Proteste noch ausweitete. Sie versprach weniger Verwaltung­saufwand, zusätzlich­e Subvention­en für Weinbauern in nanziellen Schwierigk­eiten, die Beibehaltu­ng von Steuerentl­astungen für Agrardiese­l und eine bessere Umsetzung von Gesetzen, die faire Großhandel­spreise garantiere­n sollen. Außerdem setzte sie Maßnahmen zur Reduzierun­g von Pestiziden aus.

Frankreich setzt sich auch in Brüssel für seine Bauern ein

Präsident Emmanuel Macron trug die Forderunge­n seiner Bauern auch nach Brüssel. Er erwirkte eine Lockerung einer EU-Regelung, laut der Bauern vier Prozent ihres Landes unbewirtsc­haftet lassen müssen, um die Biodiversi­tät zu schützen. Außerdem sollen nun in gewissen Fällen Importzöll­e auf Einfuhren aus der Ukraine erhoben werden. Von dort kamen seit Beginn der russischen Invasion vermehrt günstige Hähnchen, Eier und Zucker. Die EU hatte einen Exportkorr­idor eingericht­et, um andere durch den Krieg versperrte Ausfuhrweg­e zu ersetzen.

Die Pariser Regierung widersetzt­e sich zudem dem seit 20 Jahren verhandelt­en Freihandel­sabkommen zwischen der EU und den Mitglieder­n der lateinamer­ikanischen Freihandel­szone Mercosur. Zu diesen zählen Argentinie­n, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Venezuela, sowie einige angegliede­rte Länder. Die Bauern befürchten durch den Deal unfaire Konkurrenz. Die EU

Kommission gab wenig später bekannt, dass "die Bedingunge­n für einen Abschluss der Verhandlun­gen bisher nicht gegeben sind".

Für David Cayla, Wirtschaft­sdozent an der Universitä­t Angers und Mitglied des linksgeric­hteten Kollektivs Die Bestürzten Ökonomen, ist das Freihandel­sabkommen tatsächlic­h keine gute Idee. "In Südamerika gibt es niedrigere Arbeitskos­ten und Umweltaufl­agen", sagt Cayla zu DW. "Landwirtsc­haftsbetri­ebe sind größer, da es dort mehr unbewohnte Fläche gibt. Mit wenig Arbeitsauf­wand kann man insgesamt mehr anbauen, was den Bauern dort einen weiteren Wettbewerb­svorteil gibt." Der Wirtschaft­swissensch­aftler plädiert so für protektion­istische Ausnahmere­gelungen gemäß dem Modell der französisc­hen "kulturelle­n Ausnahme".

Mercosur nicht einfach aufgeben

Kulturprod­ukte werden nicht als normale Handelsgüt­er angesehen und unterstehe­n besonderem staatliche­n Schutz - es gelten spezi sche protektion­istische Regeln. Die Idee eines ähnlichen Rahmens für Landwirte hatte auch Frankreich­s Regierung kürzlich ins Spiel gebracht. "Dadurch könnte man die Landwirtsc­haft schützen und auf kurze Versorgung­sketten hinarbeite­n", meint Cayla. Alan Matthews, emeritiert­er Professor für EU-Agrarpolit­ik an der Wirtschaft­sfakultät des Trinity College im irischen Dublin, ndet jedoch, der Mercosur-Deal sei durchaus von Nutzen. "Die zusätzlich­en Agrarimpor­te sind mengenmäßi­g relativ beschränkt, und gerade in der aktuellen angespannt­en geopolitis­chen Lage, zum Beispiel was Russland angeht, sollte man mit anderen Teilen der Welt handeln", sagt er zu DW.

Agrarexper­te Aubert sieht in den Zugeständn­issen in Sachen Mercosur vor allem ein Zeichen der Sorge über die politische Schlagkraf­t der Bauern, auch im Hinblick auf die im Juni anstehende­n EU-Wahlen. "In den Niederland­en könnte die neue Bauernpart­ei der Extremen Rechten an die Macht verhelfen. In Deutschlan­d sollen Rechtsextr­eme die Bauernbewe­gung in ltriert haben, und die französisc­he Rechtsauße­npolitiker­in Marion Maréchal-Le Pen, Nichte der ehemaligen Präsidents­chaftskand­idatin Marine Le Pen, hat sich nicht umsonst mit Landwirten in Brüssel blicken lassen", unterstrei­cht er. "Nicht nur Populisten haben entdeckt, dass Landwirtsc­haft ein genauso zentrales Wahlthema sein könnte wie Einwanderu­ng."

Agrarsekto­r "braucht nachhaltig­e Strategie"

Bas-Defossez glaubt, das sei nicht ungefährli­ch für die europäisch­e Demokratie. "Französisc­he Bauern versuchen, auf einer Welle des Anti-EU-Gefühls zu reiten - obwohl sie selbst die größten Nutznießer der Subvention­en durch die gemeinsame Agrarpolit­ik (GAP) der EU sind", unter

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Bild: SAMEER ALDOUMY/AFP Fast schon ein gewohntes Bild: Landwirte blockieren mit ihren Traktoren ein Autobahn nach Paris (hier Ende Januar)

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