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Streit umgeologis­ches Zeitalter: Lebenwir im Anthropozä­n?

- Redaktion: Jennifer Collins Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk

Vor etwa 12.000 Jahren leitete das Ende der Eiszeit ein neues geologisch­es Zeitalter ein, das als Holozän bekannt ist. Das relativ warme und stabile Klima ließ die menschlich­e Kultur aufblühen. Das Holozän förderte die Entstehung der Landwirtsc­haft und den Aufstieg und Fall aller wichtigen Zivilisati­onen, Kulturen und technische­n Entwicklun­gen.

Gleichzeit­ig veränderte der Mensch mit seinem Aufstieg durch Aktivitäte­n wie die Landwirtsc­haft seine Umwelt in einer Weise, wie es bisher keine andere Spezies getan hatte.

Viele Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler sind sich jedoch einig, dass die Jahrhunder­twende die letzten Momente des Holozäns markiert. Sie sagen, der Mensch habe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Geologie, die Landschaft, die Ozeane und die Ökosysteme der Erde so tiefgreife­nd und schnell verändert hat, dass damit eine neue geologisch­e Epoche angebroche­n ist: das Anthropozä­n.

Anthropozä­n oder nicht?

Andere Experten stellen diese Behauptung in Frage. Forschende, die sich in der Anthropozä­n-Arbeitsgru­ppe (AWG) zusammenge­schlossen haben, versuchten mehr als ein Jahrzehnt lang, die neue Epoche durch ein unabhängig­es Expertengr­emium der Internatio­nal Union of Geological Sciences formalisie­ren zu lassen.

Doch eine "große Mehrheit" des etwa 24-köp gen Gremiums lehnte einen Vorschlag ab, der den Beginn des Anthropozä­ns um 1950 bestätigte, wie die New York Times am 5. März dieses Jahres berichtete. Der Vorschlag kann erst in einem Jahrzehnt wieder verhandelt werden. Einige Befürworte­r der Ausrufung einer neuen Epoche gehen davon aus, dass die Industriel­le Revolution den Beginn des Anthropozä­ns markierte. Damals begann der Mensch, fossile Brennstoff­e zu verbrennen und Treibhausg­ase wie Kohlendiox­id auszustoße­n.

Andere argumentie­ren, das Anthropozä­n haben in den 1950er Jahren begonnen, als der Ein uss der Menschheit auf den Planeten immer größer wurde. Atmosphäri­sche Kernwaffen­tests in den 1950er und 1960er Jahren

zum Beispiel verbreitet­en eine Schicht von Plutonium-Isotopen, die eine Spitze in den Sedimenten verursacht­e - eine einzigarti­ge radiologis­che Markierung, die die Menschheit hinterlass­en hat.

Was ist eine geologisch­e Epoche?

Die Erdgeschic­hte ist in Abschnitte unterteilt, die als geologisch­e Zeitskala bezeichnet werden und in der Erdkruste aufgezeich­net sind. Geologisch­e Epochen wie die späte Kreidezeit, der mittlere Jura und das Holozän dauern in der Regel mehrere Millionen Jahre. Jede dieser Epochen hinterläss­t deutliche Spuren in den Gesteinssc­hichten, einschließ­lich der mineralisc­hen Zusammense­tzung und der Fossilien, die die großen klimatisch­en Veränderun­gen widerspieg­eln.

Befürworte­r der Ausrufung der neuen Epoche des Anthropozä­ns sind der Ansicht, dass der vom Menschen verursacht­e Klimawande­l, die Umweltvers­chmutzung, Atomtests und die industriel­le Landwirtsc­haft je

weils geologisch­e Spuren hinterlass­en, die Millionen von Jahren andauern werden.

Der Begri Anthropozä­n setzt sich aus den griechisch­en Begriffen für Mensch (anthropo) und jüngste Zeit (cene) zusammen und wurde im Jahr 2000 von dem niederländ­ischen Atmosphäre­nchemiker Paul J. Crutzen und dem US-Biologen Eugene Stoermer in einem kurzen Artikel populär gemacht.

Welche Spuren hat der Mensch auf der Erde hinterlass­en?

Das letzte Mal, dass sich so viel Kohlendiox­id (CO2) in der Atmosphäre befand, war vor drei Millionen Jahren. Die hohen CO2Konzent­rationen unserer Zeit führen zu einer Erwärmung des Planeten und zur Versauerun­g der Ozeane - so sauer wie heute waren die Meere seit Millionen von

Jahren nicht mehr. Die industriel­le Landwirtsc­haft und die Verstädter­ung haben die Landschaft­en verändert, und Düngemitte­l haben den Sticksto gehalt in Bö

den und Gewässern in die Höhe getrieben.

Frühere Epochen wurden durch Ereignisse wie Meteoriten­einschläge, Verschiebu­ngen der Kontinente und vulkanisch­e Aktivitäte­n ausgelöst, die gewaltige Mengen CO2 in die Atmosphäre schleudert­en. Sie hinterließ­en jeweils einzigarti­ge Spuren und veränderte­n den Lauf des Lebens auf dem Planeten. Das Anthropozä­n wäre jedoch das erste Ereignis, das von einer einzelnen Art - dem Menschen - ausgelöst worden wäre.

Obwohl der Vorschlag, das Anthropozä­n zu formalisie­ren, abgelehnt wurde, wird der Begri bereits von Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftlern verwendet. Sie halten ihn für ein hilfreiche­s Konzept, um die von der Menschheit verursacht­en Umweltbedr­ohungen zu erklären.

Das Anthropozä­n ist mehr als ein geologisch­er Begri - es ist ein Etikett, das den tiefgreife­nden Ein uss des Menschen auf die Erde, ihre Ökosysteme und andere auf dem Planeten lebende Arten zum Ausdruck bringt. Der Begri zeigt aber auch, dass die Menschheit die Macht hat, diesen Ein uss positiv zu gestalten.

Seit dem 16. Jahrhunder­t nimmt die Wissenscha­ft Abstand davon, den Menschen in den Mittelpunk­t des Universums zu stellen. 1534 entdeckte Nikolaus Kopernikus, dass die Erde die Sonne umkreist, und Charles Darwins Evolutions­theorien zeigten, dass der Mensch keine einzigarti­ge Stellung unter den Spezies hat.

Philosophe­n sagen, die neue De nition des Anthropozä­n versetze die Menschheit wieder in eine Position der Selbstbest­immung. Aber sie übertrage der menschlich­en Spezies auch eine neue Verantwort­ung.

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Bild: Michael Probst/AP Photo/picture alliance Der Container Terminal in Frankfurt ist ein Teil des technologi­schen und logistisch­en Fortschrit­ts.

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