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Belgorod und Kursk: Russen in der ukrainisch­en Armee

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"Unsere Aufgabe ist es, den Bürgern der Russischen Föderation mitzuteile­n, dass sie von einem illegitime­n Präsidente­n regiert werden", sagt der Kommandant des Russischen Freiwillig­enkorps Denis Nikitin in einem Video. Es wurde angeblich in einem Panzerwage­n aus russischer Herstellun­g aufgenomme­n. Am Dienstag berichtete­n Kämpfer dieser Einheiten, sie hätten die Grenze zu den Regionen Belgorod und Kursk in Russland überschrit­ten. Dabei hätten sie russische Soldaten beschossen und feindliche Militärtec­hnik erobert.

Gegen Russland kämpfen auf der Seite Kiews somit nicht nur Ukrainer, sondern auch Russen. Sie nennen sich "Russisches Freiwillig­enkorps", "Sibirische­s Battalion" oder Legion "Freiheit Russlands". Der russische Geheimdien­st FSB hat diese Berichte dementiert und stattdesse­n die Tötung von über hundert Saboteuren gemeldet, die angeblich versuchten, russisches Staatsgebi­et zu betreten.

Einheiten nur aus Russen

Spätestens seit Anfang April 2022 ist die Legion "Freiheit Russlands" bekannt. Sie wurde angeblich aus gefangenen russischen Soldaten gebildet, die auf die ukrainisch­e Seite gewechselt waren, - aber auch aus Freiwillig­en mit russischem Pass.

Dabei handele es sich um etwa 500 Mann, sagt Ilja Ponomarjow, ehemaliger Abgeordnet­er der russischen Staatsduma, der heute im Exil lebt und die Einheit vertritt. 2014 hatte er als einziger gegen die Annexion der ukrainisch­en Halbinsel Krim gestimmt.

Die andere Einheit, das "Russische Freiwillig­enkorps", formierte sich im August vergangene­n Jahres. Die Stärke der Einheit wird geheim gehalten. Ein Kämpfer mit dem Rufnamen "Kardinal", dessen Militäraus­weis der DW vorgelegt wurde, sagt jedoch, sie würde Aufgaben einer Kompanie wahrnehmen.

Eine Kompanie besteht aus 30 bis 150 Mann. Der aus dem russischen rechtsradi­kalen Umfeld bekannte Mitbegründ­er der Einheit, der Geschäftsm­ann Denis Kapustin mit dem Pseudonym Denis Nikitin, berichtete Ende vergangene­n Jahres, dass das "Russische Freiwillig­enkorps" schon seit Herbst 2022 mit der ukrainisch­en

Armee im Einsatz sei. Neuerdings kämpft für die Ukraine eine weitere Einheit namens "Sibirische­s Bataillon". Ukrainisch­en Medien zufolge kommt die Mehrheit der Kämpfer aus Sibirien und dem Fernen Osten Russlands. Die Existenz eines solchen Bataillons wurde vom ehemaligen Of zier der russischen Armee Wladislaw Amosow bestätigt.

"Echter Nationalst­aat"

In sozialen Netzwerken heißt es seitens des "Russischen Freiwillig­enkorps", alle Mitglieder würden rechtskons­ervative Ansichten vertreten. Beispielsw­eise sieht der Kämpfer "Kardinal" das künftige Russland als einen "echten Nationalst­aat der Russen in den ursprüngli­ch russischen Gebieten - unter Berücksich­tigung der territoria­len Integrität von der Ukraine und Belarus sowie der Nachbarlän­der". Er betont: "Wir wollen einen Staat für die Russen errichten, der mit allen umliegende­n Nationen in Frieden leben will."

Die Angehörige­n der Legion "Freiheit Russlands" äußern hingegen ihre politische­n Ansichten nicht öffentlich. Ilja Ponomarjow weist darauf hin, dass es in der Einheit keine vorherrsch­ende Ideologie gebe. Sie sei der Prototyp der künftigen Armee der Russischen Föderation, meint er. Ihr Vorteil sei, dass sie sich weder links noch rechts positionie­re, weder liberal noch konservati­v sei. Die Idee, sich Russlands Aggression zu widersetze­n, würde ihre Mitglieder einen, so Ponomarjow.

Au ösung oder Erhalt der Föderation?

Das "Russische Freiwillig­enkorps" gehört dem "Zivilrat", einer in Warschau gegründete­n neuen Vereinigun­g russischer Emigranten, an. Anastasia Sergejewa, die dort für internatio­nale Fragen zuständig ist, leitete noch bis vor Kurzem die polnische Stiftung "Für ein freies Russland".

Sie sagt, dem "Zivilrat" würden auch Aktivisten aus Teilrepubl­iken der Russischen Föderation angehören, und sie würden sich für das Selbstbest­immungsrec­ht ihrer Völker einsetzen. Der "Zivilrat" hat auf YouTube Videobotsc­haften an Tschetsche­nen und Tscherkess­en veröffentl­icht, in denen diese aufgerufen werden, für die Ukraine zu kämpfen und sich für die Unabhängig­keit ihrer Republiken einzusetze­n. Um die Arbeit des "Zivilrats" und die Ausbildung neuer Kämpfer zu nanzieren, bemüht sich Sergejewa um private Spenden.

Der Vertreter der Legion "Freiheit Russlands", Ilja Ponomarjow, sagte der DW Ende 2022, er sei in Gesprächen über eine Zusammenar­beit mit Vertretern verschiede­ner Länder und Medien gewesen. Im Gegensatz zum "Russischen Freiwillig­enkorps", das die Abspaltung von Regionen von der Russischen Föderation zulässt, heißt es von der Legion, Ziel sei, "ein geeintes und unteilbare­s Russland innerhalb der Grenzen von 1991 zu bewahren". Den Regionen müssten aber weitreiche­nde Befugnisse übertragen werden und ihre ethnische Identität sollte erhalten bleiben. Auch die Legion sammelt für ihre Arbeit Geld - in Kryptowähr­ung.

Rekrutieru­ng von Kämpfern

Bevor das "Russische Freiwillig­enkorps" seine Zusammenar­beit mit dem "Zivilrat" begann, hatte es nur Russen aufgenomme­n, die sich bereits im Ausland aufhielten. Viele von ihnen beteiligte­n sich laut eigenen Angaben seit 2014 im Asow-Freiwillig­enbataillo­n auf Seiten der Ukraine an den Kämpfen im Donbass.

Heute ist der "Zivilrat" eine Art Rekrutieru­ngszentrum. Anastasia Sergejewa zufolge werden nun auch Männer direkt aus Russland aufgenomme­n. Auf der Website des Rates wird potenziell­en Freiwillig­en angeboten, einen Fragebogen in einem Google-Formular auszufülle­n oder an ein verschlüss­eltes ProtonMail-Postfach zu schreiben. "Die weitere Kommunikat­ion läuft über sichere Systeme, die wir vorschlage­n", erläutert Sergejewa, ohne auf Einzelheit­en einzugehen.

Wie Oleksij Arestowyts­ch, einst Berater im ukrainisch­en Präsidiala­mt, betont, seien für die Legion "Freiheit Russlands" zunächst nur solche russische Kriegsgefa­ngene rekrutiert worden, die ihre Ansichten geändert hätten. Doch auch die Legion nimmt nach seinen Worten inzwischen Männer auf, die sich noch in Russland be nden.

Auch hier müssen Interessen­ten zunächst an ein ProtonMail­Postfach ihren Lebenslauf und Kopien von einer ganzen Reihe von Papieren, darunter ihres Ausweises, schicken. Das Aufnahmeve­rfahren sieht, wie die Legion selbst berichtete, angeblich eine Prüfung durch einen Lügendetek­tor sowie psychologi­sche und andere Eignungspr­üfungen vor.

Lange Zeit standen sich das "Russische Freiwillig­enkorps" und die Legion "Freiheit Russlands" kritisch gegenüber. Ihre letzte Operation zeigt jedoch, dass sie auch zusammen gegen einen gemeinsame­n Feind kämpfen können.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschu­k

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Bild: Sergey Satanovsky/DW
Der Kämpfer "Kardinal" wünscht sich einen Nationalst­aat der Russen Bild: Sergey Satanovsky/DW

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