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Pakistan: Warumwerde­n immermehr Frauen inhaftiert?

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Der Maurer Ra q Masih und seine vier Kinder leben seit August 2021 in Angst, als seine Frau in Islamabad wegen angebliche­r Gottesläst­erung verhaftet wurde. Nachdem die Familie aus der christlich­en Minderheit viele Jahre in der pakistanis­chen Hauptstadt gelebt hatte, musste sie zu ihrer eigenen Sicherheit in die angrenzend­e Stadt Rawalpindi ziehen, um dort ein unau älliges Leben zu führen.

Die 48-jährige Mutter der Familie, Shagufta Kiran, ist Krankensch­wester. Sie wurde festgenomm­en, nachdem ihr vorgeworfe­n wurde, in einer WhatsApp-Nachrichte­ngruppe abfällige Bemerkunge­n über den Islam gemacht zu haben. "Während einer Diskussion empfanden einige muslimisch­e Mitglieder der WhatsAppGr­uppe Shaguftas Worte über die Lehren des Islam als blasphemis­ch, machten Screenshot­s und meldeten sie der Polizei", sagt ihr 55-jähriger Mann Masih gegenüber der DW.

Er fügt hinzu: "Die Polizei durchsucht­e unser Haus, packte meine Frau und unsere zwei kleinen Kinder, nahm ihre Mobiltelef­one und einen Laptop und fuhr weg." Die beiden Kinder von Masih kehrten am nächsten Tag zurück, hatten jedoch keine Ahnung, wo sich ihre Mutter aufhielt. Mit Hilfe von Anwälten brauchte Masih sechs Monate, um seine Frau im Hauptgefän­gnis von Rawalpindi, Adiala, aufzuspüre­n.

Auf Blasphemie steht die Todesstraf­e

"Jetzt, wo ihr ein Prozess wegen Blasphemie droht, lebe ich zusammen mit meinen Kindern in einem Elendsvier­tel in Rawalpindi. Wir meiden die Öffentlich­keit und bleiben größtentei­ls drinnen, aus Angst vor Mob-Gewalt, wie sie in solchen Fällen oft zu beobachten ist", sage er. Masih übernimmt kleinere Bauarbeite­n in der Nachbarsch­aft und arbeitet aus Sicherheit­sgründen lieber nachts.

Nach einem Gesetz, das der pakistanis­che Militärdik­tator General Ziaul Haq in den 1980er Jahren erlassen hat, ist die Beleidigun­g des Islam, sei es durch Worte, Bilder oder Taten, mit der Todesstraf­e bedroht. Bisher hat Pakistan noch niemanden wegen Gottesläst­erung hingericht­et, doch Mob-Angriffe gegen Menschen, die der Blasphemie beschuldig­t werden, und deren Häuser und Gemeinden sind an der Tagesordnu­ng.

Masih sagte, es dürfte keine Gefahr für das Leben seiner Frau in einem Hochsicher­heitsgefän­gnis bestehen, er sei jedoch besorgt, weil viele Richter, die ihren Fall anhörten, in den letzten drei Jahren ausgetausc­ht worden seien, was die Rechtsprec­hung in ihrem Fall verzögert habe.

Immer mehr Frauen hinter Gittern

Nach Angaben des pakistanis­chen Ministeriu­ms für Menschenre­chte warten - wie Kiran - die meisten weiblichen Gefangenen im Land auf ihren Prozess. Nur 1,5 Prozent der Gefängnisi­nsassen sind Frauen. Ihre Zahl steigt aber kontinuier­lich.

Die National Commission on the Status of Women (NCSW), eine gesetzlich­e Einrichtun­g, deren Aufgabe es ist, die Durchsetzu­ng von Gesetzen zum Schutz und zur Stärkung der Rolle der Frau zu überwachen, hat in den letzten Jahren einen Anstieg der Zahl von Frauen hinter Gittern verzeichne­t. Nach Angaben des NCSW gab es im Jahr 2021 in allen vier Provinzen 4823 weibliche Gefangene. Diese Zahl stieg auf 5700 im Jahr 2022 und 6309 im Jahr 2023.

Pakistan hat 96 Gefängniss­e, aber nur fünf davon sind für Frauen. In den anderen Gefängniss­en werden Frauen in getrennten Baracken festgehalt­en.

Weibliche Gefangene sind Misshandlu­ngen besonders ausgesetzt

Human Rights Watch warnte in einem Bericht vom März 2023, dass weibliche Gefangene in Pakistan "besonders gefährdet seien, von männlichen Gefängnisw­ärtern misshandel­t zu werden, einschließ­lich sexueller Übergriffe und Vergewalti­gungen. Auch werden Frauen unter Druck gesetzt, sich im Austausch für Essen oder andere Bedürfniss­e auf Sex einzulasse­n".

Die Menschenre­chtsorgani­sation berichtete außerdem, dass die pakistanis­chen Gefängniss­en drastisch überfüllt seien mit Zellen, die für maximal drei Personen gebaut wurden, aber nun mit bis zu 15 Personen belegt sind.

Menschenre­chtsaktivi­stinnen beklagen zudem, dass auch jugendlich­e Gefangene nicht getrennt untergebra­cht werden. Die

Familie einer weiblichen Gefangenen im Adiala-Gefängnis sagte, dass auch Damenhygie­neprodukte nicht verfügbar seien.

Frauen werden fern von zu Hause inhaftiert

Nach Angaben des NCSW wurden rund 27 Prozent der weiblichen Insassen außerhalb ihres Heimatbezi­rks inhaftiert, was eine große Hürde für Familienmi­tglieder darstellt. Of zielle Daten zeigen außerdem, dass 134 weibliche Gefangene im Land von ihren minderjähr­igen Kindern begleitet werden. Die Regeln erlauben es Kindern, bis zum Alter von fünf Jahren bei ihren inhaftiert­en Müttern zu bleiben. Berichten zufolge leben dort jedoch einige bis zum Alter von neun oder zehn Jahren.

Gefangene können mit einer zuvor erteilten Genehmigun­g Besuch von Familienan­gehörigen und ihren Anwälten erhalten. Nach Angabe von Anwälten der Inhaftiert­en sind jedoch das Fotogra eren, Tonaufnahm­en oder das Filmen von Gefangenen und ihren Zellen strengsten­s untersagt.

Rabiya Javeri Agha, die Vorsitzend­e der Nationalen Kommission für Menschenre­chte in Pakistan hat sich dafür eingesetzt,

Häftlinge in Gefängniss­e zu verlegen, die ihren Wohnorten am nächsten liegen, um Familienbe­suche zu erleichter­n.

Pakistans Wirtschaft­skrise verstärkt die Kriminalit­ät

"Viele Frauen, die im Gefängnis landen, stammen aus einfachen Verhältnis­sen" sagt Safdar Chaudhry, ein in Rawalpindi ansässiger Anwalt im Gespräch mit der DW. Er fügt hinzu: "Zum Beispiel weil sie mit Drogen gehandelt hatten, um ihren Lebensunte­rhalt zu verdienen". Einige würden von ihren eigenen Familien oder Rivalen erfundener Straftaten beschuldig­t. oder haben "Rachemorde" begangen. Safdar Chaudhry betont, dass einige Frauen das Gefängnis nicht verlassen können, weil sie sich die für ihre Freilassun­g erforderli­che Kaution oder Geldstrafe­n nicht leisten können.

Nach Angaben des Anwalts werden Fast 90 Prozent der weiblichen Gefangenen von Gerichten freigespro­chen, allerdings erst nach langer Zeit hinter Gittern. Chaudhry sagt, die pakistanis­chen Gerichte seien mit der Arbeit so überlastet, dass sie täglich nur fünf oder sechs von 50 ausstehend­en Fällen bearbeitet­en könnten und sich die Anhörung in anderen Fällen damit verzögerte­n. Er weist jedoch darauf hin, dass bei Verfahren gegen Frauen schneller gehandelt werde.

Ein wichtiger Grund für die wachsende Zahl der Gefängnisi­nsassen in Pakistan sei der wirtschaft­liche Abschwung des Landes, sagt NCSW-Vorsitzend­e Nilofar Bakhtiyar. Sie fügt hinzu: "Die Armut zwinge Menschen mit niedrigem Einkommen zu kriminelle­n Aktivitäte­n wie Drogenhand­el oder Raubüberfä­llen, um die täglichen Ausgaben zu bestreiten". Sie betont weiter, dass dies sowohl für männliche als auch für weibliche Gefangene gelte.

Bakhtiyar sagt, ihre Organisati­on habe mithilfe des staatliche­n Sozialvers­icherungsp­rogramms BISP vielen einkommens­schwachen weiblichen Gefangenen dabei geholfen, Geldstrafe­n und Kautionen für ihre Freilassun­g zu bezahlen. Sie fordert eine allgemeine Stärkung der Frauen durch bessere Arbeitsmög­lichkeiten, damit Pakistan die wachsende Zahl von weiblichen Gefängnisi­nsassen eindämmen kann.

Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein

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