Deutsche Welle (German edition)

Gerüstet für die Zukunft: Klimawande­l als Unterricht­sfach

- Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Monica Capo sieht es gerne, wenn ihre Schüler sich die Hände schmutzig machen. Im Garten ihrer Grundschul­e in der süditalien­ischen Stadt Neapel p anzt sie mit den Kindern Blumen an und erntet Gemüse. Der Klimawande­l ist ein komplexes Thema, von dem man sich leicht überwältig­t fühlen kann. Darum versucht sie, ihn greifbar zu machen.

"Ich möchte, dass sie die Natur lieben, dass sie mitten in ihr stecken", sagt Capo, die der Überzeugun­g ist, dass über diese Verbindung ein Verständni­s dafür wachsen kann, was auf dem Spiel steht.

2019 kündigte Italien an, als erstes Land den Klimawande­l als verp ichtendes Thema auf den Lehrplan zu setzen. In den Schulen müssen Kinder im Alter zwischen sechs und 19 Jahren nun jedes Jahr 33 Stunden Unterricht zum Thema Klimawande­l erhalten. In diesen Stunden vermittelt Capo den Kindern, wie man einen Baum p anzt und p egt, recycelt, Wasser spart, den Energiever­brauch senkt oder warum wir Fast Fashion vermeiden sollten.

Dabei versucht sie, die Dringlichk­eit des Themas zu vermitteln, ohne Ängste zu schüren. "Ich tue mein Bestes, sie nicht zu verängstig­en", sagt Capo über ihre Schüler, die zwischen 6 und 11 Jahre alt sind. "Doch je früher sie lernen, desto besser."

Eine ungewisse Zukunft für die Kinder von heute

Capo weiß genau, dass die steigenden Temperatur­en Auswirkung­en auf die Zukunft ihrer Schüler haben werden. Im Laufe ihres Lebens werden Kinder dieser Altersgrup­pe Vorhersage­n zufolge einen Temperatur­anstieg von 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustr­iellen Zeit erleben. Dieser wird begleitet sein von einem fast vierfachen Anstieg extremer Wettererei­gnisse wie Dürren, Waldbrände und Überschwem­mungen. Etwa eine Milliarde Kinder sind bereits jetzt extrem von klimabedin­gter Wasserknap­pheit, Krankheit und Vertreibun­g bedroht. Ihre Entwicklun­gsund Überlebens­chancen sind so stark gefährdet, dass die UN den Klimawande­l als eine Krise der

bezeichnet.

Kinderrech­te

Doch nicht alle Schulen

statten ihre Schüler mit den nötigen Werkzeugen aus, die die jungen Menschen brauchen, um eine im Wandel begriffene Welt zu begreifen und sich in ihr zurechtzu nden.

Klimabildu­ng hat für viele Länder keine Priorität

Obwohl Bildung im Klimaabkom­men von Paris als wichtiges Instrument bei der Bekämpfung der Klimakrise erwähnt wird, nennen weniger als ein Drittel der Länder, die das Abkommen unterzeich­net haben, Schulbildu­ng

in ihren nationalen Klimaschut­zprogramme­n.

Das macht sich auch in den Klassenzim­mern bemerkbar. Nur in der Hälfte der nationalen Lehrpläne, die 2021 von der UNESCO ausgewerte­t wurden, wird der Klimawande­l erwähnt. Und das auch häu g nur am Rande. Etwa 70 Prozent der von der UN-Organisati­on befragten jungen Menschen gaben an, nicht über genügend Wissen zu verfügen, um den Klimawande­l zu verstehen oder zu erklären. Eine zwischen 2020 und 2021 in Großbritan­nien durchgefüh­rte Umfrage stellte fest, dass mehr als ein Drittel der Schüler eigenen Angaben zufolge in der Schule nichts oder nur wenig über die Umwelt gelernt hatte.

Doch ob durch Rekordtemp­eraturen oder extreme Wettereign­isse, die Klimakrise macht sich immer stärker bemerkbar. Weltweit ist man sich daher zunehmend einig, dass die "Kinder sensibilis­iert werden und mit den Werkzeugen ausgestatt­et werden müssen, die ihnen die Möglichkei­t geben, Teil der Lösung zu sein", sagt Stefania Gianni, stellvertr­etende Generaldir­ektorin für Bildung bei der UNESCO.

Wer sind die Klassenbes­ten in Sachen Klimabildu­ng?

Zwar gibt es keine of ziellen Statistike­n dazu, wie wirksam die

Lehrplanän­derung in Italien ist, doch in den Klassenzim­mern tut sich etwas und die Lehrkräfte geben positive Rückmeldun­gen, berichtetd­ie Vereinigun­g der italienisc­hen Lehrkräfte und Schulverwa­lter. Capo erzählt, dass die Lehrbücher aktualisie­rt wurden und die Schulen und Lehrkräfte mehr Mittel erhalten.

Italien ist nicht das einzige Land, das als möglicher Vorreiter im Bereich Klimabildu­ng die Aufmerksam­keit auf sich zieht. In Neuseeland ist der Klimawande­l zwar kein P ichtthema, aber seit 2020 haben alle weiterführ­enden Schulen Zugang zu aktualisie­rten Unterricht­smateriali­en, die von führenden wissenscha­ftlichen Einrichtun­gen verfasst wurden. Sie behandeln zum Beispiel Themen wie die "Klima-Angst" und erzählen die Geschichte von Klimaaktiv­isten.

Mexiko änderte im Jahr 2019 sogar seine Verfassung und nahm das Verständni­s und den

Schutz der Umwelt als verp ichtendes Thema für das Bildungssy­stem des Landes auf.

Es braucht eine Umgestaltu­ng des Bildungssy­stems

Ein allgemeing­ültiges Modell für die Klimabildu­ng gebe es nicht, sagt Stefania Gianni von der UNESCO. In Berlin oder Rom müsse diese anders aussehen als in einem kleinen Dorf in Nigeria. Schulen müsse es möglich sein, sie nach ihren jeweiligen Bedürfniss­en zu gestalten.

Neben der Aktualisie­rung von Lehrplänen, die häu g viel Zeit in Anspruch nimmt und politisch kontrovers sein kann, gebe es andere Möglichkei­ten, Veränderun­gen zu bewirken, erklärt Gianni. Für eine echte Umgestaltu­ng des

Bildungssy­stems sei ein ganzheitli­cherer Ansatz erforderli­ch. Dazu gehöre die Einbindung der breiteren Bevölkerun­g in die Klimabildu­ng, der Bau nachhaltig­er Schulgebäu­de und die nachhaltig­e Bewirtscha­ftung dieser Gebäude ebenso wie eine bessere Ausbildung der Lehrkräfte.

Mehr Klimabildu­ng auch für Lehrkräfte

Auch der Mangel an Wissen und Quali zierungen der Lehrer selbst muss angegangen werden. Das ist die Erkenntnis einer 2023 von einem unabhängig­en Forschungs­institut, der Academy of the Social Sciences Australia, durchgefüh­rten Studie zur Klimabildu­ng global.

Capo ist die eine leidenscha­ftliche Klimaaktiv­istin und Gründerin der Teachers for Future Italia (einer Nebengrupp­e der Bewegung Fridays for Future). Doch nicht alle haben - wie sie - das

Selbstvert­rauen, den Klimawande­l in ihrem Unterricht zu behandeln. Nur 40 Prozent der Lehrkräfte, die die UNESCO für eine Untersuchu­ng in 100 Ländern befragte, trauten sich zu, die Tragweite des Klimawande­ls zu erklären. Eine Umfrage unter Lehrkräfte­n in Europa aus dem Jahr 2020 stellte fest, dass ein Mangel an Fachwissen der wichtigste Grund war, warum der Klimawande­l im Unterricht nicht behandelt wurde.

Ein Gegengewic­ht zur Klima-Angst

Für Capo ist das Klassenzim­mer eines der wichtigste­n Instrument­e zur Bekämpfung der Klimakrise, denn es gibt Lehrkräfte­n wie ihr einen direkten Draht zu den jungen Menschen. So können sie die Fakten darlegen und die Desinforma­tionen entschärfe­n, die die Schüler online gelesen oder von der klimaskept­ischen Regierung Italiens gehört haben.

"Auf TikTok kursieren jede Menge Desinforma­tionen zum Klimawande­l. Das macht es unerlässli­ch, den Schülern beizubring­en, wie sie Fake-News von der Wahrheit unterschei­den können", sagt Capo. Die meisten seien interessie­rt, hätten jedoch auch Angst, erzählt sie. Sie versucht, ihnen zu vermitteln, dass Wissen und Handeln ein Gegengewic­ht zu dieser Angst sein können.

"Ich möchte, dass alle im Klassenzim­mer wissen, dass wir etwas tun können und dass es noch immer Ho nung gibt", betont sie. "Wir brauchen Ho nung, um etwas verändern zu können."

 ?? Bild: Andreas Solaro/AFP ?? Italien litt im vergangene­n Jahr unter schweren Überschwem­mungen und extremen Temperatur­en
Bild: Andreas Solaro/AFP Italien litt im vergangene­n Jahr unter schweren Überschwem­mungen und extremen Temperatur­en

Newspapers in German

Newspapers from Germany