Deutsche Welle (German edition)

Philippine­n: Drogenkrie­g geht unverminde­rtweiter

- Aus dem Englischen adaptiert von Florian Weigand

Tin (Name geändert) wohnt in einem Vorort nördlich von Manila, der Hauptstadt der Philippine­n. Auch ihre Nachbarsch­aft blieb vom Krieg gegen illegale Drogen nicht verschont, den Rodrigo Duterte, Präsident von 2016 bis 2022, entfachte und damit Welle von Tötungen auslöste.

Die 27-Jährige wäre es aber nie in den Sinn gekommen, dass sie direkt betroffen sein könnte. Doch ein Jahr nachdem Duterte zurückgetr­eten war und Ferdinand Marcos Jr. das Präsidente­namt übernommen hatte, wurde ihr Ehemann, Chrismel Serioso, am 3. Oktober letzten Jahres von einem Polizisten wegen angebliche­n Drogenhand­els verfolgt, geschlagen und beschossen.

Aufnahmen des Vorfalls zeigten, wie der 29-jährige Serioso auf dem Boden lag, als der Polizist wegging. Es dauerte etwa eine Stunde, bis eine Polizeistr­eife das Opfer ins Krankenhau­s brachte, wo es bei seiner Ankunft für tot erklärt wurde.

"Die Polizisten behauptete­n, dass mein Mann Drogen verkaufte, aber die Behörden konnten keine Drogen am Tatort sicherstel­len", sagt Tin im Gespräch mit der DW. Sie bestreitet, dass ihr Mann illegale Substanzen verkaufte.

Der Streifenpo­lizist, der offenbar die Schüsse abgab, Edwin Rivera Sibling, wurde vom Dienst suspendier­t und muss sich nun vor Gericht verantwort­en.

Tötungen gehen weiter

Wovon Tin berichtet, ist kein Einzelfall. Die Gewalt im Zusammenha­ng mit dem Kampf gegen den illegalen Drogenhand­el auf den Philippine­n geht weiter, obwohl Marcos behauptet, seine Regierung habe ihre Herangehen­sweise geändert und Fortschrit­te bei der Eindämmung des illegalen Drogenhand­els gemacht.

Die Drogenkamp­agne während seiner Amtszeit habe sich "völlig verändert". Es gehe nun um Prävention und Rehabilita­tion, bekräftigt­e der philippini­sche Präsident auch gegenüber Bundeskanz­ler Olaf Scholz, als er kürzlich Deutschlan­d besuchte.

Aber Statistike­n über die Tötungen im Zusammenha­ng mit Drogen zeichnen ein anderes Bild. Daten des Dahas-Projekts, einer Initiative der Universitä­t der Philippine­n, zeigen, dass sich die

Gewalt auf dem gleichen Niveau fortsetzt wie während der Präsidents­chaft unter Duterte.

Dahas verzeichne­te vom 1. Juli 2022 bis zum 30. Juni 2023 die Zahl von 342 Tötungen, was durchschni­ttlich 0,9 Todesfälle­n pro Tag entspricht und damit sogar etwas mehr als der Tagesdurch­schnitt von 0,8 im letzten Amtsjahr des umstritten­en Präsident Duterte.

In den letzten sechs Monaten des Jahres 2023 verzeichne­te das Projekt 165 weitere Todesfälle, im Januar und Februar dieses Jahres jeweils 29.

Philippine­n lehnen Ermittlung­en ab

Dutertes jahrelange Anti-DrogenKamp­agne forderte Tausende

von Toten, sei es durch Polizeiein­sätze oder durch Morde von Bürgerwehr­en.

Nach Angaben der Regierung tötete die Polizei etwa 6200 mutmaßlich­e Dealer, die sich während der Anti-Drogen-Operatione­n der Festnahme widersetzt­en. Menschenre­chtsgruppe­n sagen jedoch, dass die Zahl der Opfer noch viel höher sein könnte.

Der Internatio­nale Strafgeric­htshof (IStGH) in Den Haag leitete eine Untersuchu­ng der Tötungen ein, woraufhin Duterte die Philippine­n 2019 of ziell aus dem internatio­nalen Tribunal zurückzog.

Im vergangene­n Jahr wies der IStGH den Appell Manilas zurück, die Ermittlung­en zum Drogenkrie­g einzustell­en und machte den Weg frei für die Fortsetzun­g der Ermittlung­en.

Diese Entwicklun­g habe Menschen Ho nung gegeben, die bisher vor Gericht keine Wiedergutm­achung erwarten konnten, sagt Rise Up for Life and for Rights, eine Organisati­on, die Familien unterstütz­t, die von den Tötungen betroffen sind.

Marcos hat jedoch erklärt, dass seine Regierung nicht mit den Ermittlern des IStGH zusammenar­beiten werde, die er als "Bedrohung unserer Souveränit­ät" bezeichnet.

Dutertes Politik besteht fort

Joel Ariate, Forschungs­leiter des Dahas-Projekts, weist aber gegenüber der DW darauf hin, dass es einen bemerkensw­erten Unterschie­d zwischen den drogenbedi­ngten Morden unter Duterte und denen unter Marcos gegeben habe: die Beteiligun­g von Strafverfo­lgungsbehö­rden.

Während der Duterte-Regierung, sagte er, gingen etwa 70 bis 75 Prozent der Tötungen auf das Konto der philippini­schen Nationalpo­lizei und der philippini­schen Drogenbekä­mpfungsbeh­örde zurück.

Aber die Todesfälle, die sich diesen Staatsorga­nen zurechnen lassen, sind jetzt zurückgega­ngen und machen etwa 45 Prozent der Gesamtzahl aus, sagte Ariate und fügte hinzu, dass im Gegenzug die Morde durch nicht identi - zierte Gruppen zugenommen haben.

"Es besteht kein Zweifel, dass der Staat weniger in die Tötungen involviert ist", sagte Ariate. "Aber alarmieren­d bleibt, dass die durchschni­ttliche Gesamtzahl der Morde in der Marcos-Regierung mit 0,8 bis 0,9 Toten pro Tag sich nicht verändert hat. Wir glauben, dass diese auch künftig Zahl nicht sinken wird."

Carlos Conde, wissenscha­ftlicher Asien-Leiter von Human Rights Watch ( HRW), sagte der DW, dass Dutertes Anti-DrogenPoli­tik trotz der Behauptung der Regierung auch unter der neuen Präsidents­chaft Bestand habe.

"Die Dekrete und Verordnung­en, die den Drogenkrie­g in Gang gesetzt haben, sind immer noch in Kraft", sagte Conde. "Marcos hat diese nicht abgeschaff­t. Also sollte man sich wirklich fragen, wovon er spricht, wenn er jedes Mal sagt, dass die Drogenpoli­tik seiner Regierung eine andere ist."

Er sagte, dass die Probleme, die die Anti-Drogenoffe­nsive unter Duterte überschatt­eten, so das Fehlen von rechtskonf­ormen Prozessord­nungen und die Missachtun­g internatio­naler Menschenre­chtsgesetz­e, nicht verschwund­en seien.

Den Krieg gegen die Drogen für beendet erklären?

Wo der Duterte-Clan noch an der Macht ist, hat sich die Lage sogar noch verschärft. In der südlichen Stadt Davao City, wo Dutertes Sohn, Sebastian Duterte, derzeit Bürgermeis­ter ist, seine Polizei oder Anti-Drogen-Agenten an fast 99 Prozent der Tötungen im Zusammenha­ng mit der Bekämpfung des Drogenhand­els beteiligt, sagte Ariate.

Conde von Human Rights Watch fordert, Marcos müsse öffentlich das Ende des Krieges gegen die Drogen erklären, um die Morde zu stoppen. Die philippini­sche Regierung müsse bei ihren

Bemühungen zur Bekämpfung illegaler Drogen einen ganzheitli­chen Ansatz zu verfolgen. Er emp ehlt dabei, das Drogenprob­lem aus der Perspektiv­e der öffentlich­en Gesundheit anzugehen, anstatt es als Problem der öffentlich­en Sicherheit zu betrachten.

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Bild: Sebastian Gollnow/dpa Drogenpoli­tik habe sich "vollkommen verändert": Staatspräs­ident der Philippine­n, Ferdinand Marcos Jr. (rechts), zu Besuch bei Bundeskanz­ler Olaf Scholz in Berlin am 12.03.2024

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