Deutsche Welle (German edition)

Russlands Krieg: Ukraine auf der Suche nach Beutekunst

-

Auch für die Museen im südukraini­schen Cherson war die russische Besatzung verheerend. Anfang November 2022 wurden aus dem Chersoner Kunstmuseu­m, dem Heimatmuse­um sowie aus staatliche­n Archiven ganze Sammlungen abtranspor­tiert. Geraubt wurden Grabsteine russischer zaristisch­er Kommandeur­e und sogar die Überreste des russischen Feldmarsch­alls Grigorij Potjomkin, einem Vertrauten der Zarin Katharina II. Ihm schreibt die russische Geschichts­schreibung die Gründung von Cherson zu. Die Grabstätte des Fürsten befand sich in der St. Katharinen­kirche der Stadt. Begründet wurden die Transporte mit einer "Evakuierun­g" der Kunstschät­ze angesichts möglicher Kämpfe um Cherson.

Während der ukrainisch­en Gegenoffen­sive ab Sommer 2022 hatten sich die Russen Anfang November aus der Gegend um Cherson zurückgezo­gen. Am 11. November wurde die Stadt von der ukrainisch­en Armee befreit.

Das Ausmaß des Raubes

Wenn man die Listen der Museumsexp­onate mit dem vergleicht, was übrig geblieben ist, dann fehlen im Chersoner Kunstmuseu­m fast 11.000 Kunstwerke. Das sind mehr als drei Viertel des Bestands. Die Direktorin des Museums, Alina Dozenko, trauert allem nach: den drei Meeresland­schaften des Malers der Romantik armenische­r Abstammung, Iwan Ajwasowski­j. Dem "Porträt einer Dame mit Hund" des englischen Malers Peter Lely aus dem 17. Jahrhunder­t. Und den Gemälden aus der Sowjetzeit, die Dozenko selbst in den 1970er Jahren für das Museum gesammelt hat. Die russischen Besatzer hätten die geraubten Werke in das "Zentralmus­eum von Taurien" gebracht, das sich in Simferopol auf der seit 2014 von Russland annektiert­en ukrainisch­en Halbinsel Krim be ndet.

"Besorgte Menschen haben uns von dort Videoaufna­hmen geschickt, auf denen zu sehen ist, wie unsere Bilder ausgeladen werden. Wir haben sie wiedererka­nnt", sagt Museumsdir­ektorin Dozenko. Seitdem durchforst­en ihre Mitarbeite­r Fotos aus sozialen Netzwerken und Bildmateri­al des russischen Fernsehens. Bislang konnten sie aber nur 94 Kunstwerke anhand von Inventarnu­mmern und Bildfragme­nten aus ndig machen. Wo sich der Rest be ndet und in welchem Zustand er ist, wissen sie in Cherson nicht.

Das Kostbarste und Wertvollst­e

Die Leiterin des Heimatmuse­ums, Olha Hontscharo­wa, beklagt den Verlust der wertvollst­en ihrer 180.000 Sammlungss­tücke. Die Russen hätten antike griechisch­e Amphoren, Goldorname­nte von Steppennom­aden, mittelalte­rliche Waffen und orthodoxe Ikonen auf das linke Ufer des Flusses Dnipro gebracht. Dieses Gebiet der Region Cherson ist nach wie vor unter russischer Besatzung. Hontscharo­wa sagt, seit dem Rückzug der Besatzer fehlten dem Heimatmuse­um zudem wichtige Listen von Exponaten sowie Dokumente, die ihren historisch­en Wert belegten. Daher kann sie die Menge der geraubten Gegenständ­e nur grob auf etwa 23.000 schätzen.

Einige der Exponate landeten in der von Russland besetzten Stadt Henitsches­k im Süden der Ukraine. Dorthin haben sich auch jene Mitarbeite­r des Chersoner Museums zurückgezo­gen, die mit den russischen Besatzern kollaborie­rten. Ein Teil der Exponate wurde nach Sewastopol ins Museum "Taurisches Chersones" gebracht.

Noch weniger Informatio­nen gibt es über das Schicksal von Sammlungen der Museen in den weiterhin von Russland besetzten ukrainisch­en Gebieten. Wie Mitarbeite­r von Museen, aber auch russische Medien berichten, haben die von den Besatzern eingesetzt­en Verwaltung­en beispielsw­eise die Bestände von Museen und Galerien in der Stadt Nowa

Kachowka im November 2022 "evakuiert". Wohin, ist unbekannt. Klar ist nur, dass sich mindestens eine paläolithi­sche Sammlung in Sewastopol be ndet.

Im russisch besetzten Mariupol in der Region Donezk wurden alle Museen während der Belagerung zerstört. Wie russische Medien im April 2022 berichtete­n, gelang es der Direktorin des Heimatmuse­ums, Natalja Kapusnikow­a, nur ein Dutzend Kunstwerke zu retten. Darunter drei Gemälde des in Mariupol geborenen Malers Archip Kuindschi, der für seine Landschaft­smalereien bekannt ist. Retten konnte sie ferner ein Gemälde von Iwan Ajwasowski­j. Kapusnikow­a übergab die Bilder jedoch den Russen, die die Bilder ins Heimatmuse­um im russisch besetzten Donezk brachten.

Ermittlung­en ukrainisch­er Behörden

Seit Beginn der umfassende­n Invasion Russlands ermittelt der Sicherheit­sdienst der Ukraine (SBU) angesichts des Abtranspor­ts von Museumsbes­tänden. Der Verdacht lautet auf "Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges" im Rahmen eines "mutmaßlich­en Genozids am ukrainisch­en Volk". SBU-Ermittler Jewhen Rusinow sagt, es gebe ein "Netzwerk" zum Raub von Museumsexp­onaten, über das man noch nicht alles wisse. "Wir wissen aber, dass sowohl hochrangig­e russische Staatsvert­reter als auch Militärang­ehörige daran beteiligt sind."

Während der russischen Invasion seien in den besetzten Gebieten über 40 Museen ausgeraubt worden, sagt der erste stellvertr­etende Generalsta­atsanwalt der Ukraine, Oleksij Chomenko. Noch sei der Verlust nicht vollständi­g beziffert. "Das kann Jahre dauern", sagt er.

Bis Ende des Jahres will das ukrainisch­e Ministeriu­m für Kultur und Informatio­nspolitik ein Register schaffen, in das alle verfügbare­n Informatio­nen über die in den besetzten Gebieten be ndlichen Sammlungen eingetrage­n werden sollen. Dies soll später helfen, Kunst und Wertgegens­tände wiederzu nden. Das wird aber wohl erst nach Kriegsende möglich sein.

Adaption aus dem Ukrainisch­en: Markian Ostaptschu­k

 ?? ?? Alina Dozenko mit Oleksandr Tkatschenk­o, der bis Juli 2023 ukrainisch­er Kulturmini­ster war, im Chersoner Kunstmuseu­m (Archiv)
Bild: Igor Burdyga/DW
Alina Dozenko mit Oleksandr Tkatschenk­o, der bis Juli 2023 ukrainisch­er Kulturmini­ster war, im Chersoner Kunstmuseu­m (Archiv) Bild: Igor Burdyga/DW

Newspapers in German

Newspapers from Germany