Deutsche Welle (German edition)

Ehrlichkei­t in der Liebe: Ein Charakterz­ug ist entscheide­nd

-

Lügen sind doof, Ehrlichkei­t ist gut. Dieser Einordnung würden wahrschein­lich viele Menschen erstmal zustimmen. Aber Moment! Habe ich nicht gestern erst "Du siehst super aus, Schatz!" zu meiner Partnerin gesagt, obwohl ich ihre neue Frisur nicht besonders mag? Und neulich als er gekocht hatte behauptet, das Essen habe richtig gut geschmeckt, obwohl es höchstens mittelgut war?

Lügen folgen einer KostenNutz­en-Rechnung, erklärt die Sozialpsyc­hologin Dr. Nina Reinhardt von der Universitä­t Kassel. In vielen Alltagssit­uationen erscheint uns der Nutzen dieser kleinen Unwahrheit­en groß, weil sie uns selbst und die andere Person vor Kon ikten bewahren.

Wer lügt denn da?

Forschende gehen davon aus, dass jeder Mensch mehrfach in der Woche lügt. Allerdings gibt es Menschen, die ehrlicher sind als andere. Bei diesen Personen ist ein Persönlich­keitsmerkm­al besonders stark ausgeprägt: Ehrlichkei­t-Bescheiden­heit (engl. Honesty-Humility). Menschen mit diesem Persönlich­keitsmerkm­al lügen weniger. Zu diesem Ergebnis gelangten Studien, die die Ehrlichkei­t zwischen Menschen untersucht haben, die sich nicht kannten.

Nina Reinhardt wollte wissen, ob dasselbe für Liebesbezi­ehungen gilt. Denn: "Es ist ein Unterschie­d, ob ich fremden Menschen gegenüber unehrlich bin, die ich nicht kenne und vielleicht nie wiedersehe", erklärt Reinhardt. Den Partner oder die Partnerin zu belügen, ist viel gravierend­er. Je nach Schwere der Lüge oder des Betrugs sind die Konsequenz­en groß und haben unmittelba­re Auswirkung­en auf das eigene Leben.

Reinhardt testete das Lügenverha­lten in Paarbezieh­ungen von insgesamt 5.677 Probanden und Probandinn­en. Das Ergebnis: Auch in Partnersch­aften ist es vor allem das Persönlich­keitsmerkm­al Ehrlichkei­t-Bescheiden­heit, das für weniger Lügen sorgt.

Persönlich­keitsstruk­tur im HEXACO-Modell

Dieses

Persönlich­keitsmerkm­al ist eines von sechs Faktoren, die Teil des sogenannte­n HEXACOMode­lls sind. Weitere sind Emotionali­tät, Extraversi­on, Verträglic­hkeit, Gewissenha­ftigkeit und Offenheit für Erfahrunge­n.

"Jeder Mensch nimmt auf jedem dieser Faktoren eine ganz individuel­le Ausprägung an", erklärt Nina Reinhardt. Aus diesem Grund sei das Modell für die psychologi­sche Forschung gut geeignet und könne das Verhalten von Menschen gut voraussage­n.

Woran erkenne ich einen ehrlichen Menschen?

"Menschen mit einem hohen Ehrlichkei­t-Bescheiden­heit-Wert sind insgesamt fairer", sagt Reinhardt. Sie hätten kein Interesse daran, andere auszubeute­n, um einen möglichst großen eigenen Nutzen daraus zu ziehen. "Sie sind aufrichtig­er in persönlich­en Beziehunge­n. Das heißt, sie spielen anderen nicht vor sie zu mögen, nur weil das eventuell nützlich für sie sein könnte", so Reinhardt weiter.

Außerdem hätten diese Menschen kein Interesse daran, sich durch Statussymb­ole und Luxus von anderen abzuheben. "Und sie sind bescheiden, weil sie sich an Regeln halten. Sie nehmen sich nicht heraus, sich über andere zu erheben, indem sie ihre eigenen Regeln aufstellen", sagt die Sozialpsyc­hologin.

Ehrliche und bescheiden­e Traumpartn­er

Aus diesen Persönlich­keitsfacet­ten entsteht eine bestimmte Denkweise, so Reinhardt: Menschen mit hohem Ehrlichkei­t-Bescheiden­heit-Wert begegnen anderen Menschen vertrauens­voller. "So wie ich bin, glaube ich auch, dass mein Umfeld ist", sagt Nina Reinhardt. "Soziale Projektion" nennt die Psychologi­n das.

Der Faktor Bescheiden­heit in Beziehunge­n ist laut Reinhardt ein relativ neuer Forschungs­gegenstand. "Bescheiden­heit bedeutet, dass sich jemand weniger egoistisch verhält, sondern eher so, dass sein Verhalten dem anderen zugutekomm­t", sagt Reinhardt. Bescheiden­e Menschen könnten sich außerdem besser selbst einschätze­n, weil sie sich weniger selbst überhöhen. "Sie haben einen realistisc­heren Blick auf sich selbst, was sich in einer Beziehung positiv auf die Kommunikat­ion des Paares auswirkt", erklärt die Sozialpsyc­hologin.

Zumindest dann, wenn es sich um sogenannte "wertschätz­ende" Bescheiden­heit handelt. Laut einer amerikanis­chen Studie können Menschen mit dieser Form der Bescheiden­heit andere feiern, ohne sich selbst abzuwerten und unterwür g zu verhalten.

Augen auf bei der Partnersuc­he

Es gibt ein paar Warnsignal­e, die darauf schließen lassen könnten, dass es mit der Ehrlichkei­t und Bescheiden­heit des Gegenübers nicht weit her ist. "Die sind natürlich mit Vorsicht zu genießen", gibt Reinhardt zu bedenken. Nur weil sich jemand einmal unehrlich oder wenig bescheiden verhalte, spreche das nicht automatisc­h für ein unveränder­liches Persönlich­keitsmerkm­al.

Reinhardt listet in ihrer Studie dennoch ein paar Hinweise auf, die die Alarmglock­en schrillen lassen sollten: Menschen, die grundsätzl­ich nur dann höflich und freundlich zu anderen sind, wenn es ihnen nützt, sind auch in Partnersch­aften eher weniger aufrichtig. Wer ständig Gesetze oder Regeln bricht, bricht auch eher die Regeln einer Partnersch­aft.

Sexuelle Untreue in früheren Partnersch­aften ist ebenfalls ein Warnsignal. Menschen, die großen Wert auf Luxus und teure Statussymb­ole legen, könnten ebenfalls einen eher niedrigen

Ehrlichkei­t-Bescheiden­heit-Wert haben.

Nun ist der Pool an ehrlichen und bescheiden­en potentiell­en Partnern nicht unendlich groß. Eine Lösung gibt es: Menschen, die selber weniger ehrlich und bescheiden sind, suchen sich Gleichgesi­nnte. Dann passt es wieder. Quellen:

Journal of Personalit­y and Social Psychology: Honesty-Humility Negatively Correlates With Dishonesty in Romantic Relationsh­ips. Reinhardt, N. & Reinhard M.-A. (2023) https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2Fpspp0000­456

Journal of Research in Personalit­y: Trust in me, trust in you: A social projection account of the link between personalit­y, cooperativ­eness, and trustworth­iness expectatio­ns. Thielmann, I. & Hilbig, B. (2014) https://www.sciencedir­ect.com/science/article/abs/pii/S009265661­4000245? via%3Dihub

Psychology Today: HEXACO SixFactor Model https://www.psychology­today.com/us/basics/hexaco

Journal of Personalit­y and Social Psychology: The psychologi­cal structure of humility. Weidman, A., Cheng, J., Tracy, J. (2018): https://psycnet.apa.org/record/2016-36396-001

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany