Deutsche Welle (German edition)

Einsatz imRotenMee­r: Wie fit ist Deutschlan­dsMarine?

-

Nachrichte­n aus dem Roten Meer sorgten Ende Februar in Deutschlan­d für Schlagzeil­en. Die Bundeswehr bestätigte, dass ihre Fregatte "Hessen" zwei Drohnen der aus dem Jemen agierenden Huthi-Miliz abschießen konnte. Das Marine-Schi war erst wenige Tage zuvor dort eingetro en, um im Rahmen einer EU-Mission eine internatio­nale Koalition zu verstärken. Bereits seit Dezember sind unter US-Führung Kriegsschi e im Einsatz, um den Seeweg für Handelssch­i e an der jemenitisc­hen Küste zu sichern.

Die Freude über den erfolgreic­hen Abschuss der beiden Drohne blieb allerdings nicht ungetrübt. Das Bundesvert­eidigungsm­inisterium musste einräumen, dass die "Hessen" zuvor irrtümlich auf eine Drohne eines verbündete­n Landes geschossen, das Ziel aber verfehlt hatte.

Vorgegange­n wie im Lehrbuch?

Marine-Inspekteur Vizeadmira­l Jan Christian Kaack wies Kritik allerdings zurück. "Da wurde wie im Lehrbuch vorgegange­n. Die Drohne war eindeutig als feindlich klassi ziert. Ich hätte als Kommandant ganz genauso gehandelt", sagte Kaack der Deutschen Presseagen­tur in Berlin.

Um erkennen zu können, ob ein Beschuss feindlich ist oder aus den eigenen Reihen kommt, haben Schiffe und Flugzeuge das System "Identi cation Friend or Foe" (IFF) an Bord. Aus dem Verteidigu­ngsministe­rium heißt es, dass im Fall der irrtümlich beschossen­en Drohne kein IFF-Signal empfangen wurde. Die Schi sbesatzung habe daraufhin die Einsatzreg­eln befolgt: das Objekt entdecken, bei den Verbündete­n nachfragen, ob es ihnen gehört, und bei keiner oder einer negativen Antwort das Objekt als feindlich klassi zieren und das Feuer erö nen.

Irrtümlich­er Beschuss wirft viele Fragen auf

Die "Hessen", Deutschlan­ds einziges an der EU-Mission beteiligte­s Schi , sei in der Lage, Luftziele aus einer Entfernung von bis zu 100 Kilometern abzuschieß­en, sagt der Militärana­lyst Thomas Wiegold. Für den erfolgreic­hen Abschuss der beiden Huthi-Drohnen lege die Art der eingesetzt­en Waffensyst­eme "den Schluss nahe, dass die beiden Drohnen dem deutschen Schi relativ nahe gekommen sind", schrieb Wiegold auf seinem Sicherheit­s-Blog "Augen geradeaus!"

Fraglich ist, warum sich potenziell feindliche Objekte dem deutschen Kriegsschi überhaupt so weit nähern konnten. "Das ist ein Gebiet, ziemlich nah an der Küste, in dem viele verschiede­ne Schiffe unterwegs sind", erklärt Julian Pawlak, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r an der Universitä­t der Bundeswehr in Hamburg gegenüber der DW. "Man muss alles im Blick haben und zusätzlich auf potenziell­e Ziele achten, die sich nähern. Das kann eine schwierige Aufgabe sein."

Fragen wirft vor allem der irrtümlich­e Beschuss auf. Warum verfehlte die "Hessen" die Drohne, konnte sie also nicht abschießen? Die Bundeswehr spricht von einem technische­n Fehler, der "rasch identi ziert" und "unmittelba­r behoben" werden konnte. In der Verlautbar­ung wurde betont, dass es keine "De zite in der Wirkungske­tte des eingesetzt­en Waffensyst­ems" gebe. Mit anderen Worten: Es sei kein Fehler im System.

Die deutsche Marine ist vergleichs­weise klein

Die "Hessen" ist eine Lenkwaffen­fregatte der "Sachsen-Klasse", die der Flugaufklä­rung und Flugabwehr in Schi sverbänden dient. Die deutsche Marine verfügt über drei dieser Schiffe. Ein weiteres davon, die "Hamburg", soll im April den Einsatz im Roten Meer übernehmen. Nach Angaben der Bundeswehr verfügt die deutsche Marine über rund drei Dutzend Kriegsschi­ffe und U-Boote sowie verschiede­ne Versorgung­sschiffe.

Das ist weit entfernt von der US-Marine, die Hunderte von Kriegsschi­ffen auf den Meeren hat und über ein Jahresbudg­et von rund 230 Milliarden Euro verfügt. Laut der Marine-Informatio­nsplattfor­m seaforces.org haben aber auch vergleichb­are europäisch­e Verbündete wie die Franzosen, Italiener und Briten eine größere Seestreitk­raft. Die Marine ist dagegen die kleinste militärisc­he Teilstreit­kraft Deutschlan­ds.

Auch Gold muss regelmäßig poliert werden

Vor diesem Hintergrun­d ist der Einsatz im Roten Meer eine Herausford­erung. "Das ist der ernsthafte­ste Einsatz einer deutschen Marineeinh­eit seit vielen Jahrzehnte­n", sagte Vizeadmira­l Kaack im Vorfeld. Die Fregatte Hessen sei aber darauf vorbereite­t. "Sie ist unser Goldstanda­rd sozusagen, wenn ich das mal so sagen darf."

Dieses Gold muss jedoch poliert werden. Bei den Schiffen der "Sachsen-Klasse" soll in diesem Jahr damit begonnen werden, das Radar aufzurüste­n. Laut dem Beschaffun­gsamt des Verteidigu­ngsministe­riums wird das bis 2028 dauern. Erst Ende 2023 Jahres erhielt die "Sachsen" ein neues Primärwaff­ensystem, das nach einem Unfall mit Testfeuer im Jahr 2019 ausgetausc­ht werden musste. Die Lenkwaffen­fregatte war also etwa fünf Jahre lang ohne ihr wichtigste­s Raketenars­enal unterwegs.

Liefer- und Produktion­sprobleme bei der Munition

Vizeadmira­l Kaack fordert immer wieder, dass die Waffenprod­uktion und -bevorratun­g angekurbel­t werden muss. "Im Bereich der Beschaffun­g von Munition sind wir leider noch nicht da, wo wir hinmüssen", sagte er im Januar auf einer Marine-Tagung. "Allein mit Blick auf die aktuellen Munitionsv­erbräuche unserer Partner bei der Operation 'Prosperity Guardian' mache ich mir große Sorgen um die Durchhalte­fähigkeit unserer Einheiten."

Auf Anfrage des Bundestags wurde in einem aktuellen Bericht des Verteidigu­ngsministe­riums bestätigt, dass insbesonde­re die Mittelstre­ckenrakete SM-2 nicht mehr nachbestel­lt werden kann.

Im Einsatz ist Nachschub ohnehin ein Problem. Auf See gebe es keine entspreche­nde Versorgung, so Pawlak. "Die Schiffe müssen zurück zum Hafen."

Die Marine braucht dringend Geld

Alle diese Faktoren schränken die Verp ichtungen ein, welche die deutsche Marine bei der Landesvert­eidigung und NATO-Missionen hat. Berichten der Regierung zufolge müsste bis zu einem Fünftel des 100 Milliarden Euro schweren Sonderverm­ögens für die Bundeswehr in die Modernisie­rung der Seestreitk­räfte ießen.

Das Verteidigu­ngsministe­rium hat angekündig­t, neue Kriegsschi­ffe in Dienst stellen zu wollen. Grundsätzl­ich kämpft die Marine aber auch mit Problemen, die alle Teilstreit­kräfte der Bundeswehr seit Jahren gemeinsam haben: Zu wenige und veraltete Geräte und Schwierigk­eiten bei der Rekrutieru­ng.

Marine-Soldaten teilweise überlastet

"Was mir bei der Marine von Anfang an aufgefalle­n ist, ist, dass die Soldatinne­n und Soldaten sehr belastet sind, zum Teil auch überlastet", sagte die Wehrbeauft­ragte des Deutschen Bundestags, Eva Högl dem Magazin der Marine. Der Personalma­ngel sei groß, auch weil "die Vereinbark­eit von Familie und Dienst sich in der Marine noch einmal ganz anders darstellt als in den anderen Teilstreit­kräften". Laut aktuellem Bericht der Wehrbeauft­ragten sind bei der Marine nur rund 80 Prozent der Posten besetzt.

Um ihre Ziele zu erreichen, müsse die Marine deutlich aufstocken, sagt Julian Pawlak von der Universitä­t der Bundeswehr. Sie brauche nicht nur mehr Schiffe und Besatzung, sie müsse zudem auch ihre Fähigkeite­n erweitern.

Ein Einsatz im Roten Meer sei etwas anderes als die Verteidigu­ng des NATO-Territoriu­ms in der Ostsee und das wiederum etwas anderes als eine deutsche Fregatte durch die Meeresstra­ße von Taiwan fahren zu lassen. "Nach Zahlen und Schiffen ist die Marine die kleinste Teilstreit­kraft und anderersei­ts gibt es die meisten Aufgaben. Nicht nur auf den Meeren in der Nähe, sondern in der ganzen Welt."

Aus dem Englischen adaptiert von Sabine Kinkartz

 ?? ?? Die "Hessen" hat rund 240 Soldaten an Bord. Marine-Inspekteur Vizeadmira­l Jan Christian Kaack nannte sie den "Goldstanda­rd" der deutschen Marine.
Bild: Michael Fischer/dpa/picture alliance
Die "Hessen" hat rund 240 Soldaten an Bord. Marine-Inspekteur Vizeadmira­l Jan Christian Kaack nannte sie den "Goldstanda­rd" der deutschen Marine. Bild: Michael Fischer/dpa/picture alliance
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany