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EU sucht Geldquelle­n für Investitio­nen

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Viel sagte Christine Lagarde, Präsidenti­n der Europäisch­es Zentralban­k (EZB), bei der Tagung der europäisch­en Finanzmini­sterinnen und Finanzmini­ster im belgischen Gent nicht. Sie habe lediglich ein paar Zahlen genannt, meinte Christine Lagarde mit leicht säuerliche­r Miene.

Die Zahlen der EZB-Che n haben es allerdings in sich. Denn die EU muss von 2031 an jährlich 800 Milliarden Euro investiere­n, um ihre Klimaziele und die Dekarbonis­ierung der Wirtschaft zu erreichen. Hinzu kommen mindestens 75 Milliarden Euro jährlich an zusätzlich­en Verteidigu­ngsaufgabe­n, damit das Ziel erreicht werden kann, zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s für das Militär aufzuwende­n.

Gemeinsam Verteidigu­ng nanzieren?

Woher sollen die Milliarden kommen? Darüber herrscht bei den Finanzmini­stern der EU-Länder noch keine Einigkeit. Bruno Le Maire, der französisc­he Finanzmini­ster, führt eine Gruppe von Staaten an, die sich gemeinsame europäisch­e Schulden für die Verteidigu­ngsausgabe­n vorstellen.

Der EU-Kommissar für Wirtschaft, Paolo Gentiloni, sagte in Gent, die nötigen Investitio­nen seien enorm. Die öffentlich­e Hand müsse dazu beitragen. Deshalb müsse man sich fragen: "Was kommt als nächstes nach Next Generation?"

Next Generation ist das Corona-Aufbauprog­ramm im Wert von 750 Milliarden Euro, das die EU erstmals mit einem gemeinscha­ftlichen Schuldenfo­nds nanziert hat.

Der deutsche Finanzmini­ster

Christian Lindner (FDP) lehnte neue gemeinscha­ftliche EU-Schulden erneut ab. "Ich denke nicht,

dass wir das benötigen", sagte Lindner, der stattdesse­n auf Konsolidie­rung und Priorisier­ung der Haushalte setzt. Verteidigu­ng werde national organisier­t.

Deutschlan­d brauche eine dreijährig­e "Pause" bei der Erhöhung der Sozialausg­aben. "Wir müssen einmal mit dem auskommen, was wir haben." Der Staat solle in Verteidigu­ng und Digitalisi­erung investiere­n und gleichzeit­ig die Verschuldu­ngsregeln einhalten.

Investitio­nen mit Schulden nanzieren?

Der Direktor der wirtschaft­spolitisch­en Denkfabrik "Bruegel", Jeromin Zettelmaye­r, geht in Brüssel davon aus, dass Deutschlan­d und auch die EU netto mehr Schulden machen müssen, um alle Aufgaben zu meistern. Das gelte besonders für die Verteidigu­ngslasten

"Das ist ein extrem schwierige­s Problem, auch weil die Ausgaben so unterschie­dlich verteilt sind", sagte Zettelmaye­r der DW mit Blick auf die unterschie­dlichen Bedrohungs­lagen in Polen in russischer Nachbarsch­aft oder in Portugal weit weg von der Ost anke.

"Es muss eine gesamteuro­päische Lösung geben. Wenn es zu einer Neuauflage der europäisch­en Fonds kommt, wird es wahrschein­lich mit dieser Aufgabe zu tun haben. Wir brauchen auf europäisch­er Ebene so etwas ähnliches wie das Sonderverm­ögen für die Bundeswehr."

Einheitlic­her Markt für Kapital könnte helfen

Ein Weg, um mehr Kapital in Europa verfügbar zu machen und das Wirtschaft­swachstum langfristi­g zu sichern, soll die sogenannte Kapitalmar­ktunion der EU werden. Sie wird seit Jahren diskutiert und soll die Finanzieru­ng von Unternehme­n über EU-Binnengren­zen hinweg erleichter­n.

Druck machte hier ein sichtlich verärgerte­r Bruno Le Maire, Frankreich­s Finanzmini­ster. Man habe lang genug geredet, jetzt müsse entschiede­n und gehandelt werden. Wenn nicht alle 27 EU-Staaten mitziehen wollten, würde Frankreich mit einer kleinen Gruppe der Willigen voranschre­iten, kündigte Le Marie bei der EU-Tagung in Gent an.

Bundes nanzminist­er Christian Lindner bremste dagegen den französisc­hen Vorstoß. Zwar müsse es schneller gehen, aber alle 27 Staaten müssten gemeinsam vorangehen, verlangte Lindner.

Im März will die Eurogruppe, als die 20 Staaten, die den Euro als Währung haben, zumindest einen Fahrplan verabschie­den, wie die Kapitalmar­ktunion erreicht werden kann.

EZB-Che n Christine Lagarde steuerte wieder eine Zahl zur Diskussion bei: 250 Milliarden Euro an Investitio­nskapital ießen jährlich aus der EU ab, vor allem in die USA. Der Kapitalmar­kt dort ist viermal so groß wie der in Europa. Das könnte eine Kapitalmar­ktunion mit einheitlic­hen Regeln verändern.

Lahme Konjunktur wegen hoher Zinsen

Über die stagnieren­de Konjunktur in der EU haben die Finanzmini­sterinnen und Finanzmini­ster ebenfalls diskutiert. Konkrete Maßnahmen wurden allerdings nicht beschlosse­n. Zwar sinkt die In ation, aber die Leitzinsen der

EZB bleiben hoch. Das bremst das Wirtschaft­swachstum.

Nun schaut Europa mit "gewisser Sorge" auf seine größte Volkswirts­chaft, auf Deutschlan­d, so Jeromin Zettelmaye­r von der Denkfabrik "Bruegel".

Deutschlan­d ist Schlusslic­ht beim Wachstum in der Eurozone.

Es sei aber zu früh zu attestiere­n, dass die Bundesrepu­blik der "kranke Mann Europas" sei. Die aue Konjunktur hänge immer noch mit den hohen Energiepre­isen nach Russlands Überfall auf die Ukraine zusammen.

Außerdem werde mittelfris­tig die demogra sche Entwicklun­g für Probleme sorgen. Die Überalteru­ng bringt weniger Arbeitskrä­fte und mehr Rentner mit sich. "Von dieser 'Krankheit' haben wir aber schon vor zehn Jahren gewusst", sagte Jeromin Zettelmaye­r der DW. Ein Rezept dagegen wird noch gesucht.

Der EU-Kommissar für Wirtschaft, Paolo Gentiloni, versuchte, etwas Ho nung zu machen. Der Aufschwung werde kommen, nur etwas verzögert. Vielleicht Ende des Jahres, wenn die Europäisch­e Zentralban­k die Leitzinsen wieder senkt. Dazu war der unabhängig­en EZB in Gestalt von Präsidenti­n Christine Lagarde in Gent aber keine Aussage zu entlocken.

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Bild: Bernd Riegert/DW EZB-Präsidenti­n Lagarde als "Spaßbremse": Sie lässt die Zinsen hoch und warnt vor hohen Lasten in der Zukunft

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