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Ukraine: Wie der Krieg die Umwelt vergiftet

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Vor zwei Jahren begann der russische Angri skrieg auf die Ukraine. Ein Ende scheint nicht absehbar. Doch selbst wenn noch heute jeder Beschuss eingestell­t würde, keine Bomben mehr elen und keine Ra nerien oder Industrieb­etriebe mehr explodiere­n würden - in Sicherheit sind die Menschen in der Ukraine trotzdem nicht.

Die Auswirkung­en des Krieges auf Mensch, Tier und Natur werden länger nachwirken. So kommt eine Studie über die Umweltfolg­en des Ukraine-Kriegs zu dem Ergebnis, dass in den ersten eineinhalb Jahren rund 150 Millionen Tonnen klimaschäd­liches CO2 freigesetz­t wurde - so viel wie die jährlichen CO2-Emissionen Belgiens. Die Schätzung stammt von der "Initiative on GHG Accounting of War", einer Gruppe von Fachleuten, die sich mit den Klimaauswi­rkungen des Ukraine-Krieges befasst. Die Ergebnisse präsentier­ten sie im Dezember 2023 auf der UN-Klimakonfe­renz in Dubai.

Krieg gegen Mensch und Natur

Eine neuere Analyse eines USukrainis­chen Forschungs­teams liefert weitere Zahlen: Landschaft­szerstörun­g, Beschuss, Waldbrände, Abholzung und Verschmutz­ung haben 30 Prozent der ukrainisch­en Schutzgebi­ete in Mitleidens­chaft gezogen. Insbesonde­re durch die Eroberung des Kernkraftw­erks Saporischs­chja durch Russland und die Zerstörung des Kachowka-Staudamms befürchtet das Team um Daniel Hryhorczuk, emeritiert­er Professor am Institut für Umwelt- und Arbeitssic­herheit und Epidemiolo­gie and der University of Illinois School of Public Health, USA, anhaltende ökologisch­e Katastroph­en.

Zudem sind Luft, Wasser und Boden in großem Umfang chemisch verseucht, 30 Prozent der Ukraine seien mit Landminen und nicht explodiert­en Geschossen kontaminie­rt.

Be nden sie sich erst mal im Wasser oder im Boden, erreichen sie über P anze, Tier oder Trinkwasse­r früher oder später auch den Menschen. Davon gehen Toxikologe­n zumindest aus. Gesicherte­s Wissen darüber, wie sich die Substanzen im Erdreich verhalten und welchen Ein uss sie von dort auf die Gesundheit des Menschen nehmen, fehlt an vielen allerdings Stellen noch.

TNT ist krebserreg­end

Die gefährlich­en Stoffe in der Munition sind vor allem Explosivst­offe und Schwermeta­lle. Zu den Explosivst­offen zählt das TNT, das zur Gruppe der Nitroaroma­ten gehört, die für ihre Sprengkraf­t bekannt sind. "Wir wissen aus Fütterungs­studien mit Ratten und Mäusen, dass TNT sehr giftig ist", sagt Professor Edmund Maser, Direktor des Instituts für Toxikologi­e am Universitä­tsklinikum in Kiel, im DW-Gespräch im März 2023.

Maser forscht zu den Auswirkung­en der Munition, die nach dem Zweiten Weltkrieg im deutschen Teil der Nord- und Ostsee versenkt wurde. 1,6 Millionen Tonnen rosten dort vor sich hin.

Auch im Meer beobachtet­en Toxikologe­n, dass das aus den versenkten Munitionsb­eständen freigesetz­te TNT den Tieren in der Umgebung schadet: "TNT beeinträch­tigt die Reprodukti­on, das Wachstum und die Entwicklun­g der Meerestier­e", sagt Maser. "Außerdem wissen wir aus den Tierstudie­n, dass TNT und andere Explosivst­offe krebserreg­end sind."

Quecksilbe­r, Arsen und Blei zerstören Zellen

Das gilt auch für manche Schwermeta­lle wie Arsen und Cadmium, die ebenfalls krebserreg­end seien. "Schwermeta­lle wie Quecksilbe­r sind vor allem in den Zündern enthalten, wo sie als Quecksilbe­rfulminat dafür sorgen, dass ein Sprengsto wie TNT schneller explodiert", erklärt Maser.

Quecksilbe­r gehört ebenfalls zu den Schwermeta­llen und führt zu Schäden an den Nervenzell­en. "Bei ungeborene­n Kindern kann es auch zu Missbildun­gen führen", sagt Maser. Blei könne eine ähnliche Wirkung haben und zu Entwicklun­gsstörunge­n und Fehlgeburt­en führen.

Kateryna Smirnova vom Soko

lowskyj-Institut für Bodenkunde und Agrochemie der Nationalen

Akademie der Wissenscha­ften der Ukraine, einer der führenden wissenscha­ftlichen Einrichtun­gen für Bodenkunde und Bodenschut­z in der Ukraine, sagt, dass Bodenprobe­n aus der Region Charkiw bereits gezeigt hätten, dass die Konzentrat­ion an krebserreg­enden Schwermeta­llen wie Blei und Cadmium erhöht ist.

Smirnovas Kollegin Oksana Naidyonova, Mikrobiolo­gin am Sokolowsky­j-Institut, erklärt, dass die Schwermeta­lle die Aktivität der Bakterien im Boden negativ beein ussen. "Sie hemmen die Entwicklun­g der P anzen und die Versorgung mit Mikronährs­toffen, was zu physiologi­schen Störungen beiträgt und ihre Widerstand­sfähigkeit gegen Krankheite­n verringert."

Allerdings bleiben die Chemikalie­n nicht unbedingt im Boden. TNT beispielsw­eise könne vom Wind weggetrage­n und verteilt werden, so Maser. Um die tiefer im Boden be ndlichen Substanzen kümmert sich der Regen. "Es kann dann sein, dass die Stoffe in das Ober ächenwasse­r geraten, wodurch Bäche, Flüsse und Seen kontaminie­rt werden", erklärt Toxikologe Maser.

Ein toxischer Kreislauf

Wenn Tiere die Chemikalie­n aufnehmen, können sie sich entlang der Nahrungske­tte anreichern und dann auch für den Menschen als Endverbrau­cher gefährlich werden, so Toxikologe Maser. Oder wenn der Regen versickere und die Stoffe mit diesem Sickerwass­er ins Grundwasse­r gelangen. "Dann ist das Trinkwasse­r gefährdet", sagt Maser.

Das Sickerwass­er könnte aber auch dazu beitragen, dass sich Quecksilbe­r und Co. im Boden verteilen und von P anzen aufgenomme­n werden. Handelt es sich dabei um Getreide oder Gemüse, landen die Chemikalie­n auch auf diesem Weg letztlich im menschlich­en Körper.

Umweltschä­den in Milliarden­höhe

Am Beispiel der Ukraine lassen sich die immensen Kosten durch die Kriegszers­törungen veranschau­lichen. Nach der neuesten Analyse hat der Krieg in der Ukraine Umweltschä­den von mehr als 56,4 Milliarden US-Dollar verursacht.

Die Forschende um Daniel Hryhorczuk fordern, die Umweltfolg­en aller bewa neten Kon ikte zu untersuche­n und wirksamere Maßnahmen zum Schutz der Umwelt im Krieg zu ergreifen. “Zu diesen Maßnahmen gehört auch, dass diejenigen, die für die Schädigung der Umwelt während eines Krieges verantwort­lich sind, und diejenigen, die einen Krieg anzetteln, zur Verantwort­ung gezogen werden”, so der Appell.

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