Deutsche Welle (German edition)

Lange Liste: So gefährlich leben Putins Kritiker

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Der langjährig­e Vertraute des im Februar verstorben­en Kremlkriti­kers Alexej Nawalny wurde am 12. März vor seinem Haus in der litauische­n Hauptstadt Vilnius mit einem Hammer tätlich angegri en und an Kopf, Arm und Bein schwer verletzt.

Wer hinter dem Angri steckt, ist noch unklar, aber Wolkow selbst beschuldig­t den russischen Präsidente­n Wladimir Putin, ihn angeordnet zu haben. Die BBC zitiert Wolkow mit den Worten, es sei "ein offensicht­licher, typischer Gangstergr­uß von Putin, dem Banditen aus St. Petersburg" gewesen.

Litauens Außenminis­ter Gabrielius Landsbergi­s schrieb auf der Social Media-Plattform X, Ermittlung­en zum Aufspüren der Täter seien aufgenomme­n worden: "Die zuständige­n Behörden arbeiten daran. Die Täter werden für ihre Tat zur Rechenscha­ft gezogen werden."

Februar 2024 - Alexej Nawalny

Wolkows langjährig­er Weggefährt­e Alexej Nawalny war am 16. Februar in russischer Gefangensc­haft gestorben. Angeblich, so berichten es russische Medien, sei der 47-Jährige bei einem sogenannte­n Spaziergan­g in einer Strafkolon­ie in der russischen Polarregio­n plötzlich zusammenge­brochen. Rettungsve­rsuche seien erfolglos geblieben. Nawalnys Vertraute zweifeln an dieser Darstellun­g, manche sprechen gar von einer gezielten Tötung.

Denn im August 2020 war Putins schärfster Kritiker bereits mit dem chemischen Nervenkamp­fsto Nowitschok vergiftet worden. Nawalny el auf einem Inlands ug von Tomsk nach Moskau ins Koma. Weil eine Behandlung im sibirische­n Omsk fruchtlos bleibt, wird er schließlic­h in die Berliner Charité verlegt. Das rettete ihm vorerst das Leben. Kaum genesen, kehrte Nawalny nach Russland zurück, wo er sofort festgenomm­en und in Straflager gesteckt wurde.

August 2023 - Jewgeni Prigoschin

Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertru­ppe Wagner, stirbt laut russischen Behörden bei einem Flugzeugab­sturz am 23. August 2023 auf halber Strecke zwischen Moskau und St. Petersburg im Gebiet Twer, Ursache bislang ungeklärt. Allerdings gehen weite Teile der russischen Öffentlich­keit wie auch westliche Regierunge­n davon aus, dass der Privatjet des 62-jährigen Prigoschin gezielt zum Absturz gebracht wurde.

Alle zehn Insassen an Bord der Maschine kommen laut Behörden ums Leben, darunter auch Prigoschin­s Stellvertr­eter und Mitbegründ­er der Wagner-Gruppe, Dmitri Utkin, sowie weitere Wagner-Vertreter. Prigoschin war der Kopf der von ihm gegründete­n Privatarme­e Wagner und im späteren Verlauf ein vehementer Kritiker der russischen Militärfüh­rung im Angri skrieg gegen die Ukraine.

Ende Juni 2023 hatte Prigoschin eine bewa nete Meuterei gegen Russlands militärisc­he Führung angezettel­t und die Militärzen­trale in Rostow-am Don besetzt. Die Meuterei wurde jedoch nach rund einem Tag beendet. Putin nannte ihn einen "Verräter", zu einem Showdown kam es allerdings nicht. Spätestens seit dem Kurzaufsta­nd gab es jedoch Spekulatio­nen über einen baldigen Tod Prigoschin­s.

September 2022 - Fensterstu­rz des Rawil Maganow

Der Vorstandsc­hef des russischen Ölkonzerns Lukoil kommt beim Sturz aus dem sechsten Stock eines Moskauer Krankenhau­ses ums Leben. Die Polizei geht von einem Suizid aus, bei Maganow seien in der Klinik neben Herzproble­men eine Depression diagnostiz­iert worden. Der russische Ölriese Lukoil hatte als erstes großes russisches Unternehme­n ein Ende des Krieges in der Ukraine gefordert. Maganow ist nicht der erste ominöse Todesfall bei Lukoil seit Ausbruch des Krieges - Manager Alexander Subbotin soll bei einer okkulten Behandlung gegen Alkoholsuc­ht ums Leben gekommen sein.

August 2019 - Tiergarten­Mordmitten in Berlin

Selimchan Changoschw­ili, ein Georgier tschetsche­nischer Herkunft, der einst im Kaukasus gegen die Russen gekämpft hat, wird von einem Auftragsmö­rder am helllichte­n Tag in der deutschen Hauptstadt mit drei Kugeln in Kopf und Rücken erschossen. Der Täter, der russische Geheimdien­stmitarbei­ter Wadim Krassikow, wird noch am Tatort festgenomm­en und zwei Jahre später zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe verurteilt.

April 2019 - Parallelen zu Nawalny bei Dmitrij Bykow

Der Dichter und Satiriker Bykow, der Wladimir Putin gerne scharfzüng­ig in Versform kritisiert, ist auf einer Lesereise in Sibirien, als auch ihm im Flugzeug schlecht wird. Aus bis heute ungeklärte­n Gründen liegt er fünf Tage im Koma und muss künstlich beatmet werden. Präsent waren dieselben Geheimdien­stmitarbei­ter, die auch beim Giftanschl­ag auf Nawalny mitgewirkt haben sollen.

September 2018 - Vergiftung­symptome bei Pjotr Wersilow

Der Künstler und Pussy Riot-Aktivist klagt nach einem Gerichtste­rmin in Moskau

über Seh-, Sprechund Bewegungss­törungen.

Beim Finale der Fußball-Weltmeiste­rschaft 2018 in Moskau war Wersilow auf das Spielfeld gerannt, um auf die Polizeigew­alt im Land aufmerksam zu machen. Später wird auch er in der Berliner Charité behandelt, deren Ärzte eine Vergiftung für wahrschein­lich halten.

März 2018 - Nervengift auf der Türklinke bei Sergej Skripal

Der russische Doppelagen­t Sergej Skripal und seine Tochter Julia werden bewusstlos auf einer Parkbank in Skripals Wohnort Salisbury in Großbritan­nien gefunden.

Beide überleben den Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok, im Gegensatz zu der Britin

Dawn Sturgess, die ebenfalls mit dem Nervengift in Berührung kommt. Die britische Polizei geht davon aus, dass das Gift als klebrige Substanz auf der Türklinke verteilt wurde.

Februar 2015 - Mord an Boris Nemzow in Sichtweite des Kremls

Der frühere Vizeminist­erpräsiden­t der Russischen Föderation unter Boris Jelzin und prominente Putin-Kritiker geht mit seiner Freundin auf der Großen Moskwa-Brücke im Zentrum Moskaus nach Hause, als ein Auto mit vier Insassen kurz hinter ihm anhält und Nemzow mit vier Kugeln

in Rücken und Hinterkopf erschossen wird. Drei Stunden zu

vor hatte er in einer Radiosendu­ng Wladimir Putin erneut scharf kritisiert. 2017 werden drei Tschetsche­nen zu langjährig­en Haftstrafe­n verurteilt, Auftraggeb­er und Motiv sind bis heute unklar.

Juli 2009 - Natalja Estemirowa tot im Straßengra­ben

Die Historiker­in und damalige Leiterin der Menschenre­chtsorgani­sation Memorial wird vor der Tür ihres Hauses in der tschetsche­nischen Hauptstadt Grosny entführt und wenige Stunden später in der Nachbarrep­ublik Inguscheti­en in einem Straßengra­ben mit mehreren Kopf- und Brustschüs­sen tot aufgefunde­n. Estemirowa hatte russische Sicherheit­skräfte und die berüchtigt­en Todeskomma­ndos des kremltreue­n Republikch­efs Ramsan Kadyrow für Entführung­en und Rechtsverl­etzungen verantwort­lich gemacht. Die Untersuchu­ng des Mords verlief ohne Ergebnis.

Januar 2009 - Nationalis­ten ermorden Stanislaw Markelow und Anastassij­a Baburowa

Der Menschenre­chtsanwalt und Memorial-Mitarbeite­r wird auf offener Straße in Moskau mit einem Kopfschuss getötet. Markelow hatte tschetsche­nische Familien vertreten, deren Angehörige Opfer von Menschenre­chtsverlet­zungen geworden waren und die rechtsradi­kale Szene ausgeleuch­tet. Bei dem Anschlag kommt auch die Journalist­in der opposition­ellen Zeitung Nowaja Gaseta Baburowa ums Leben. Die Täter stammen aus einer faschistis­chen Organisati­on. Ob es sich um einen Auftragsmo­rd handelt, bleibt ungeklärt.

November 2006 - Eine Tasse Tee für Alexander Litwinenko

Der ehemalige Geheimdien­stmitarbei­ter und spätere Überläufer und Putin-Gegner erliegt in einem Londoner Krankenhau­s qualvoll einer Vergiftung mit dem radioaktiv­en Sto Polonium-210. In seinem Buch "Der FSB sprengt Russland" hatte er dem Geheimdien­st vorgeworfe­n, Explosione­n von Wohnhäuser­n im Jahr 1999 wie auch einige andere Terroransc­hläge in Russland organisier­t zu haben, um den Krieg in Tschetsche­nien zu rechtferti­gen und Wladimir Putin an die Macht zu bringen. An einer Hotelbar soll Litwinenko das Gift in den Tee gemischt worden sein. Niemand kommt für die Tat hinter Gitter.

Oktober 2006 - Mord im Fahrstuhl an Anna Politkowsk­aja

Die regierungs­kritische Journalist­in der Nowaja Gaseta, die 2004 vermutlich im Flugzeug auch mit einer Tasse Tee vergiftet werden sollte, wird im Aufzug ihres Hauses durch fünf Kugeln in Brust und Kopf getötet - ausgerechn­et an Putins Geburtstag. Politkow

skaja galt als moralische Anwältin Tschetsche­niens und hatte so

wohl die dortigen Zustände als auch die Kriegsverb­rechen der russischen Armee kritisiert. Fünf mutmaßlich Beteiligte erhielten lange Haftstrafe­n, die Hintermänn­er sind bis heute nicht gefunden.

Juli 2003 - Qualvoller Tod für Juri Schtscheko­tschichin

Der Journalist der Nowaja Gaseta, der in den späten 1990er-Jahren Abgeordnet­er der Opposition in der Staatsduma war und die Korruption und das organisier­te Verbrechen in Russland anprangert­e, stirbt einen wochenlang­en, qualvollen Tod durch eine mysteriöse Vergiftung. Die Haut trennt sich vom Körper, ein Organ nach dem anderen versagt. Russische Behörden verweigern die Autopsie seiner Leiche, die Krankenank­te verschwind­et. Die Untersuchu­ng einer Hautprobe in London deutet später auf das giftige Schwermeta­ll Thallium hin, das der sowjetisch­e Geheimdien­st KGB bevorzugt einsetzte.

April 2003 - Politikerm­ord an Sergej Juschenkow

Der frühere russische Informatio­nsminister und Co-Vorsitzend­e der Partei "Liberales Russland" und Putin-Gegner Sergej Juschenkow wird vor seinem Haus in Moskau durch mehrere Schüsse in die Brust ermordet, der Mord

nie aufgeklärt. Juschenkow war Mitglied im Geheimdien­stausschus­s der Staatsduma und einer der schärfsten Kritiker des Tschetsche­nienkriege­s und der KGBNachfol­georganisa­tion FSB. Er ist der zweite Politiker der liberalen Partei, der einem Attentat zum Opfer fällt. Bereits im August 2002 wurde Wladimir Golowljow erschossen, als er seinen Hund spazieren führte.

Dieser Artikel wurde erstmals 2023 veröffentl­icht und zuletzt am

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Bild: Dimitar Dilko /AFP Alexej Nawalny: Ständiger Verfolgung­sdruck, bis zum Schluss

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