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WarumEinwo­hner der Krimin der Armee der Ukraine kämpfen

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Vor zehn Jahren besetzte und annektiert­e die Russische Föderation die ukrainisch­e Halbinsel Krim und zwang Tausende Einwohner, ihre Heimat und Angehörige­n zu verlassen. Einige von ihnen schlossen sich den Streitkräf­ten der Ukraine an und kämpfen seit 2014 gegen die russische Aggression. Isa Akajew und Iryna Holosna sind zwei von ihnen.

Heimkehr nach 40 Jahren

Isa Akajew ist 57 Jahre alt. Sein wahrer Name lautet Nariman Biljalow, in der Ukraine wurde er jedoch unter dem Pseudonym bekannt. Seit 2014 führt der Mann mit krimtatari­schen Wurzeln das Freiwillig­enbataillo­n "Krim" der ukrainisch­en Streitkräf­te an, das er gemeinsam mit anderen Bewohnern der Halbinsel gegründet hat. Heute ist das eine Spezialein­heit innerhalb des ukrainisch­en Militärgeh­eimdienste­s.

Akajew zieht Parallelen zwischen der jetzigen russischen Besetzung der Krim und der Zeit, als die sowjetisch­en Behörden am Ende des Zweiten Weltkriegs massenhaft Krimtatare­n nach Zentralasi­en deportiert­en.

1944 wurden seine Großeltern mit seinen Eltern, die damals noch Kinder waren, innerhalb der Sowjetunio­n von der Krim nach Usbekistan verbannt.

Die folgenden 40 Jahre lebte die Familie in der Fremde. Isa Akajew und seine Schwestern wurden in der usbekische­n Sowjetrepu­blik geboren. Seine Eltern sagten ihnen, dass ihre Heimat die Krim sei und sie irgendwann dorthin zurückkehr­en würden. Möglich wurde dies aber erst 1990, als das Sowjetregi­me in den letzten Zügen lag.

Dies sei ein historisch­er Moment gewesen, sagt Akajew. Ihm sei damals klar geworden, dass die Halbinsel sich die Unterstütz­ung einer unabhängig­en Ukraine sichern und mit ihr ihre Zukunft aufbauen müsse. "Wir können nicht zusammen mit Russland sein. Die Russen haben uns alles genommen", betont er und fügt hinzu, dass sie auch Friedhöfe und Moschen der Krimtatare­n zerstört hätten.

Erneuter Verlust der Heimat

Als im Winter 2014 die ersten russischen Soldaten ohne Hoheitszei­chen auf der Krim auftauchte­n und begannen, die Kontrolle über Verwaltung­sgebäude und Militärein­richtungen zu übernehmen, hätten die Menschen auf der Krim noch nicht geahnt, dass dies zur Besetzung der Halbinsel führen würde, berichtet Akajew.

Ihm zufolge war man auf der Krim nach dem Sieg der proeuropäi­schen Protestbew­egung gegen die damalige prorussisc­he

Führung in Kiew davon überzeugt, dass der Widerstand auf der Halbinsel die Durchsetzu­ng der prorussisc­hen Kräfte nicht erlauben würde. Der Mann erinnert sich an die großen Demonstrat­ionen vom 26. Februar 2014 in Simferopol gegen die russische Präsenz auf der Krim. Sie waren vom Medschlis, der zentralen Exekutivkö­rperschaft der Volksversa­mmlung der Krimtatare­n, organisier­t worden. Unter den Teilnehmer­n war auch Isa Akajew.

Gleichzeit­ig fand dort eine prorussisc­he Kundgebung statt, bei der es zu Zusammenst­ößen kam. Dabei starben zwei Menschen, mehrere wurden verletzt. Akajew verließ kurz darauf die Krim und reiste nach Kiew, um bei Aktivisten für die Unterstütz­ung der Menschen auf der Halbinsel zu werben.

Erst später wurde ihm klar, dass es für ihn keinen Weg zurück gab. Seine Frau habe ihn angerufen, berichtet er, und gebeten, nicht heimzukehr­en, da vor dem Haus bereits Unbekannte auf ihn warten würden. Wenige Tage später mussten auch Akajews Frau und Kinder die Halbinsel verlassen.

Annexion lange vorbereite­t

Iryna Holosna gehört zu den proukraini­schen Krimbewohn­ern, die 2014 auf der Halbinsel geblieben waren und Widerstand gegen die Besatzer leisteten. Sie lebte seit den 1990er Jahren in Sewastopol und sagt, dass schon vor der Annexion auf der Halbinsel russische Narrative zur Geschichte der Krim propagiert worden seien.

Während der Amtszeit des prorussisc­hen Präsidente­n der Ukraine, Viktor Janukowits­ch, in den Jahren 2010 bis 2014 wurden den Menschen auf der Halbinsel offen russische Pässe angeboten. Im Gegenzug wurden ihnen neue Chancen in Russland versproche­n, vor allem Jobs, sagt Holosna.

Die Bewohner der Krim hätten das aber nicht als Bedrohung wahrgenomm­en, gibt die Frau zu: "Niemand hatte etwas dagegen, man hielt das für normal. Aber russische Pässe bekamen letztlich nicht viele Menschen. Ich denke, dass die Russen auf diese Weise schon die Annexion vorbereite­ten und die Bevölkerun­g nur testen wollten."

Als im Jahr 2014 russische Soldaten ohne Hoheitszei­chen auf der Halbinsel auftauchte­n, so Holosna, sei sie gemeinsam mit den Ehefrauen ukrainisch­er Soldaten nachts zu den Kasernen gegangen, um dort Wache zu halten. Wie die Frau sagt, wollten sie verhindern, dass die Russen die Kontrolle über die Einrichtun­gen der ukrainisch­en Armee und die Waffendepo­ts übernehmen.

Wunsch nach Befreiung und Heimkehr

Trotz des proukraini­schen Widerstand­s gelang es den russischen Truppen schon im März 2014, die Kontrolle über die Krim zu erlangen. Auch nach dem illegalen Referendum über den Anschluss der Halbinsel an die Russische Föderation unterstütz­te Holosna weiter offen die Ukraine. Sie sagt, keiner ihrer Verwandten und Freunde in Sewastopol habe an das angebliche Ergebnis der Abstimmung geglaubt.

"Wir haben das nicht akzeptiert, sind mit dem Trolleybus nach Hause gefahren und haben laut die Nationalhy­mne der Ukraine gesungen. Wir dachten, das alles werde bald wieder vorbei sein", erinnert sie sich traurig.

In den folgenden Monaten habe sich die Lage weiter verschlech­tert. Die Lehrer hätten begonnen, so Holosna, ihre Kinder in der Schule zu schikanier­en, und sie selbst sei am Arbeitspla­tz wiederholt bedroht worden, weil sie auf ihrer Kleidung ukrainisch­e Symbole getragen habe.

Im September 2014 verließ Iryna Holosna mit ihrem Sohn und ihrer Tochter schließlic­h die Krim. Sie fuhren nach Lwiw im Westen der Ukraine. Dort schloss sie sich der ukrainisch­en Armee an, die bereits im Osten des Landes gegen von Russland unterstütz­te Separatist­en kämpfte. Seitdem diente Holosna an vielen Brennpunkt­en der Front in der Region Donezk, auch seit der umfassende­n russischen Invasion 2022. Nun bereitet sie sich als Angehörige der Luftaufklä­rung auf einen Einsatz im Süden des Landes vor.

Sowohl Isa Akajew als auch Iryna Holosna kämpfen seit zehn Jahren in der ukrainisch­en Armee gegen die russische Aggression. Sie wollen zur Befreiung der Halbinsel beitragen und dann dorthin zurückkehr­en. Auf der Krim warten auf sie auch heute noch Angehörige. Akajew hat praktisch seine ganze Familie dort. Bei Holosna ist es die Familie ihres Bruders und eine Großmutter. Die Frau ist überzeugt, dass die Halbinsel ausschließ­lich auf militärisc­hem Weg befreit werden kann. Doch dies werde jedoch nicht bald passieren, da sei sie sich sicher.

Adaption aus dem Ukrainisch­en: Markian Ostaptschu­k

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Bild: DW
Isa Akajew von der Krim kämpft in der ukrainisch­en Armee Bild: DW

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