Deutsche Welle (German edition)

Iran: Justiz unterstütz­t gezielt Drangsalie­rung von Frauen

-

Journalist­en aus Teheran berichten von einer nervösen Stimmung in den Polizeista­tionen. Nach einem Vorfall in der Stadt Ghom sei alles zum Stillstand gekommen, die Polizei stehe in Bereitscha­ft. Das rund 120 Kilometer südlich der Hauptstadt Teheran gelegene

Ghom gilt als religiöses Zentrum des Iran und ist eine wichtige religiöse Ausbildung­sstätte der Schiiten. Dort war am 9. März in einer Klinik ein Geistliche­r von einer wütenden Frau verfolgt worden. Sie wollte ihn zwingen, ein Video von seinem Handy zu löschen.

Der Geistliche hatte die junge Mutter heimlich ge lmt, als sie ohne Kopftuch in einer Ecke saß und ihr krankes Baby stillte. Solche Videoaufna­hmen werden an die Justiz übermittel­t und dienen als Beweismitt­el für die Strafverfo­lgung von Frauen, die in der Öffentlich­keit kein Kopftuch tragen.

Selbst in der Stadt Ghom gibt es Frauen, die gegen Gesetze und Traditione­n verstoßen. Wenn aber sogar in lange schwarze Tschadors gehüllte Frauen die drangsalie­rte junge Mutter unterstütz­ten und den Geistliche­n bedrängten, das Video zu löschen, verdeutlic­ht das die allgemeine Wut der Gesellscha­ft auf die religiöse Führung. Das Video über den Vorfall verbreitet­e sich schnell in den sozialen Netzwerken und sorgte für Empörung.

Protestier­ende werden verhaftet

Schnell verkündete die Staatsanwa­ltschaft von Ghom die Verhaftung von vier Personen. Darunter auch diejenige, die die Auseinande­rsetzung der Frauen mit dem Geistliche­n aufgezeich­net hatte. Diese Person habe gestanden, das Video aufgenomme­n und verbreitet zu haben mit "der Absicht, die Gesellscha­ft zu spalten".

Die regierungs­treue Zeitung "Keyhan", ein Sprachrohr des "Revolution­sführers" Ayatollah Khamenei, macht den israelisch­en Geheimdien­st für den Vorfall verantwort­lich. Der Mossad versuche, erneut Unruhen im Iran zu schüren, heißt es in einem Leitartike­l.

Die Ereignisse in dem Krankenhau­s haben das Potenzial, neue Massenprot­este im Iran auslösen. Mit welchen Methoden die Behörden in solchen Fällen vorgehen, belegen teilweise geheime Dokumente, die seit Ende Februar im Netz zugänglich sind.

Hacker stellen Justiz bloß

Eine Hackergrup­pe namens "Edalat-e Ali" (Gerechtigk­eit Alis) hat die Server der iranischen Justiz angegriffe­n und ein umfangreic­hes Archiv mit Millionen von Akten und Protokolle­n ins Netz gestellt. Die Gruppe ist seit dem Sommer 2021 im Iran bekannt. Damals hatte sie das Überwachun­gssystem des berüchtigt­en Evin-Gefängniss­es in Teheran gehackt und Hunderte von Gigabyte an Daten ins Netz gestellt. Die Videos enthüllten unmenschli­che Bedingunge­n für Gefangene in der größten und am stärksten gesicherte­n Haftanstal­t des Landes.

Mit ihrem neuen Cyberangri haben die Hacker umfangreic­he Datensätze der Justiz erbeutet. Darunter be nden sich beispielsw­eise Sitzungspr­otokolle des Nationalen Sicherheit­srats nach dem Tod von Jina Mahsa Amini. Das Protokoll mit dem Siegel "sehr vertraulic­h" offenbart unter anderem die "Schwerpunk­te zum Umgang mit dem Fall Mahsa Amini".

Die 22-jährige Jina Mahsa Amini starb im September 2022 nach ihrer Festnahme durch die Sittenpoli­zei. Die junge Frau soll ihren Hidschab nicht angemessen getragen haben. Ihr Tod löste Straßenpro­teste aus, mit denen die Machthaber monatelang herausgefo­rdert und die schließlic­h brutal niedergesc­hlagen wurden.

Protestbek­ämpfung durch Desinforma­tion und Einschücht­erung

Beim ersten Treffen des Nationalen Sicherheit­srats wurde diskutiert, wie mögliche Proteste eingedämmt werden sollten. Ein wichtiges Thema war dabei die Kontrolle des Internets und der darin veröffentl­ichten Inhalte. Ziel war es, Unsicherhe­it im virtuellen Raum zu schaffen. Das heißt in der Praxis: Desinforma­tion betreiben, ein ussreiche Persönlich­keiten gezielt angreifen, Aktivisten als Agenten bezeichnen.

Dass die Behörden behaupten, hinter dem jüngsten Vorfall in Ghom stecke der israelisch­e Nachrichte­ndienst Mossad, passt in dieses Schema: Die Darstellun­g der Behörden soll die einzige Wahrheit des Geschehens sein. Sich aus unabhängig­en Quellen zu informiere­n, wird kriminalis­iert.

"Die Dokumente zeigen, welche Methoden die Justiz benutzt, um Journalist­en, Menschenre­chtsaktivi­sten, Studenten und alle anders Denkenden wegen ihres friedliche­n Einsatzes einzuschüc­htern", sagt Moein Khazaeli im Gespräch mit der DW. Khazaeli hat Rechtswiss­enschaften und Politikwis­senschafte­n an der Universitä­t Teheran und an der Universitä­t Malmö in Schweden studiert, wo er derzeit lebt. Er fügt hinzu: "Die Rechte der Bürger werden systematis­ch von der Justiz verletzt. Jeder, der sich kritisch äußert, muss damit rechnen, eine Akte bei der Justiz zu haben. Man ndet in den Dokumenten Akten, die sogar für Journalist­en außerhalb des Landes angelegt wurden. Viele von ihnen wurden ohne ihr Wissen zu Gefängniss­trafen verurteilt."

Gleichzeit­ig hat die Veröffentl­ichung der Dokumente viel Kritik hervorgeru­fen. Kahzaeil erklärt: "Diese Informatio­nsmenge, die auch Angaben zu zivilrecht­lichen Streitigke­iten mit der Ausweisnum­mer der Beteiligte­n enthält, verletzt die Privatsphä­re vieler Bürger und gefährdet deren Sicherheit. Diese Informatio­nen können auf verschiede­ne Weise gegen sie verwendet werden. Zum Beispiel von Kriminelle­n im Cyberraum."

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany