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Weltweit immerwenig­er Demokratie­n

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Die nackten Zahlen sind ernüchtern­d: In 137 Staaten, die man als Entwicklun­gs - oder Schwellenl­änder bezeichnen kann, hat sich nach einer neuen Studie die Qualität der Demokratie in den vergangene­n 20 Jahren verschlech­tert. Nach dem "Transforma­tionsindex" der Bertelsman­n-Stiftung stehen heute 63 Demokratie­n 74 Autokratie­n gegenüber. Staaten also, in denen es eher keine freien Wahlen oder keinen funktionie­renden Rechtsstaa­t gibt.

Zur Präsentati­on der Studie hatte die Stiftung am Montag auch Bundeskanz­ler Olaf Scholz(SPD) eingeladen. Scholz sagte mit Blick auf den auch in Deutschlan­d zunehmende­n Rechtspopu­lismus, er freue sich, dass dagegen zuletzt hunderttau­sende von Menschen auf die Straße gegangen seien: "Das ist ja nicht von oben oder von den Parteien gekommen. Es ist richtig, dass wir uns über eine Wehrhaftig­keit der Demokratie Gedanken machen. Aber am Ende ist das kein Theaterstü­ck, das ndet nicht im Internet statt, sondern das sind wir: Die Demokratie müssen wir selbst beschützen."

Was in Deutschlan­d noch gelingt, wird in vielen Ländern der Welt zunehmend schwierige­r. Laut der Bertelsman­n-Studie waren allein in den letzten zwei Jahren in 25 Ländern Wahlen weniger frei und fair als vorher. Zwei Jahre, die geprägt waren von einer neuen geopolitis­chen Lage, dem Angri skrieg Russlands auf die Ukraine und der Corona-Pandemie. Und in 39 Ländern wurde die Meinungs- und Pressefrei­heit immer mehr eingeschrä­nkt.

"Die Pandemie hat die Effekte noch verschärft!"

Sabine Donner ist eine der Autorinnen der Studie. Sie sagt der DW über den Effekt, den die Corona- Pandemie mit ihren Ausgangssp­erren und zeitweisen Eingriffen in die Freiheitsr­echte auf demokratis­che Entwicklun­gen hatte: "Die Pandemie war die Gelegenhei­t, Rechte noch einmal stärker einzuschrä­nken und die Macht noch stärker auf Regierunge­n zu konzentrie­ren. Aber grundsätzl­ich hat die Pandemie keine Probleme geschaffen, die nicht vorher schon existiert hätten."

Nach Angaben der Bertelsman­n-Stiftung ist die Studie die größte und umfangreic­hste ihrer Art. Grundlage sind 5000 Seiten an Länderberi­chten, die die Stiftung mit Hilfe von 300 Expertinne­n und Experten, Universitä­ten und Think Tanks in rund 120 Ländern zusammenge­tragen hat. Untersucht werden der Zustand der Demokratie, die wirtschaft­liche Entwicklun­g und das Regierungs­handeln. Alle drei Kategorien be nden sich zurzeit auf einem historisch­en Tiefstand.

Positiv: Die Demokratie­n wachen langsam auf

Den Kopf in den Sand stecken will Sabine Donner aber nicht, trotz aller negativen Meldungen. Sie beobachtet, dass in den gefestigte­n Demokratie­n die Aufmerksam­keit dafür wächst, wie die Welt zunehmend weniger frei wird: "In den letzten zwei bis vier Jahren sind Menschen und Regierunge­n, demokratis­che Staaten, auch wir hier in Deutschlan­d,

wachsamer dafür geworden, dass es autoritäre Herausford­erungen gibt. Die deutlich selbstbewu­sster sind, als sie es noch vor zehn Jahren waren. Aber das haben wir auch zugelassen, glaube ich."

Sind Demokratie­n zu langsam und un exibel?

Autoritäre Herrscher begründen ihr Handeln gerne mit der Behauptung, Demokratie­n seien zu schwerfäll­ig, zu wenig exibel und könnten im globalen Wettbewerb nicht mehr mithalten. Die Studie hält dagegen: Bewertet man ef zientes Regierungs­handeln, etwa während der Pandemie, dann haben undemokrat­isch organsiert­e und korrupte Regime wie Kambodscha, Venezuela oder Simbabwe am schlechtes­ten abgeschnit­ten. Die 45 Ländern mit der geringsten Effektivit­ät sind allesamt keine Demokratie­n.

Dass Autokratie­n in Krisenzeit­en eben nicht besonnener handeln als Demokratie­n, zeigt sich nach Ansicht von Sabine Donner auch im Verhalten Chinas während der Pandemie: "Das hat man in der Corona-Pandemie gesehen, als deutlich wurde, dass die strikten Lockdowns nicht funktionie­ren, dass es große Proteste gab, trotz aller Repression­en. Nicht nur die Einsicht in falsches Handeln, auch die Korrektur ist einfach schwerer. Auch Autokratie­n können unter Druck geraten, weil die Bevölkerun­g mit den Ergebnisse­n nicht zufrieden ist."

Ziviles Engagement ist der Schlüssel

Entscheide­nd für eine weniger autokratis­che Entwicklun­g bleibt das zivile Engagement der Menschen, die sich für freie Wahlen, Pressefrei­heit und Gewaltente­ilung einsetzen. Gibt es hier kontinuier­lichen Druck, kann die Abwehr von autokratis­chen Tendenzen gelingen. Die Studie listet als Beispiele die jüngsten Wahlen in Kenia und Sambia auf. Aber auch positive Tendenzen in Europa. Zum Beispiel in Polen oder der Republik Moldau.

Eine geringere Rolle spielen kulturelle oder religiöse Ein üsse. Können etwa muslimisch­e Länder wie die der Golf-Region aus sich selbst heraus autokratis­che Tendenzen zurückdrän­gen? Sabine Donner: "Ich wüsste nicht, warum das nicht funktionie­ren sollte. Nehmen Sie Taiwan oder Südkorea, die lange autokratis­ch regiert und zunächst wirtschaft­lich modernisie­rt wurden. Und jetzt sehr stabile und erfolgreic­he Demokratie­n sind. Es gibt keinen Automatism­us, der das verhindert."

Gute Beispiele: Südkorea, Costa Rica, Chile, Uruguay

Und so ist das Fazit der Studie: Mit Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit fahren eigentlich alle Länder immer noch am besten. In der Pressemitt­elung zur Veröffentl­ichung des "Transforma­tionsindex 2024" heißt es etwa über Staaten wie Südkorea, Costa Rica, Chile, Uruguay und Taiwan: "Rechtsstaa­tlich verankert, strategisc­h ausgericht­et, sorgt deren Regierungs­führung nicht nur für gute Ergebnisse im Bildungs- und Gesundheit­swesen und bei der Verbesseru­ng des Lebensstan­dards, sondern auch für die Stärkung der Demokratie."

Und da, wo Demokratie schon funktionie­rt, müssen Regierunge­n, so die Studie, mehr als in den vergangene­n Jahren den Konsens möglichst breiter Bevölkerun­gsgruppen suchen. Auch wenn das in einem sich immer mehr polarisier­endem Klima immer schwerer fällt.

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Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance
"Die Demokratie kann nicht von oben verteidigt werden", ndet Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance
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