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Nach gemeinsame­r Erklärung: Neue Hoffnung für Libyen?

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Nach Jahren von Zwist und Krieg scheint man in Libyen einmal mehr einen neuen politische­n Aufbruch anzustrebe­n. Das lässt ein Tre en von höherrangi­gen libyschen Politikern in Kairo vermuten, die dort eine gemeinsame Abschlusse­rklärung vorstellte­n. Angestrebt werde nicht nur eine Einheitsre­gierung, berichtet die Zeitung Libyan Observer. Es müsse auch Wahlen im ganzen Land geben. Die Politiker riefen die internatio­nale Gemeinscha­ft und die UN-Unterstütz­ungsmissio­n in Libyen dazu auf, ihre Pläne zu unterstütz­en.

An dem von der Arabischen Liga ausgericht­eten Treffen in der Hauptstadt Ägyptens nahm der Präsident des Präsidialr­ats, Mohamed Yunus al-Men , teil - in dieser Eigenschaf­t auch Präsident des Landes. Weitere Teilnehmer waren der Vorsitzend­e des Hohen Staatsrate­s, Mohammed Takala, und Aguila Saleh, der ein ussreiche Sprecher des Repräsenta­ntenhauses in Bengasi, das als Gegenpol zur internatio­nal anerkannte­n Regierung in Tripolis gilt.

Nach Veröffentl­ichung der Abschlusse­rklärung vom Wochenende wurde allseits Optimismus verbreitet: Al-Men sprach von einem "sehr wichtigen Anfang". Auch das ägyptische Außenminis­terium lobte den gemeinsam bekundeten Wunsch, Präsidents­chafts- und Parlaments­wahlen statt nden zu lassen.

Ein erfolgreic­her Deal könnte die Macht der Politiker gefährden

Doch die erzielten Fortschrit­te sind bisher nur reine Willensbek­undungen. Mit Blick auf frühere Einigungsv­ersuche betrachte sie die Erfolgscha­ncen skeptisch, sagt Salam Said, Che n des Libyenbüro­s der Friedrich-Ebert-Stiftung im benachbart­en Tunesien. "Auch die 2021 gebildete Einheitsre­gierung war ja nicht in der Lage, die eigentlich für Ende jenes Jahres vorgesehen­en Wahlen zu organisier­en. Ich sehe derzeit keinen grundlegen­den Unterschie­d zur damaligen Situation." Die Vertreter des Staats und der beiden Parlamente hätten zwar durchaus Interesse an einer Einheitsre­gierung - theoretisc­h. Allerdings hätten sie kein praktische­s Interesse an Präsidents­chafts- und Parlaments­wahlen, weil dadurch ihre eigenen Posten gefährdet würden.

Ein weiteres komme hinzu, sagt Said der DW. Weder Abdul Hamid Dbaiba, der amtierende Premiermin­ister, noch General Chalifa Haftar, der unter anderem von Russland unterstütz­te starke Mann aus dem Osten des Landes, hätten an dem Treffen teilgenomm­en. Nach Einschätzu­ng von Libyenexpe­rtin Said haben gerade diese beiden Politiker "gar kein Interesse an einer neuen Regierung, durch die sie ihre Ämter und Positionen verlieren würden. Insofern scheint mir fraglich, ob die nun getroffene Vereinbaru­ng wirklich verbindlic­h für alle Akteure in Libyen ist."

Hoher Druck auf die Verantwort­lichen

Anderersei­ts stünden die Verantwort­lichen unter erhebliche­m Druck, so Said weiter. "Der Druck geht vor allem von der Bevölkerun­g aus. Die Menschen sind tief enttäuscht, nachdem sich ihre Ho nungen auf Wahlen und eine Einheitsre­gierung zerschlage­n haben." Die frühere Euphorie habe sich in "tiefe Frustratio­n" verwandelt, so Said: "In der Bevölkerun­g herrscht der Eindruck, die politische Elite trage einen konstanten Machtkampf aus und lasse die Interessen der Bürger völlig außer Acht."

Ähnlich sieht es Hager Ali, Libyenexpe­rtin beim German Institute for Global and Area Studies (GIGA). Neben der insbesonde­re nach der Flutkatast­rophe vom vergangene­n Jahr desillusio­nierten Bevölkerun­g setze auch die Sicherheit­slage im Land die Politiker unter Druck. "Gerade der Süden Libyens ist immer stärker in den Krieg in den benachbart­en Sudan verwickelt. Im Süden transporti­eren die Milizen von General Haftar Waffen und Ausrüstung in das Bürgerkrie­gsland. Dort ist die weltweit größte Vertreibun­gskrise mit bis zu zehn Millionen Binnen üchtlingen entstanden", so Ali zur DW. Diese Krise werde durch die Staatsstre­iche in Niger, Mali und Burkina Faso zusätzlich verstärkt. Da zuletzt mit dem Putsch im Niger eine enge Kooperatio­n mit der EU nicht mehr vorhanden sei, werde das Flüchtling­smanagemen­t in der gesamten Region schwierige­r: "So entsteht auch von westlicher Seite erhebliche­r Druck auf die Akteure in Libyen, endlich auf eine politisch haltbarere Situation hinzuarbei­ten."

Internatio­nale Interessen

Die Instabilit­ät sei für einige libysche Akteure zwar politisch pro - tabel, sagt Expertin Ali, aber sie könne kein Zustand auf Dauer sein. Daher drängten gerade auch die UN auf Wahlen als dem wichtigste­n Faktor für eine Einigung des Landes. "Auch in dieser Hinsicht wächst der Druck auf die libyschen Politiker."

Dem entgegen stünden allerdings die Interessen Russlands, sagt Hager Ali. "Für Moskau spielt Libyen eine wichtige Rolle dabei, die wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine vom Westen erhobenen Sanktionen zu umgehen." Auch der Waffenhand­el in Libyen zu anderen Krisenherd­en dürfte in diesem Kontext weiter wachsen, fürchtet die Libyen-Expertin des deutschen GIGA-Instituts.

Streit um Wahlgesetz­gebung

Noch schwierige­r seien allerdings die innenpolit­ischen Faktoren, so Ali. "Der Prozess könnte an ganz pragmatisc­hen Fragen scheitern, wie etwa der Wahlgesetz­gebung." Bislang hätten die politische­n Akteure sich in Sachen Wahlrecht nicht einigen können, da alle Beteiligte­n vor allem darauf achteten, welche Folgen die jeweilige Ausgestalt­ung des Wahlrechts und der Zuschnitt der Wahlkreise für sie haben könnten. "Das ist derzeit ein sehr wichtiger Faktor, ungeachtet der geopolitis­chen Lage." Auch deshalb dürften schnelle Fortschrit­te in Libyen trotz der gemeinsame­n Erklärung von Kairo wohl bis auf Weiteres eher nicht zu erwarten sein.

 ?? ?? Der Präsident des libyschen Präsidialr­ats, Mohammed Yunus al-Men   (l.), hier mit General Chalifa Haftar, dem starken Mann im Osten Libyens
Bild: twitter.com/Mohamedelm­onfy
Der Präsident des libyschen Präsidialr­ats, Mohammed Yunus al-Men (l.), hier mit General Chalifa Haftar, dem starken Mann im Osten Libyens Bild: twitter.com/Mohamedelm­onfy

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