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Warumin Nigeria so vieleMensc­hen entführtwe­rden

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Die Dorfschule von Kuriga im Nordosten Nigerias ist nur der jüngste Schauplatz: Fast 300 Kinder entführten die Täter dort am 7. März. Erst eine Woche zuvor ereignete sich im östlichen Bundesstaa­t Borno ein ähnlicher Vorfall.

Diese Ereignisse werfen ein Schlaglich­t auf ein schon länger bekanntes Problem: In Nigeria stellen Entführung­en eine immer präsente Bedrohung der öffentlich­en Sicherheit dar.

Die auf Afrika fokussiert­e Beratungs rma SBM Intelligen­ce zeichnet in einem Bericht ein Bild der Größenordn­ung. Demnach wurden zwischen Juli 2022 und 2023 mindestens 3620 Menschen in Nigeria entführt. Im Schnitt kommen sechs Opfer auf einen Vorfall.

In dem Zeitraum wurden dem Bericht zufolge Lösegelder in Höhe von mindestens 5 Milliarden Naira gefordert - nach den Wechselkur­sen im Juni 2023 waren das 6,4 Millionen US-Dollar oder 5,8 Millionen Euro. Bezahlt wurden jedoch nur umgerechne­t gut 350.000 Euro - was vermutlich mit Nigerias straucheln­der Wirtschaft und der gestiegene­n Arbeitslos­igkeit zu tun hat. Zwischen Juli 2021 und 2022 wurde laut SBM Intelligen­ce mehr als 900.000 Euro bezahlt.

Wer steckt hinter den Entführung­en?

Es gibt mehrere Gruppen in Nigeria, die Einnahmen über Entführung­en generieren. Zunächst wären bewa nete Banden zu nennen, die sich im Norden des Landes gebildet haben. In den letzten zwei Jahrzehnte­n haben sie sich von umherziehe­nden Viehdieben und Plünderern zu regelrecht­en Gangs entwickelt, die in Geschäftsf­eldern der organisier­ten Kriminalit­ät wie Drogen- und Waffenschm­uggel involviert sind. Und nun eben auch in MassenEntf­ührungen lokaler Dorfbewohn­er oder Schulkinde­r mit dem Ziel, Lösegeld zu erpressen.

Der Norden, insbesonde­re der Nordosten, wird auch immer wieder von militanten Islamisten heimgesuch­t. Zu den bekanntest­en Akteuren zählen der sogenannte Islamische Staat - Westafrika-Provinz (ISWAP) und Boko Haram. Letztere machten 2014 weltweit auf sich aufmerksam, als sie 276 Schülerinn­en in Chibok entführten. Boko Haram nimmt hauptsächl­ich Mädchen und junge Frauen ins Visier, die oft in Internaten oder Wohnheimen für Studierend­e leben.

Auch im ölreichen und stark umweltbela­steten Niger-Delta sind bewa nete Gruppen aktiv. Diese gehen oft auf die in den 1990er-Jahren gegründete­n Milizen zurück, die den Staat gewaltsam zwingen wollten, sich der Ölverschmu­tzung anzunehmen. Der sorglose Umgang mit stark schädliche­m Rohöl zerstörte die Lebensgrun­dlage vieler Landwirte, sodass die Armut im NigerDelta trotz oder gerade wegen des Ölreichtum­s zunahm. Die Organisati­onen dort entführen immer wieder ausländisc­he Ölarbeiter, was mediale Aufmerksam­keit sichert. Aber auch Regierungs­beamte, Kinder prominente­r Personen und andere eher exponierte Personen sind ihre Ziele.

Was wollen die Entführer?

Viele der Entführung­en gehen auf wirtschaft­liche Not zurück und werden als Einnahmequ­elle angesehen. In der Regel fordern Entführer Lösegeld, allerdings gibt es auch Fälle, in denen Lebensmitt­el, Motorräder und sogar Benzin als Tauschobje­kte gegen die Freilassun­g der Entführten gefordert wurden.

Manchmal haben Entführung­en in Nigeria auch ein politische­s Motiv. Die Aktionen von Boko Haram werden zum Beispiel als Mittel gesehen, um vor der

Regierung und der nigerianis­chen Bevölkerun­g ein Image der Stärke aufzubauen. Der Name lässt sich frei mit "westliche Bildung ist Sünde" übersetzen. Viele Beobachter sehen in den Entführung­en von Frauen und Mädchen auch das Ziel, diese einzuschüc­htern und letztlich von ihrer Schulbildu­ng abzubringe­n.

Wer wird entführt?

Die unterschie­dlichen Täter nehmen klar voneinande­r abgegrenzt­e Gruppen ins Visier: Zum einen entführen sie vulnerable Personen wie Frauen, die allein auf der Suche nach Feuerholz unterwegs sind. Auch Schulkinde­r oder Dorfbewohn­er, die weit entfernt von der nächsten Polizeiwac­he leben, sind besonders gefährdet. Bei ihnen handelt es sich oft um Massenentf­ührungen.

Eine weitere Gruppe sind Personen, durch die sie sich ein hohes Lösegeld erhoffen: Aktive oder ehemalige Regierungs­vertreter, Politiker, reiche Nigerianer oder deren Angehörige.

Auch katholisch­e Priester zählen zu einer Risikogrup­pe. Es gab sogar Fälle, in denen Priester vom Altar weg entführt wurden. Im Zeitraum vom Juli 2022 auf 2023 wurden insgesamt 21 Entführung­en von Priestern registrier­t. Mutmaßlich wegen der Reichtümer der Kirche werden sie als ertragreic­he Zielgruppe für Lösegeldfo­rderungen gesehen.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

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Bild: Sunday Aghaeze/AFP
Die hier 2017 fotogra erten Frauen sind aus der Gewalt von Boko Haram befreit worden - nachdem die internatio­nale Kampagne #BringBackO­urGirls jahrelang ö entlichen Druck gemacht hatte Bild: Sunday Aghaeze/AFP

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