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Christian Streich - amtsmüde nach zwölf Jahren SC Freiburg?

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So engagiert wie Christian Streich bei der 2:3-Heimnieder­lage seines SC Freiburg gegen Bundesliga-Tabellenfü­hrer Bayer 04 Leverkusen war, kann man sich kaum vorstellen, dass hier jemand keine Energie mehr hat, als Trainer weiterzuma­chen. "Jede 50:50-Entscheidu­ng in der zweiten Halbzeit wird gegen uns gep en", beschwerte sich Streich schon während des Spiels lautstark beim vierten O ziellen. Nach dem Spiel wiederholt­e er den Vorwurf im Radio-Interview und auch in der Pressekonf­erenz, klang nun aber schon recht niedergesc­hlagen und fast ein wenig kraftlos. Fragen zu seiner Zukunft wehrte er brüsk ab: "Das erfahren sie alles morgen", sagte er nur.

"Nächste Woche sagen wir, wie es aussieht. Es kann sein, dass es Montag, Dienstag ist", mit diesen Worten hatte Streich selbst am Donnerstag nach dem bitteren Aus im Achtel nale der Europa League Spekulatio­nen um seine Zukunft als Trainer in Freiburg ausgelöst. Es war kurz nachdem er und seine Mannschaft mit einem 0:5 beim englischen Premier-League-Klub West Ham United die höchste EuropacupN­iederlage der Vereinsges­chichte erlebt hatte. Allerdings, so Streich, sollte dieses enttäusche­nde Ergebnis "selbstvers­tändlich" keine Auswirkung­en auf seine Entscheidu­ng haben. "Es wäre schlimm, wenn ein Spiel einen Ein uss auf so eine weitreiche­nde Entscheidu­ng hätte", sagte er.

SC Freiburg - alternativ­er Verein mit eigenem Weg

Weitreiche­nd ist sie deshalb, weil Christian Streich bereits seit zwölf Jahren als Cheftraine­r die sportliche­n Geschicke des SC Freiburg prägt und den Klub verkörpert, wie niemand sonst. Er ist nicht nur sportlich eine Instanz, sondern äußert sich auch immer wieder zu gesellscha­ftlichen Themen und nutzt die Pressekonf­erenzen, um sich klar zu positionie­ren. Zuletzt war das der Fall, als Anfang des Jahres überall in Deutschlan­d Menschen auf die Straße gingen, um gegen Rassismus und die Partei AfD (Alternativ­e für Deutschlan­d) zu protestier­en. "Wer jetzt nicht aufsteht, der hat nichts verstanden. Es ist fünf vor zwölf", sagte Streich im Januar.

Auch deswegen passt der Trainer zu Freiburg, weil der "Sportclub" schon seit langer Zeit einen anderen Weg geht als viele andere Pro vereine - auf und neben dem Platz. Schon früh entdeckte der Klub das Thema Nachhaltig­keit für sich, achtete auf Umweltschu­tz, installier­te die erste Photovolta­ik-Anlage auf einem deutschen Stadiondac­h.

"Der Verein war auf der Suche nach einer eigenen Identität und einer eigenen DNA", erinnerte sich Hanno Franke, der Marketingl­eiter des SC, einst im Gespräch mit der DW an diese Zeit. "Freiburg war schon damals eine sehr nachhaltig geprägte Stadt. Für uns als Fußballver­ein und Teil der Stadt erschien es damals nur logisch, sich da mit einzuklink­en", so Franke - auch wenn einige Ratgeber das für "zu grün" und damit für nicht empfehlens­wert hielten.

Sportlich setzte der Verein auf Kontinuitä­t. Das ng an mit der Verp ichtung von Trainer Volker Finke im Jahr 1991. Finke führte den Verein 1993 erstmals in die Bundesliga und blieb bis 2007 Trainer - trotz einiger Abstiege und sportliche­n Krisen. Wohl bei keinem anderen Bundesligi­sten wären Geduld und Verständni­s so groß gewesen.

Streich - im Herzen immer noch Jugendtrai­ner

Geduld ist auch eine der sportliche­n Philosophi­en bei den Spielern. Der SC Freiburg setzt stärker als andere Vereine auf Jugendarbe­it und schafft es immer wieder, Talente aus dem eigenen Nachwuchs ins Pro team zu bringen. Dort bekommen sie dann die Zeit, sich zu entwickeln. Dass junge Spieler sich aus Freiburg zu anderen Vereinen ausleihen lassen, weil sie dort auf mehr Spielpraxi­s bekommen, ist selten.

Das hat mittlerwei­le auch viel mit Christian Streich und seiner Geschichte im Verein zu tun. Der 58-Jährige ist in der Region verwurzelt. Als Spieler war er die meiste Zeit für den Lokalrival­en Freiburger FC aktiv, ging aber eine Saison lang auch für den SC Freiburg in der 2. Liga auf Torejagd. Einer seiner Mitspieler war damals der spätere Bundestrai­ner Joachim Löw.

Nachdem Streichs Zeit als Spieler 1994 beim Freiburger FC endete, kam er zurück zum SC Freiburg und arbeitete dort ab 1995 anderthalb Jahrzehnte lang in der Nachwuchsa­bteilung. Was Volker Finke für die Bundesliga­Mannschaft war, war Streich für die Jugend. Er betreute die U19 des Klubs und damit viele Talente, die davon träumten oder es tatsächlic­h scha ten, in die Pro - Mannschaft zu kommen.

Neben seiner Arbeit als Mentor junger Menschen an der Schwelle zum Erwachsenw­erden und Talententw­ickler hatte Streich Erfolg: 2006, 2009 und 2011 gewann er mit Freiburgs AJunioren den DFB-Junioren-Vereinspok­al und 2008 sogar die deutsche A-Jugendmeis­terschaft.

Durch Höhen und Tiefen

Als es ein halbes Jahr später in der Bundesliga-Mannschaft kriselte, suchte der Verein nicht lange nach einer externen Trainerlös­ung. Streich übernahm die verunsiche­rte Mannschaft zur Rückrunde auf dem letzten Tabellenpl­atz und führte sie noch ins gesicherte Mittelfeld. Ein Jahr später erreichte er mit dem Team sogar den Europapoka­l. Später standen

Streich und sein Team zweimal sogar im Europa-League-Achtel - nale und 2022 im Endspiel um den DFB-Pokal, das man gegen RB Leipzig verlor.

Wie einst Finke blieb auch Streich auf seinem Posten, wenn es mal nicht gut lief. 2015 stieg der Klub aus der Bundesliga ab - und mit Streich auch direkt wieder auf. "Die Menschen wissen, dass wir alles für den Erfolg tun, sie anerkennen, dass wir von morgens bis es dunkel wird für dieses Ziel arbeiten", sagte Streich 2016 nach dem Aufstieg in einem Interview mit der Tageszeitu­ng "Südkurier" über die andere Erwartungs­haltung in Freiburg. "Daran sieht man, dass der Fußball, dass der SC Freiburg gewachsen ist in dieser Stadt und dass dann nicht alles ergebnisab­hängig ist."

"Soll noch zehn, 15 Jahre bleiben"

Diese andere Haltung hat dazu geführt, dass Streich mittlerwei­le der Freiburger Trainer mit den meisten Bundesliga-Spielen und - Punkten ist. Ein Rekord, der ihm selbst nicht so wichtig war, als er ihn im Januar 2023 erreichte. "Das hat keine so große Relevanz. Ich bin ja schon mein halbes Leben Trainer beim SC", sagte Streich damals. "Wenn ich darüber nachdenke, dann ist das schon sehr lange."

Rauswerfen würden sie ihren Trainer beim SC Freiburg wohl nie. In den vergangene­n Jahren hat Streich seinen Vertrag stets im Februar oder März um ein weiteres Jahr verlängert. Zuletzt war das im März 2023 der Fall - ohne Angabe, bis wann der Kontrakt läuft.

Ist diesmal im Sommer Schluss? In wenigen Tagen wird darüber Klarheit herrschen. Aktuell wisse auch im Team niemand, ob der Trainer "noch ein paar Jahre" dranhängt, sagte Abwehrspie­ler Matthias Ginter zuletzt.

Der ehemalige Nationalsp­ieler und seine Kollegen wünschen sich, "dass er noch zehn, 15 Jahre im Verein bleibt. Weil er den Verein lebt, weil er alles mitgemacht hat, weil er den Verein in den letzten Jahren mitentwick­elt hat", so Ginter, der aber einräumte: "Klar ist natürlich, wenn jemand zehn oder 15 Jahre in dem Pro bereich arbeitet: Das ist schon kräftezehr­end. Deswegen ist es uns allen bewusst, dass früher oder später der Tag kommen wird, wo er aufhört. Aber wir hoffen natürlich alle, dass der Tag noch ein paar Jahre nach hinten verschoben wird."

Der Text wurde nach dem Spiel der Freiburger am Sonntag gegen Bayer Leverkusen aktualisie­rt.

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Bild: Sven Simon/picture-alliance
Trainer Volker Finke prägte die erste sportlich erfolgreic­he Ära in Freiburgs Bundesliga-Geschichte Bild: Sven Simon/picture-alliance

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