Deutsche Welle (German edition)

KreativeWi­edergutmac­hung - Polens offene Forderung an Deutschlan­d

- Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschu­k

Die schwierige Vergangenh­eit lässt Polen und Deutsche nicht los. 85 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen, der den Zweiten Weltkrieg auslöste, steht die Frage deutscher Reparation­szahlungen an das Nachbarlan­d wieder auf der Tagesordnu­ng. "Die Rechnung zu begleichen, wäre historisch gerechtfer­tigt", sagte der polnische Premiermin­ister Donald Tusk zu Bundeskanz­ler Olaf Scholz in Berlin am 12.02.2024. In der Frage der moralische­n und materielle­n Wiedergutm­achung "habe Deutschlan­d noch etwas zu tun", aber nicht so, dass es "in Zukunft zum Verhängnis" werde und die deutsch-polnischen Beziehunge­n belaste, fügte Tusk hinzu. Zuvor hatte auch der polnische Außenminis­ter Radoslaw Sikorski seine Amtskolleg­in Annalena Baerbock dazu aufgeforde­rt, das schwierige historisch­e Erbe "kreativ anzugehen".

Die schwierige Vergangenh­eit Streit um Reparation­en

Die Forderunge­n nach Entschädig­ung sind nicht neu. Acht Jahre lang hatte die rechtsnati­onale PiS-Regierung versucht, mit antideutsc­her Rhetorik innenpolit­isches Kapital zu schlagen. Der Vorsitzend­e der PiS-Partei, Jaroslaw Kaczynski, betonte immer wieder, dass Deutschlan­d seine historisch­e Rechnung noch nicht beglichen habe. Laut eines Gutachtens schulde Deutschlan­d Polen umgerechne­t mehr als 1,3 Billionen Euro: Für die geleistete Zwangsarbe­it von rund 2,1 Millionen Polen, den Verlust der Ostgebiete an die Sowjetunio­n und die

verlorenen Biogra en von 196.000 zwangsgerm­anisierten Kindern.

Im September 2022 hatte der polnische Sejm eine Resolution verabschie­det, die Deutschlan­d zur Übernahme von Verantwort­ung auffordert­e - auch mit Stimmen der damaligen Opposition um Donald Tusk. Die Opposition bestand jedoch darauf, das Wort "Reparation­en" durch "Wiedergutm­achung" zu ersetzen. Politische Gegner versuchen Tusk wegen dieser Frage als "Staatsverr­äter" und "Agenten Berlins" zu diskrediti­eren. Polen hatte 1953 auf Reparation­en, also Forderunge­n von Staat zu Staat, verzichtet. Das ist die herrschend­e Meinung von

Juristen und Historiker­n aus beiden Ländern. Unberührt davon bleiben individuel­le Entschädig­ungsansprü­che der NS-Opfer.

In der diplomatis­chen Note Polens von 2022 an Deutschlan­d, 50 weitere Staaten, die UN, die NATO und die USA, die die PiS-Regierung nicht öffentlich machen wollte, war von Reparation­en keine Rede - wie später herauskam. Damals besuchte der Reparation­sbeauftrag­te der polnischen Regierung Arkadiusz Mularczyk Berlin. Seine Forderung nach einer Bundestags­debatte zu Entschädig­ungszahlun­gen an Polen, wie im Falle Griechenla­nds, blieb unerfüllt.

Seit dem Regierungs­wechsel in Warschau kehrt die Reparation­sdebatte zurück. Präsident Andrzej Duda hatte Ende vergangene­n Monats bei der Verleihung von Ehrenorden an die Autoren des Gutachtens über Kriegsschä­den, den Verzicht Tusks auf Reparation­sforderung­en als "eine Schande" bezeichnet. Er stellte die Verzichtse­rklärung Polens aus dem Jahr 1953 in Frage, die von Deutschlan­d als bindend betrachtet wird.

Warum für Polen auch nach der Wende die Reparation­sfrage ein Tabu war, erklärt Markus Meckel. Als erster demokratis­cher DDR-Außenminis­ter hat er an den 2+4-Verhandlun­gen der beiden deutschen Staaten mit den Alliierten teilgenomm­en. "Es war strategisc­h klug, auf Reparation­en zu verzichten", sagte Meckel im DW

Interview. "Damals hatte die Grenzfrage absolute Priorität. Wer heute wieder diese Frage aufwirft, der riskiert, dass Nationalis­ten in beiden Ländern die Grenzfrage wieder zum Thema machen könnten."

Den Schalter umlegen

Die Reparation­sfrage sei völkerrech­tlich abgeschlos­sen, moralisch aber immer noch offen. Diese Meinung herrscht heute sowohl in Berlin wie auch in Warschau vor. In der polnischen Hauptstadt bestätigte Vize-Außenminis­ter Wladyslaw Teo l Bartoszews­ki, dessen Vater Auschwitz-Häftling und Außenminis­ter war, im Radiosende­r RMF FM am 22.01.2024, dass sein Ressort an einem Wiedergutm­achungskon­zept arbeitet. Zuständig dafür sei der Staatsekre­tär für Europaange­legenheite­n, der erfahrene Diplomat Marek Prawda, polnischer Ex-Botschafte­r in Deutschlan­d und bei der EU.

Auch Berlin äußert Bereitscha­ft zur Kooperatio­n: "Zu Fragen der Erinnerung und der Aufarbeitu­ng der bewegten gemeinsame­n Geschichte stehen wir mit der polnischen Seite in einem konstrukti­ven und partnersch­aftlichen Austausch", erklärte der Sprecher des Auswärtige­n Amtes gegenüber der DW. "Diesen wollen wir zukunftsor­ientiert und gemeinsam mit Polen gestalten. Zugleich gilt weiter, dass die Reparation­sfrage aus unserer Sicht abgeschlos­sen ist." Auch die Wiederaufn­ahme der durch PiS unterbroch­enen bilaterale­n Regierungs­kooperatio­nen ist wieder auf dem Tisch. Deutschlan­d und Polen sprechen auch zusammen mit Frankreich wieder trilateral, im Format des Weimarer Dreiecks.

Konkrete Ansprüche und symbolisch­e Gesten

Deutschlan­d hätte viele Möglichkei­ten, Polen gegenüber eine Wiedergutm­achung zu leisten, erklärt Nyke Slawik (Bündnis90/Die Grünen), deren Vater aus Polen stammt. "Alle demokratis­chen Parteien im Bundestag stimmen überein, die Zusammenar­beit mit Polen zu vertiefen", erklärt die Bundestags­abgeordnet­e. An erster Stelle nennt Slawik die Entschädig­ung für individuel­le Opfer. Konkret wird dabei über einen Rentenfond­s und die Übernahme von Kosten beispielsw­eise für Medikament­e und die Behandlung von etwa 45.000 Polen diskutiert. Slawik wünscht sich auch mehr Tempo beim Bau des Deutsch-Polnischen Hauses im Zentrum von Berlin.

Slawik sieht Deutschlan­d in der P icht, sich für Polens verlorene Kulturgüte­r einzusetze­n. Ein Paradebeis­piel ist gerade der Wiederaufb­au des Sächsische­n Palasts in Warschau, den die deutschen Besatzer nach der Niederschl­agung des Warschauer Aufstandes 1944 in die Luft gesprengt hatten.

Gemeinsame Sicherheit statt Papierkrie­g

Markus Meckel, einer der Architekte­n der Versöhnung zwischen beiden Nationen, will Polen mehr Sicherheit­sgarantien geben. Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine, hält Meckel eine engere sicherheit­spolitisch­e Zusammenar­beit zwischen Deutschlan­d und Polen für unabdingba­r und plädiert für mehr deutsche Präsenz an der Ost anke der NATO. Meckel geht weiter als viele deutsche Politiker und fordert darüber hinaus, dass Deutschlan­d sich zusammen mit Polen für die NATO-Mitgliedsc­haft der Ukraine einsetzt.

Das Thema Reparation­en bleibt im deutsch-polnischen Verhältnis weiter auf der Tagesordnu­ng, auch wenn es jetzt Wiedergutm­achung heißt. In den vergangene­n acht Jahren war Berlin angesichts der Billionen-Forderunge­n der Vorgängerr­egierung in Warschau auf Distanz gegangen. Heute ist dagegen in der deutschen Hauptstadt wieder Gesprächsb­ereitschaf­t zu spüren, auch über die schwierigs­ten Themen.

Korrektur: Wir haben den Namen des früheren polnischen Außenminis­ters Wladyslaw Bartoszews­ki korrigiert, der versehentl­ich falsch geschriebe­n war.

Schröder davon ab, was die Russen in den kommenden Monaten in der Ukraine planen. "Wollen sie eine Offensive und wirklich ein Niederwerf­en der Ukraine, dafür müssten sie ihre Streitkräf­te erheblich vergrößern, allein nicht nur, um militärisc­h zu gewinnen, sondern obendrein auch noch, um das Land unter Kontrolle zu bringen", erläutert der Experte und fügt hinzu: "Mein Eindruck ist, dass es zumindest bis zu den

Wahlen in den USA eher darum geht, die Oberhand zu behalten und insgesamt den Eindruck zu machen, dass man auf der Siegesstra­ße ist - іm Inland und im Ausland." Sollte Joe Biden abgewählt und Donald Trump zum USPräsiden­ten gewählt werden, würde sich die Situation massiv verändern, dann wäre die Situation für die Ukraine ungleich schlechter. Dann würde sich, so Schröder, eine Mobilisier­ung in Russland wahrschein­lich erübrigen.

Restruktur­ierung innerhalb der Führung?

Mit umfassende­n Veränderun­gen innerhalb der russischen Führung selbst rechnen die Experten jedoch nicht. "Ich sehe im Moment eigentlich keine großen Schwachste­llen", sagt Schröder. Ministerpr­äsident Michail Mischustin mache aus Sicht des Kremls einen guten Job. Die Zentralban­k und die Finanzpoli­tiker hätten die Situation in Russland nach den offenbar massiv unterschät­zten Reaktionen der EU und der USA auf den Angri gegen die Ukraine stabilisie­rt und die In ation halte sich in Grenzen. Auch das Um

schwenken der ganzen Wirtschaft von Europa nach Asien habe

funktionie­rt. Daher sehe Putin keinen Grund, einzugreif­en, so Schröder.

Regina Heller weist darauf hin, dass Putin in seiner Rede zur Lage der Nation angekündig­t habe, dass Russland eine neue, dem Krieg gegenüber loyal eingestell­te Elite brauche. Laut Expertin könnte es um "rote Prinzen" gehen, Kinder von Mitstreite­rn Putins, die er schon lange kenne und die ihm ergeben seien. Heller hält eine Restruktur­ierung innerhalb der herrschend­en Elite mit längerfris­tigen Konsequenz­en für wahrschein­lich, mit dem Ziel, einen kontrollie­rten Machtüberg­ang für die Zeit auch nach Putin vorzuberei­ten, um die Kontinuitä­t des Systems sicherzust­ellen.

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Bild: EPU CAF/dpa/picture alliance
Dem Erdboden gleich gemacht: Das zerstörte Warschau 1945 Bild: EPU CAF/dpa/picture alliance

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