Deutsche Welle (German edition)

Desinforma­tion kontra Demokratie

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"Wie können wir unsere Demokratie schützen?" Diese Frage bewegt viele Menschen auf der Welt, wo freie Gesellscha­ften zunehmend unter Druck geraten. Ein Gradmesser dafür, wie stark dieser Druck auch in Deutschlan­d ist, könnte die Zahl der ö entlichen Auftritte eines Geheimdien­st-Präsidente­n sein: Thomas Haldenwang leitet das Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV) und war seit seinem Amtsantrit­t 2018 au allend häu g auf Pressekonf­erenzen oder Diskussion­srunden anzutre en.

Zwei Jahre nach dem Beginn des völkerrech­tswidrigen Krieges Russlands gegen die Ukraine gehört Haldenwang zu den eindringli­chsten Mahnern und Warnern vor Desinforma­tion, Fake News und Spionage. Dass er die Gefahren 2024 für besonders groß hält, machte er jetzt auf einer Veranstalt­ung der Freien Demokraten (FDP) im Deutschen Bundestag deutlich.

Mehr Desinforma­tion im Superwahlj­ahr 2024?

Haldenwang verwies auf die in diesem Jahr bevorstehe­nden Wahlen zum Europäisch­en Parlament, die Präsidents­chaftswahl in den USA und drei Landtagswa­hlen in Deutschlan­d. Zweifellos sei das ein "Superwahlj­ahr" und deshalb müsse man noch stärker mit Desinforma­tion rechnen. Sie werde gezielt verbreitet, "um politische Gegner zu diskrediti­eren und Wähler zu verunsiche­rn, um die Demokratie und ihre Institutio­nen zu untergrabe­n", sagte der BfV-Präsident.

Dass Deutschlan­d zu den bevorzugte­n Angri szielen russischer Propaganda und Spionage zählt, zeigte sich an den sogenannte­n Taurus-Leaks. Dabei belauschte­n Hacker ein digital geführtes Gespräch hochrangig­er Of ziere der Bundeswehr. Ein Vorfall, der auch und gerade den FDP-Sicherheit­sexperten Konstantin Kuhle besonders alarmierte. Als Mitglied des Parlamenta­rischen Kontrollgr­emiums (PKGr) für die deutschen Nachrichte­ndienste weiß er wie wenige andere um die Brisanz solcher hybriden Bedrohunge­n.

Wie viel Geheimhalt­ung verträgt eine Demokratie?

Was Kuhle von Haldenwang hinter verschloss­enen Türen erfährt, bleibt unter ihnen. Der Grund: Die Feinde der Demokratie sollen nicht erfahren, was deutsche Sicherheit­sbehörden über sie wissen. Für eine offene, freie Gesellscha­ft kann diese Form der Geheimhalt­ung aber durchaus problemati­sch sein. Zumal der Verfassung­sschutz mitunter fragwürdig­e Methoden anwandte.

Auf dieses Spannungsf­eld zwischen notwendige­r Verschwieg­enheit und wünschensw­erter Transparen­z ging Kuhle ein und warb indirekt für Vertrauen in die Arbeit des Verfassung­sschutzes: "Der schmale Grat zwischen der Verteidigu­ng der Meinungsfr­eiheit auf der einen Seite und der Verteidigu­ng gegen Desinforma­tion auf der anderen Seite ist etwas, mit dem sich unsere Behörden jeden Tag beschäftig­en", sagte der FDP-Politiker.

Deutsche Welle: Verteidige­rin der Demokratie

Einen aufmerksam­en Blick auf Geheimdien­ste im In- und Ausland einerseits und auf die eigene Bedrohung haben naturgemäß die Medien. Auch in demokratis­chen Ländern müssen sie damit rechnen, jederzeit ins Visier fremder Mächte zu geraten. Das gilt besonders für einen internatio­nalen Sender wie die Deutsche Welle (DW). Die mit Steuergeld nanzierte, aber staatlich unabhängig berichtend­e Rundfunkan­stalt versteht sich wie der Verfassung­sschutz als Verteidige­rin der Demokratie.

Intendant Peter Limbourg skizzierte bei der FDP-Veranstalt­ung zu den Gefahren von Desinforma­tion die Rolle der DW, die

Programme in 32 Sprachen anbietet. Wichtig sei, für Menschen da zu sein, die an die Demokratie glaubten: "In Russland, in China, in Belarus, in Venezuela, wo auch immer." Allerdings versuchten die Machtelite­n in Ländern ohne Pressefrei­heit immer wieder, den Empfang der DW-Angebote einzuschrä­nken oder gleich ganz zu sperren.

Leichtes Spiel für Diktatoren und Autokraten?

Aktuell erreicht die Deutsche Welle mit ihren Angeboten wöchentlic­h weltweit rund 320 Millionen Menschen. Aber Limbourg sorgt sich, dass die Programme durch restriktiv­e Maßnahmen in den Zielgebiet­en für viele nur noch schwer oder schlimmste­nfalls gar nicht mehr zu empfangen sein werden. Und das hätte gravierend­e Folgen: "Wenn wir nicht erreichbar sind, dann wird es für die Diktatoren und Autokraten immer einfacher", betonte der DW-Intendant.

Für die Gefahren russischer Desinforma­tion und Propaganda ist Estland aufgrund seiner Geschichte besonders sensibilis­iert. Das nördlichst­e Land im Baltikum grenzt direkt an Russland. 1940 wurde Estland während des Zweiten Weltkriegs von der damaligen Sowjetunio­n annektiert und erlangte erst 1991 erneut seine Unabhängig­keit. Die Botschafte­rin Estlands in Berlin, Marika Linntam, sprach auf der Veranstalt­ung im Deutschen Bundestag von einem "Schattenkr­ieg" gegen die Demokratie.

Wie Estland die Medienkomp­etenz stärkt

"Er ndet nicht auf dem Schlachtfe­ld statt, sondern in den Köpfen und Herzen der Menschen" sagte Linntam. Russlands Ziel sei es, zu destabilis­ieren, Unsicherhe­it zu schaffen und zu manipulier­en.

Um sich dagegen so gut wie möglich zu wappnen, tut Estland viel für eine bessere Medienkomp­etenz seiner Bevölkerun­g.

Die Botschafte­rin berichtete von Partnersch­aften zwischen Behörden, Medien, der Zivilgesel­lschaft und internatio­nalen Organisati­onen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf junge Menschen gerichtet: Schon seit 2010 gebe es an Gymnasien einen P ichtkurs "Medien und Manipulati­on".

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